Archiv


"Gesine Lötzsch ist niemand, der die Mauer rechtfertigt"

Der Bau der Mauer 1961 "war ein Eingeständnis einer Niederlage", sagt Dietmar Bartsch, stellvertretender Fraktionschef der Linken. Ebenso wie bei Gesine Lötzsch sei auch seine Grundposition, dass der Sozialismus Mehrheiten brauche und nicht erzwungen werden könne.

Dietmar Bartsch im Gespräch mit Gerwald Herter |
    Gerwald Herter: Über den Mauerbau mag man denken, wie man will: Jetzt, kurz vor dem 50. Jahrestag der Abriegelung mitten durch Berlin, dürfte der Zeitpunkt aber alles andere als ideal sein, um neue und gewagte Erklärungen in die Welt zu setzen. Die Chefin der Linkspartei Gesine Lötzsch hat das getan, und damit für einige Aufregung gesorgt. Mauerdebatte Linkspartei (MP3-Audio) Marc Saha berichtet.

    Was der stellvertretende Fraktionschef der Linken im Deutschen Bundestag Dietmar Bartsch im Herzen trägt, das kann er uns nun sagen, wir sind mit Dietmar Bartsch verbunden. Guten Morgen, Herr Bartsch!

    Dietmar Bartsch: Ich grüße Sie, guten Morgen!

    Herter: Herr Bartsch, macht es Sie misstrauisch, wenn Politiker historische Zusammenhänge erklären? Mir, offen gesagt, sind Interpretationen von Historikern lieber. Ihnen auch?

    Bartsch: Ja, selbstverständlich, Historiker sollen Geschichte beurteilen, bewerten, analysieren, nach Fakten, das soll auch so sein, das ist im Übrigen in Deutschland üblich, das ist auch in der Linken üblich. Wir haben eine sehr kompetente historische Kommission, die sich seit vielen, vielen Jahren mit historischen Fakten beschäftigt und die dann Schlussfolgerungen zieht, die politische Vorschläge macht. Und auch hier, auch beim Mauerbau ist es so gewesen, dass die historische Kommission, die es schon in der PDS gab, die es in der Linken gab, sich sehr, sehr umfangreich damit befasst hat, und wir als Partei haben uns mehrfach sehr klar und eindeutig auch mit diesem Datum, mit diesem so schmerzhaften Datum in der deutschen Geschichte und insbesondere auch für die Linke, beschäftigt. Lassen Sie mich einen Satz klar und deutlich zu Beginn sagen: Es geht vor allem um die eigene Glaubwürdigkeit der Linken bei dieser eindeutigen Positionierung in der Frage zum Mauerbau, und das haben wir mehrfach in großer Klarheit getan, und da wollen und werden wir auch nicht dran rütteln lassen. Das, was Herr Dobrindt dort macht – der hat offensichtlich wirklich im Bayrischen Wald den Schuss nicht gehört.

    Herter: Was aber hat Gesine Lötzsch zu dieser Äußerung über die Mauer getrieben, Her Bartsch?

    Bartsch: Also auch Gesine Lötzsch sagt klar und eindeutig, dass die Mauer völlig inakzeptabel war. Es gibt kein Ideal, keinen höheren Zweck, das das Unrecht, was mit der Mauer verbunden war, in irgendeiner Weise rechtfertigt. Gesine Lötzsch hat darauf hingewiesen, dass natürlich es historische Zusammenhänge gibt, und sie hat den Satz gesagt – und den unterstreiche ich –, dass die Teilung Deutschlands … Die Teilung Deutschlands 1945 ist ein Ergebnis des Zweiten Weltkriegs. Das ist völlig unbestritten. Also es gab die vier Besatzungszonen. Die Teilung 48, 49 ist zwar zunächst mal ein anderes Thema, aber sie ist ein Ergebnis dieses Krieges.

    Herter: Aber der Mauerbau ist doch dann nicht das Ergebnis des Zweiten Weltkrieges.

    Bartsch: Die Mauer ist 1961 gebaut worden und sie ist letztlich … Letztlich war die Mauer das Eingeständnis der Führung der SED, dass der davor immer propagierte Wettbewerb der Systeme bei offenen Grenzen nicht bestanden werden kann …

    Herter: Und die DDR nicht überlebensfähig ist.

