Die SPD unterstütze den generellen Impetus von Macrons Vorschlägen, sagte Gesine Schwan, die Vorsitzende der SPD-Grundwertekommission im Dlf. Gehe es um das Euro-Budget, die Bankenunion und die Militärausgaben, die Macron erhöhen wolle, dann weiche man aber von dessen Vorschlägen ab. Deutschland wolle nicht für die Schulden von anderen Staaten aufkommen. De facto habe man sie aber, wie im Falle Griechenlands, durch Warten schon übernommen. "Man muss weitsichtiger Politik machen", sagte Schwan. Ziel müsse eine Wachstumsunion sein.
Das Interview in voller Länge:
Martin Zagatta: Tritt die Bundesregierung auf die Bremse, wenn es um die Vorschläge geht, mit denen der französische Präsident Macron speziell die Eurozone reformieren will – mit einem gemeinsamen Haushalt etwa, mit einem Euro-Finanzminister, mit einer Bankenunion oder einem Europäischen Währungsfonds. Kritik an der zögerlichen Haltung Berlins kommt insbesondere auch aus der SPD. Die Grundwertekommission der Sozialdemokraten hat da jetzt ein Papier vorgelegt mit dem Titel "Antwort an Präsident Macron", und um was es ihr damit geht, das kann ich jetzt Gesine Schwan fragen, die Vorsitzende dieser SPD-Grundwertekommission. Guten Morgen, Frau Schwan!
Gesine Schwan: Guten Morgen, Herr Zagatta!
Zagatta: Frau Schwan, kann man diese Antwort an Macron, 15 eng bedruckte Seiten mit vielen Punkten – ich hab das gelesen –, kann man das so zusammenfassen, dass Sie Macrons Vorschläge zur Reform der EU im Großen und Ganzen unterstützen und von der deutschen Politik fordern, da jetzt auf den französischen Präsidenten zuzugehen und mit ihm einen Strang ziehen? Hab ich das so richtig verstanden?
Schwan: Ja, jedenfalls wollen wir, dass endlich eine Antwort erteilt wird, denn wir finden es beschämend, dass Deutschland und eben auch die SPD bisher da sich nicht deutlich geäußert hat. Wenn Sie sagen, im Großen und Ganzen unterstützen, dann unterstützen wir auf jeden Fall den Impetus, der dahintersteht, und auch eine ganze Reihe von Punkten. Es gibt aber zum Beispiel einige Punkte, wo wir auch etwas divergieren, und es gibt Punkte, wo wir darüber hinausgehen. Die Punkte, wo wir divergieren, ist, dass wir nicht ein so großes Eurobudget anstreben, wie er das vorschlägt. Genauso glaube ich, ist gerade - und Italien zeigt das - das Problem der Bankenunion nicht von der Hand zu weisen, dass es eben noch sehr viele sehr gefährdete Banken gibt bei unseren Nachbarn, und da schlagen wir zunächst mal eine Klärung und dann eine stufenweise Union vor. Aber darüber hinaus wollen wir noch erheblich mehr im sozialen Bereich machen.
"Wir haben den Eindruck, da ist ein bisschen ein Schubser notwendig ist"
Zagatta: Und da kritisiert Sie ausdrücklich auch die Führung Ihrer Partei, denn die SPD, die stellt ja den Außen- und den Finanzminister. Die sind Ihnen auch zu zögerlich?
Schwan: Wir kritisieren die da gar nicht, die sind auch darüber informiert, und ich habe im Gegenteil den Eindruck, dass Finanzminister Scholz bei seiner letzten Bundestagsrede auch durchaus in Kenntnis dieses Papiers gesprochen hat. Sie kennen das alle, die Parteiführung ist auch darüber informiert gewesen, dass wir aus einem wirtschaftspolitischen Workshop, den die Grundwertekommission initiiert hat, diese Dinge formuliert haben. Auch der Generalsekretär bringt das in die Partei, also das ist jetzt nicht gegen die Partei oder die Spitze, aber wir haben den Eindruck, da ist ein bisschen ein Schubser notwendig.
