Archiv


Gesetzesreform von der Straße

Ein neues Hypothekenrecht soll verschuldete Bürger in Spanien vor der Obdachlosigkeit schützen. Der Gesetzesentwurf ist aus einer Protestbewegung entstanden: Bürgerinitiativen hatten 1,4 Millionen Unterschriften für eine Reform des Hypothekenrechts gesammelt und das Parlament damit unter Druck gesetzt.

Von Hans-Günter Kellner | 19.02.2013
    "Sí se puede" - die spanische Fassung von Obamas "Yes we can!" - rufen die Demonstranten in der Madrider Innenstadt euphorisch. Kaum jemand hatte damit gerechnet, dass das Parlament die Gesetzesvorlage einer Bürgerinitiative zur Beratung annehmen würde. Auch nicht dieser junge Demonstrant.

    Jetzt müsse der Entwurf auch in der vorliegenden Fassung verabschiedet werden, fordert er. Den Anfang hatte die Initiative am 15. Mai vor zwei Jahren genommen; mit der Geburt der Protestbewegung der sogenannten "Empörten". Damals organisierte sich auch eine "Plattform der Hypothekenopfer". Chema Ruiz gehört zu den Gründungsmitgliedern:

    "Niemand von uns konnte sich damals vorstellen, dass so etwas möglich wäre. Aber wir haben uns nach und nach immer besser organisiert. Der Aufwand ist enorm, bis man 1,4 Millionen Unterschriften zusammen hat. Es reicht ja nicht, irgendwelche Protestblätter zu unterschreiben. Die Daten werden mit denen des Wahlzensus abgeglichen. Ein einziger Fehler bei einem Buchstaben, und die Wahlkommission erklärt ein ganzes Blatt mit 40 Unterschriften für ungültig. Darum fordern wir ja auch, dass dieses Verfahren vereinfacht wird."

    Die Initiatoren des Gesetzes wollen festschreiben: Niemand soll mehr auf die Straße gesetzt werden können, wenn er seinen Kredit nicht mehr bezahlen kann. Es soll ein Moratorium für Räumungsklagen geben, solange bis die Behörden Sozialwohnungen zur Miete anbieten. Immerhin stehen nach Angaben der Initiatoren sechs Millionen Wohnungen leer. Zudem soll die Wohnung als Garantie für eine Hypothek ausreichen. Bisher bleiben Immobilienkäufer auch noch dann hoch verschuldet, wenn ihre Bleibe längst der Bank gehört. Repräsentativen Umfragen zufolge stimmen diesem Entwurf mehr als 80 Prozent der Spanier zu, auch die Wähler der Volkspartei. Die Abgeordneten sollen das Gesetz darum nicht verändern, meint auch Ruiz:

    "Es wäre nicht nur schön, sondern auch zu erwarten. Schließlich haben das hier 1,4 Millionen Wähler unterzeichnet. Und eine halbe Million Ausländer, die nicht wählen dürfen, die aber genauso wie alle anderen betrogen worden sind. Die Politiker müssen jetzt zeigen, wen sie vertreten. Die Banken und die Mächtigen, oder das Volk, das sie wählt und ihnen die Diäten bezahlt."

    Allerdings warnen die Banken: Auf die bestehenden Kredite - also rückwirkend - lasse sich das Gesetz nicht anwenden. Zudem würde die Reform Kredite und Immobilien erheblich verteuern. Die Initiatoren erwarten das Gegenteil: Die Banken wären nicht mehr versucht, den Wert einer Wohnung beim Kreditabschluss zu hoch anzusetzen, sagen sie.

    Das derzeitige Kreditrecht wollen zudem sogar Richter nicht mehr anwenden. Joaquim Bosch ist Vorsitzender der Vereinigung "Richter für Demokratie":

    " Ich habe gerade einen Fall auf dem Tisch, da frage ich mich, ob das Gesetz hier nicht gegen die Verfassung verstößt. Da ist jemand mit 180.000 Euro verschuldet. Unser Hypothekenrecht erlaubt der Bank, sich die Wohnung für nur 60 Prozent des ursprünglichen Preises anzueignen. Den Rest der Schulden sowie die völlig überzogenen Verzugszinsen muss der Wohnungskäufer weiter abbezahlen. Er hat also nichts mehr: Er hat keine Arbeit mehr, keine Wohnung und die Bank will auch noch 100.000 Euro von ihm. Der Mensch wird hier gesellschaftlich ausgelöscht, er wird nie mehr auf die Beine kommen, nie mehr Arbeit finden, keine Geschäfte mehr abschließen können. So lange er lebt, wird die Bank von ihm Summen einfordern, die er nie bezahlen kann."

    Denn auch einen Offenbarungseid in Form einer eidesstattlichen Versicherung gibt es in Spanien nicht. Diese Praxis ist inzwischen auch ins Visier des Europäischen Gerichtshofs geraten. Juliane Kokott, Generalanwältin am Europäischen Gerichtshof hat kritisiert, dass Spanien damit europäisches Recht verletze. Richter Joaquim Bosch sagt:

    " Wir erwarten in Kürze das Urteil des Europäischen Gerichtshofs und gehen davon aus, dass wir damit unser Verfahrensrecht komplett reformieren müssen. Wir sind da einer Meinung und fordern tief greifende Reformen, damit die Rechte der Bürger nicht weiter verletzt werden."

    Mehr auf dradio.de:

    Spanische Verhältnisse - Von Zwangsräumungen und Bürgerprotesten