    Bartsch: … und die DDR so nicht hätte überleben können. Ich will allerdings auch darauf hinweisen, dass es natürlich zu dem damaligen Zeitpunkt eine sehr, sehr hohe Kriegsgefahr gab, und ich will hier mal Kennedy zitieren. Kennedy hat zur Mauer gesagt: Es ist keine schöne Lösung, aber 1000 Mal besser als Krieg. Ich will mich nicht hinter Kennedy verstecken, aber der hat zu diesem Zeitpunkt die Gefahr gesehen, und da sind wir uns sicherlich auch einig, dass ein Krieg in der Mitte Europas verheerend zum damaligen Zeitpunkt gewesen wäre. Das ist keine Rechtfertigung der Mauer, das sind Fakten, die mit dazugehören. Ich bleibe dabei, in großer Klarheit: Die Mauer war der größte Fehler und sie war ein Eingeständnis einer Niederlage.

    Herter: Hat es Frau Lötzsch an dieser Klarheit gefehlt?

    Bartsch: Also ich habe sie nicht so verstanden. Wir haben ja hier die Situation: In Mecklenburg-Vorpommern, wo ich gerade bin, ist Wahlkampf. Natürlich wird von den politischen Konkurrenten jede leicht missverständliche Äußerung auch genutzt. Aber Gesine Lötzsch – wie alle in der Partei – … Wir haben eindeutige Beschlusslagen seit Jahren, wir haben uns zum 40. Jahrestag des Mauerbaus ganz umfangreich in großer Klarheit geäußert. Die historische Kommission der Linken hat sich zum 50. Jahrestag in großer Klarheit eindeutig geäußert. Und ich habe bei Gesine Lötzsch überhaupt keinen Zweifel, dass die Grundposition, die wir haben – dass nämlich der Sozialismus Mehrheiten braucht und nicht erzwungen werden kann, nicht auf Bajonetten errichtet werden kann, wo wir in der großen Tradition von Rosa Luxemburg stehen, die das auch in Auseinandersetzungen sowohl 1918 mit der Sozialdemokratie aber auch mit den radikalen Linken so festgestellt hat –, dass Gesine Lötzsch sich genau in dieser Tradition befindet wie auch ich.

    Herter: Herr Bartsch, versucht Frau Lötzsch nicht einfach, Kompromissformeln zu finden für Mitglieder der Linkspartei, die den Mauerbau immer noch für eine gute Sache halten?

    Bartsch: Nein, also das versucht Gesine Lötzsch nicht. Ich muss auch dem Historiker, den Sie interviewt haben, deutlich widersprechen. Also die Linke hat über 70.000 Mitglieder. In der SED waren von denen wenige, deutlich weniger als 30.000, und dies zu suggerieren, dass hier die Partei der Mauerverteidiger ist, das ist wirklich Unsinn. Das ergeben im Übrigen auch alle empirischen Untersuchungen, dass das nicht der Fall ist. Gerade für uns ist doch die Mauer wirklich was ganz, ganz Schmerzhaftes. Wir haben doch bis heute unter dem Erbe des Mauerbaus zu leiden, wir haben uns dieser Tradition zu stellen. Das machen wir auch, das machen wir auch, und zwar nicht demütig und nicht im Sinne, dass uns andere sagen, das und das müsst ihr tun – also da sollte auch Herr Lindner, der soll sich um seine Partei kümmern und mal nachfragen, was haben denn eigentlich die von ihm geschluckten Blockparteien damals gemacht? Also von denen müssen wir uns keine Vorschriften machen lassen.

    Herter: Was tun Sie denn, Herr Bartsch, um die Mitglieder der Linkspartei, die davon überzeugt sind, dass die Mauer eine gute Sache war, vom Gegenteil zu überzeugen?

    Bartsch: Wissen Sie, da muss man niemanden vom Gegenteil überzeugen. Dass das so ist, ist ein schlichter Fakt. Der Mauerbau hat der linken Bewegung, hat der sozialistisch, der demokratisch-sozialistischen Idee geschadet. Das ist klar und erwiesen.

    Herter: Warum streitet der Landesverband Mecklenburg-Vorpommern über diese Frage?