Zagatta: Aber Olaf Scholz steht doch da mit auf der Bremse. Er hat ja jetzt da auch festgestellt, die Bankenunion, dadurch dürfe keine unfaire Situation entstehen, in der einen die notwendigen Mittel für die Absicherung zusammenbringen, während die anderen die nötigen Voraussetzungen nicht schaffen. Oder was diesen Währungsfonds angeht, da will doch auch er jetzt, dass die parlamentarische Kontrolle durch den Bundestag gesichert bleibt. Da bremst doch auch die SPD.
Schwan: Na ja, wir haben gesagt, als es um die Zustimmung zur Großen Koalition ging, dass das eine die Große Koalition ist, das andere die Position der Partei. Dass Olaf Scholz als zentrales Mitglied des Kabinetts nicht alles so erklären kann, wie wenn er selbst Kanzler wäre, ist ja klar, aber deswegen ist es umso notwendiger, dass aus der Partei – und wir sind auch Partei, sind nicht nur die Kabinettsmitglieder, die eben doch gebundener sind – deutlich die Position kommt, die die SPD wirklich vertreten möchte und wo sie auch hinsteuert, das ist ja ein Punkt. Wir müssen trotz Großer Koalition uns auch unterscheiden.
"Wenn wir weiter warten, bricht das politisch auseinander"
Zagatta: Erwarten Sie da mehr von Ihrem Finanzminister?
Schwan: Ich habe den Eindruck, dass der Finanzminister zurzeit sehr genau prüfen lässt, wie das mit dieser Bankenunion ist, und das ist ja auch keine einfache Entscheidung. Wir sehen das an Italien, wie schwierig das ist, wenn da so viele faule Kredite in den Banken sind und man in der Tat nicht einfach zumuten kann, dass die Deutschen das übernehmen sollen, zumal wenn man sieht, wie jetzt gegenwärtig diese beiden Parteien verantwortungslos mit dem Budget umgehen. Auf der anderen Seite glauben wir, dass dieses Zuwarten und überhaupt die Politik der letzten zwölf Jahre mit dazu beigetragen hat, dass in Südeuropa eine Situation entstanden ist wie in Italien, wo eben im Grunde die Extreme von links und rechts gewinnen. Das ist ja der Punkt: Wenn wir weiter zuwarten, bricht das politisch auseinander, und das ist der Hauptvorwurf vor allen Dingen an Kanzlerin Merkel, an den früheren Finanzminister Schäuble. Und deswegen versuchen wir intensiv darauf hinzuweisen, dass es eine Reihe von Punkten gibt, die vernünftig durchgeführt werden können und müssen, auch zum Anfassen, auch im Bereich der Flüchtlings- und der Asylpolitik, die in eine Kommunenförderungspolitik umgewandelt werden soll überall. Da gibt es Möglichkeiten, und da muss man nun auch ein bisschen mehr in die Zukunft gucken, als das vor allen Dingen Kanzlerin Merkel tut.
Zagatta: Aber was soll man denn da machen? Macron wirft uns Deutschen ja Sparfetischismus vor, Sie kritisieren in Ihrem Papier ganz in diesem Sinne, dass es hierzulande Denkverbote gebe, mit Begriffen wie Transferunion, aber ist das nicht genau das, was die Mehrheit der Deutschen hier nicht möchte, also Sie haben es ja auch angesprochen, also nicht für die Schulden von anderen Staaten aufkommen?
