Ralf Krauter: Wenn es nach dem Willen von Thomas de Maizière geht, soll die Gesichtserkennung als Fahndungshilfsmittel in Deutschland bald auf breiter Front zum Einsatz kommen. An Bahn- und Flughäfen zum Beispiel, so der Innenminister, soll sie Sicherheitskräften helfen, polizeilich bekannte Gefährder aufzuspüren. Also mutmaßliche Terroristen oder Fußball-Rowdies etwa.
Der erste Versuch in Deutschland mit automatischer Gesichtserkennung im öffentlichen Raum ging im Januar 2007 am Hauptbahnhof in Mainz zu Ende. Laut Bundeskriminalamt lag die Erkennungsrate der Kamerasysteme damals im besten Fall bei 60 Prozent.
Doch wie leistungsfähig sind heutige Systeme zur Gesichtserkennung unter realistischen Einsatzbedingungen an Bahnhöfen und Flughäfen? Diese Frage hat Ralf Krauter dem Biometrie-Experten Alexander Nouak vom Fraunhofer-Institut für Graphische Datenverarbeitung in Darmstadt gestellt. Er ist Leiter des Fraunhofer-Verbundes IUK-Technologie und verfolgt die Technologieentwicklung seit Jahren.
Alexander Nouak: Die Erkennungsraten von Gesichtserkennungssystemen sind so einfach nicht zu bestimmen, da sie von sehr vielen Faktoren abhängig sind. Letztendlich kann man aber sagen, dass sich in den acht Jahren einiges getan hat. Probleme wie unterschiedliche Beleuchtung wurden angegangen, indem man verstärkt darauf zugegriffen hat, Maschinelles Lernen einzusetzen.
"Wir müssen schauen, was für eine Art von System wir hier einsetzen"
Das heißt, dass man dem System eine Fülle von Daten präsentiert, aus denen sie selbst lernen können, worauf sie achten müssen. Wenn man das in ganz großem Maßstab macht mit einer ganz großen Anzahl entsprechender Daten, dann sprechen wir sogar von Deep Learning, also wir geben den Systemen die Möglichkeit, zu trainieren. Und dadurch wurden in den letzten Jahren die Verfahren ganz deutlich verbessert. Ich glaube, man kann jetzt sagen: Die Falscherkennungsrate im Labor liegt bei unter einem Prozent.
Krauter: Auf die Falscherkennungsrate kommen wir gleich noch einmal. Aber erst einmal zur Erkennungsrate selber: Wie viele der Verdächtigen würden den tatsächlich als solche erkannt werden? Ist man da schon über 90 Prozent?
Nouak: Ich glaube, dass man das so ausdrücken kann.
Krauter: Ein Handicap der vor sieben, acht Jahren getesteten Systeme war ja, dass sie die Verdächtigen nur dann erkennen konnten, wenn sie direkt in die Kamera geschaut haben, nicht aber, wenn der Betreffende seitlich geguckt hat oder gar nicht in die Kamera gelinst hat. Ist das heute anders? Kann man heute auch jemand, der nur im Profil gesehen wird, zuordnen?
Nouak: Dank des Maschinellen Lernens und des Deep Learnings haben wir da wesentlich bessere Ergebnisse. Aber wir müssen uns auch anschauen, was für eine Art von System wir hier einsetzen. Wir setzten ja Systeme ein, die die Gesichter mit einer sogenannten "Blacklist" abgleichen sollen. Das heißt, wir haben eine Anzahl von Personen, die haben wir erkennungsdienstlich vielleicht bereits erfasst.
"Falschmeldungen sind immer noch besser als gar keine Meldungen"
Und wenn wir das tun, haben wir natürlich auch die Möglichkeit, die unterschiedlichsten Aufnahmen anzufertigen, die dazu geeignet sind, in Gesichtserkennungssystemen möglichst hohe Gesichtserkennungsraten zu erzielen. Solche Systeme kommen da zum Einsatz. Deshalb kann man durchaus behaupten, dass solche Systeme dann auch geeignet sein werden, in anderen Richtungen außer der Frontalrichtung zu erkennen.
Krauter: Die Falscherkennungsrate ist ja auch noch ein wichtiges Kriterium für die Praxistauglichkeit solcher Systeme. Wenn die zu oft Alarm geben und bei den falschen Personen ist das inakzeptabel für die praktische Anwendung. 2007 hieß es: Eine Falscherkennungsrate von 0,1 Prozent wäre akzeptabel. Also dass einer unter 1000 fälschlicherweise als verdächtig klassifiziert wird. Gilt das heute immer noch und schaffen moderne Systeme das?
Nouak: Also die modernen Systeme kommen da unter Laborbedingungen ganz sicher hin, wenn nicht auch besser. Trotzdem ist das in der Praxis sicher schwer zu erreichen, weil einfach die entsprechende Infrastruktur noch nicht existiert und weil sehr viele Parameter da mit reinspielen; Um die Erkennungsrate entsprechend hoch zu halten und damit auch die Falscherkennungsrate entsprechend niedrig.
Trotzdem kann aber so ein System der Polizei sicherlich hilfreich sein, denn auch wenn sehr viele Falschmeldungen kommen, so sind diese Falschmeldungen immer noch besser, als gar keine Meldungen. Ich glaube, dass solche Systeme gerade an Bahnhöfen, an Flughäfen durchaus hilfreich sein können.
Gesichtserkennung durch Vermummung austricksen
Krauter: Wie schwer wäre es, für einen Schurken, der diese Systeme kennt, sie in die Irre zu führen?
Nouak: Der ganz große Nachteil von Gesichtserkennung ist, dass ich sie natürlich sehr einfach austricksen kann, indem ich ihr gar kein Gesicht präsentiere, also durch Vermummung. Das wird wahrscheinlich zur Folge haben, dass es auf Bahnhöfen und auf Flughäfen Vermummungsverbote geben wird.
Trotzdem glaube ich, dass die Systeme Schwierigkeiten haben werden mit Teilverdeckungen. Tatsache ist, dass das Verändern des Gesichts Gesichtserkennungssysteme aushebeln könnte.