Das Dortmunder Stadion, letzte Woche. Viertelfinale in der Europa League, Liverpool ist zu Gast. Die Fans, sie feiern, sie fiebern – und erleben letztlich ein 1:1.
Rückblende – 2013. Europol-Chef Rob Wainwright tritt nach monatelangen Ermittlungen im Wett-Milieu vor die Presse:
Offenbar 680 manipulierte Spiele
"Hier geht es um Spielmanipulation in einer Dimension, die wir vorher nicht kannten. Mit hunderten von kriminellen und korrupten Spielern und Offiziellen, hunderte Profispiele sind betroffen und das Ganze hat zu großen illegalen Gewinnen geführt."
680 Spiele sollen manipuliert worden sein, darunter WM-Qualifikationsspiele, Begegnungen der Top-Ligen in Europa und auch der Champions League. Und Wainwright sagte: Das sei nur die Spitze des Eisbergs. Die Fußballwelt - entsetzt.
Dabei war das nicht der erste Wettskandal in Deutschland. Robert Hoyzer, Ante Sapina – diese Namen stehen schon seit 2005 für die dunkle Seite des Sports.
Einer, der mitgeholfen hat, Ante Sapina, den Wettpaten des Berliner Café King, ins Gefängnis zu bringen, ist Michael Bahrs, Kriminalhauptkommissar im Kommissariat 21 des Bochumer Polizeipräsidiums – Abteilung für Organisierte Kriminalität. Die ganz harten Fälle, zu denen mittlerweile auch Wettmanipulationen zählen. Denn auch sie sind organisiert, und zwar weltweit, von großen kriminellen Netzwerken.
"Und die agieren wie alle anderen in hochkriminellen Feldern, die sind bereit, andere in die Luft zu sprengen, zu erpressen, unter Druck zu setzen."
Bahrs ist 44, trägt Jeans, T-Shirt, braune Lederjacke und Chucks und nicht zuletzt mit seinen blond gesträhnten kurzen Haaren wirkt er locker und entspannt. Er ist aber auch hartnäckig und lässt eben nicht locker, wenn es darum geht, die Drahtzieher hinter den Wettmanipulationen zu finden.
Neues Betätigungsfeld für Mafia-Organisationen
Laut Europol sind viele Banden, die bisher in Drogen- oder Menschenhandel involviert waren, jetzt auch im Bereich des Match-Fixings zu finden: Italienische Mafia-Organisationen oder die chinesischen Triaden zum Beispiel.
Auch Michael Bahrs und seine Bochumer Kollegen ermittelten im Frühjahr 2009 ursprünglich im Rotlichtmilieu, als sie auf ungewöhnliche Aktivitäten stießen:
"Dann haben wir festgestellt, dass die Leute, die sich ja normalerweise mit Drogen befassen, tatsächlich viel Geld in einen Fußballverein investiert haben und hohe Wetten platziert haben, aber mit hohen Wetten meine ich auch 300.000, 400.000 Euro pro Spiel, das ist eben ungewöhnlich."
Die Ermittler holten sich Unterstützung von einem Sachverständigen, der sich in der Welt der Wetten auskennt. Denn allein das Vokabular der Kriminellen war für die Polizisten damals kaum verständlich:
"Asien-4, Überwetten, Overwetten und drei Handicap und Unter - das war für mich eine völlig andere Sprache."
Mittlerweile, sieben Jahre nach diesem ersten großen Fall, ist Hauptkommissar Bahrs ein geschätzter Experte auf dem Gebiet des Matchfixings. Aus aller Welt melden sich Kollegen bei dem 44-Jährigen in Bochum, um seine Meinung zu hören. Ist das Spiel xy manipuliert, kennst Du diesen Sport-Agenten, sind die Wetteinsätze ungewöhnlich? Auch mit den Ganoven hält Bahrs Kontakt.
Rekrutierung von Schiedsrichters oder Spielern ist zentral
"Jetzt haben die natürlich auch alle meine Handynummer und das Handy, das bimmelt ständig, ja."
Aber wie läuft das konkret ab, die Manipulation eines Spiels? Laut Bahrs müssen erst einmal diejenigen rekrutiert werden, die den Spielverlauf verändern können: Schiedsrichter oder Spieler zum Beispiel. Häufig erkennen die Kriminellen am Lebenswandel eines Sportlers, ob er anfällig für so etwas ist: Ist er selbst ein Zocker oder macht sich durch eine Liebschaft erpressbar? Dann wird er angesprochen, rekrutiert, eingesetzt.
"Mir hat mal ein Matchfixer in einer Vernehmung gesagt: Ich habe meinen Jungs immer gesagt: Ihr könnt 89 Minuten das Spiel eures Lebens machen, aber in einer Minute müsst Ihr für mich da sein."
In dieser einen Minute verschießt der Spieler dann ein Tor oder holt für die gegnerische Mannschaft einen Elfmeter - und wird letztlich vielleicht sogar noch als tragischer Held gefeiert, der alles gab und dann Pech hatte.
Wettsummen geben Hinweis auf Manipulation
"Man muss sich völlig davon lösen, ein Fußballspiel zu nehmen, sich von mir aus auch das ganze Spiel anzuschauen und dann sagen zu können, das ist manipuliert oder nicht. Also ich halte das für unmöglich, dass man das kann."
Stattdessen geht Bahrs Insider-Informationen nach, schaut, ob verdächtige - ihm bekannte - Personen in das Spiel involviert sind. Blickt auf die Wettsummen.
Letztlich sind alle Ligen betroffen, auch Länderspiele, sagt Bahrs. Allerdings sind den Matchfixern solche Spiele und Ligen am liebsten, die in der Öffentlichkeit weniger Beachtung finden: Also eher nicht das Top-Spiel Dortmund - Liverpool, sondern Partien der Regionalliga oder auch Liga-Spiele in Ländern wie Österreich, der Schweiz oder Finnland.
Wird ihm, dem Wett-Ermittler, das neue Gesetz der Bundesregierung helfen? Nun, es könnte helfen, die Manipulateure dingfest zu machen, sie zu verurteilen. Aber Bahrs sieht viel früher ein Problem:
"Ich finde, man könnte vielmehr machen, man müsste viel mehr tun. Das passiert halt nicht."
Was Bahrs damit meint: Von ursprünglich weit mehr als einem Dutzend Ermittlern in Bochum sind heute nur noch er und ein Staatsanwalt übrig geblieben, die sich dem Thema annehmen und neuen Informationen nachgehen. Außerdem gibt es einen Beamten beim BKA, der sich um Wettmanipulationen kümmert - ein Witz, wenn man bedenkt, wer der Gegner ist.
"Da sind ganze Organisationen am Werke, die nicht davor zurückschrecken, die Gewalt sprechen zu lassen, die sie eben auch bei Drogenhandel, Menschenhandel und dergleichen einsetzen würden."
Bahrs hofft deshalb nicht nur auf härtere Strafen - er hofft auch auf mehr Unterstützung bei den Ermittlungen.
Damit Spiele wie das Europa-League-Viertelfinale in Dortmund letzte Woche weiter von leidenschaftlichen Sportlern und fiebernden Fans und nicht von kriminellen Match-Fixern dominiert werden.