    Bartsch: Wissen Sie, ich bin Mitglied in dem Landesverband. Dort gibt es Positionen, die durchaus etwas abweichen. Aber ganz klar und eindeutig hier in Mecklenburg-Vorpommern – das haben der Landesvorsitzende, der Spitzenkandidat zu den Landtagswahlen, der Landesvorstand, alle Gremien eindeutig festgestellt, wie unsere Positionierung ist. Dass hier eine Positionierung, die etwas abweichend ist, die im Übrigen aber auch keine ist, die die Mauer verteidigt, … Also hier wird denjenigen unterstellt, als wenn sie die Mauer verteidigen. Das ist nicht der Fall. Wir werden aber auch auf dem Parteitag, der am Wochenende, am 13. August im Übrigen, stattfindet und wo wir ja auch dann mit einem Ausweis unseres Verständnisses des Mauerbaus geben, werden wir uns auch zu dieser Frage ein weiteres Mal klar positionieren. Das ist, ich wiederhole das, um unser selbst willen: Wir wollen nicht jetzt in der Situation in Mecklenburg-Vorpommern den Mauerbau zum Thema machen, wir kümmern uns um die Interessen der Menschen, wir haben große Probleme hier, wir wollen ein Wahlergebnis haben, was einen Politikwechsel möglich macht, und da ist auch notwendig, eine klare Haltung zum Bau der Mauer im Jahre 1961 einzunehmen.

    Herter: Und Sie erwarten da eine ruhige und sachliche Diskussion?

    Bartsch: Nein, eine Diskussion zu diesem Thema ist emotional in der Linken, das ist doch auch klar, wenn viele Menschen auch dabei sind, die das erlebt haben aus sehr unterschiedlichen Gründen, im Übrigen auch Menschen inzwischen, die damals aus der DDR gegangen sind, die heute bei uns sind. Also es ist ja eine wirklich differenzierte Mitgliedschaft. Das ist immer mit Emotionen verbunden, aber noch mal klar und eindeutig: Bei aller Bedeutung des Mauerbaus – unsere Kernaufgabe ist jetzt, hier in diesem Land und auch in der gesamten Bundesrepublik sich um die Interessen der Menschen … Wir sind hier bei den Menschen vor Ort, und wir wollen ein Angebot machen, dass wir auch wahlpolitisch am 4. September eine entsprechende Ernte einfahren können.

    Herter: Und ist Ihre Chefin Gesine Lötzsch dafür die richtige Frau?

    Bartsch: Ich will auch das wiederholen: Gesine Lötzsch hat eine klare und eindeutige Positionierung zum Mauerbau. Dass hier teilweise ihr jetzt etwas unterstellt wird, dass sie die Mauer rechtfertigt, das kann ich wirklich nur auf das Schärfste zurückweisen. Gesine Lötzsch ist niemand, der die Mauer rechtfertigt.

    Herter: Ist das Problem Ihrer Partei nicht, dass sie zu sehr an bestimmten Wählergruppen festhält und dadurch sich ein Bein stellt und es nicht schafft, neue Wählergruppen zu gewinnen?

    Bartsch: Ach wissen Sie, wir sind die Partei, die gerade bei den letzten Bundestagswahlen enorm Wählergruppen gewonnen hat. Wir hatten ja bei der Bundestagswahl in meinem Bundesland Mecklenburg-Vorpommern, wo ich Spitzenkandidat war, 29 Prozent. Da können wir sehr stolz sein. Ich hatte gestern eine Wahlveranstaltung auf Rügen, wo wir die Landrätin stellen, die die absolute Mehrheit gewonnen hat, wo wir Bürgermeister stellen und wirklich uns engagieren für die Menschen hier. Das ist unser Anliegen, und dazu gehört – ich wiederhole das sehr, sehr gern auch – eine unmissverständliche Positionierung zum Mauerbau. Es ist und bleibt so, dass der Mauerbau ein riesengroßer Fehler war und dass eine klare und eindeutige Positionierung der Linken um unserer selbst willen notwendig ist. Und das werden wir häufig, wie ich eben auch bei Ihnen, wiederholen.

    Herter: Das war Dietmar Bartsch über den Mauerbau und die umstrittenen Äußerungen seiner Parteifreundin Gesine Lötzsch. Herr Bartsch, besten Dank für dieses Gespräch!

    Bartsch: Ich danke Ihnen auch, alles Gute!

    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.

    Mehr zum Thema:
    Sammelportal 50 Jahre Mauerbau