Schwan: Natürlich wollen wir nicht für die Schulden von anderen Staaten einstehen, aber de facto, weil es in den vergangenen Jahren zum Beispiel in Sachen Griechenland, das ja ein viel einfacherer Fall ist als jetzt Italien, die ganze Zeit mit Zuwarten zugegangen ist, haben wir de facto sie ja dann doch übernommen beziehungsweise haben sie dann den Bevölkerungen dort oder in Griechenland aufgeschultert, und dann entstehen eben politische Bewegungen, die gegen Europa gehen. Das muss man doch sehen, man muss eben einfach weitsichtiger Politik betreiben. Und wir wollen auch nicht einfach eine Transferunion, darum geht es nicht, es geht um eine Wachstums-, eine Investitionsunion, weil das die einzige Chance ist, die Schulden vor allen Dingen auch im Süden abzubauen. Und die Zerrissenheit Europas, die doch jahrelang zugenommen hat, das muss man doch sehen, zwischen Nord und Süd, aber auch zwischen Ost und West, weil alle Probleme ohne Lösung immer vor sich hergeschoben werden, diese Zerrissenheit müssen wir überwinden. Dazu müssen wir zum Beispiel investieren, und dazu müssen wir gar keine Transferunion machen. Das Problem ist ja, dass sofort, wenn irgendein Vorschlag kommt, der Vorwurf Transferunion kommt. Auf der anderen Seite wissen wir auch, das wissen wir ja auch innerhalb Deutschlands, dass wenn eine Union so unterschiedliche Volkswirtschaften hat, dass wir da Ausgleichsmechanismen brauchen. Und wenn man dann sagt, ja, das geht aber nur an Deutschland und nicht an Europa, dann hat man nicht verstanden, dass Europa die Bedingung unserer Zukunft. Das hat aber Finanzminister Scholz ganz ausdrücklich gesagt: Europa ist unser zentrales nationales Interesse.
"Ich habe nicht die Position, Martin Schulz irgendetwas zu raten"
Zagatta: Gilt das auch für die Verteidigungspolitik? Also gerade jetzt mit Stichwort Macron, da tritt der französische Präsident ja klipp und klar für eine Aufrüstung der EU ein, dafür schon in den nächsten zwei Jahren diese zwei Prozent des Bruttoinlandsprodukts für Verteidigung auszugeben. Ist denn der französische Präsident da auch ein Vorbild für die SPD, oder betreiben Sie da Rosinenpickerei?
Schwan: Nein, wir betreiben keine Rosinenpickerei, wenn wir sagen, dass wir bestimmte Dinge gerne mit vorantreiben, weil wir sie für wesentlich halten, und andere nicht. Wir sind nicht auf dem starken Trip hier zur Stärkung des Militärs, wie es bei Macron ist. Ich glaube, wir müssen da auch politisch folgende klare Analyse machen: Die Stärke von Macron ist das französische Militär, nicht die französische Wirtschaft. Die Stärke Deutschlands ist die Wirtschaft, und Macron versucht auf diese Weise, eine Art Gegengewicht zu schaffen, aber wir folgen in unserem Vorschlag diesen militärischen Vorschlägen von Macron nicht.
Zagatta: Frau Schwan, in Ihrer Partei beim Stichwort Europa, mehren sich ja jetzt schon die Stimmen, die den so grandios gescheiterten Kanzlerkandidaten Martin Schulz zum Spitzenkandidaten der SPD bei der Europawahl vorschlagen wollen. Können Sie sich das vorstellen?
Schwan: Ehrlich gesagt, ich habe es noch nie interessant gefunden, mich bei solchen Personaldiskussionen zu beteiligen. Ich glaube, dass muss sowohl Martin Schulz selbst als auch dann die Parteispitze entscheiden. Mir kommt es jetzt vor allen Dingen darauf an, dass die deutsche SPD eine Antwort gibt und dass da ein Fortschritt entsteht, auch zum Beispiel in der Flüchtlings- und Asylpolitik.
Zagatta: Aber laufen Sie da nicht wieder Gefahr, also selbst, wenn Sie da gute Vorschläge machen zu Europa – Sie haben es auch bei der letzten Wahl dann gesehen oder nach der Bundestagswahl dann auch, als Martin Schulz Außenminister werden wollte, wie diese Personaldiskussion sich dann in den Vordergrund drängt und das alles bestimmt. Also läuft die SPD da mit Martin Schulz, wenn sie ihn tatsächlich nominiert, nicht schon wieder ins nächste Desaster?
Schwan: Ich bin nicht sicher, dass das eine gute Idee ist, ihn jetzt noch mal zu nominieren. Natürlich steht er für Europa, aber wir können ja auch von ihm noch mehr inhaltliche Vorschläge erwarten. Dann wird das Ganze vielleicht interessanter.
Zagatta: Also aus Ihrer Sicht sollte er Nein sagen zu diesem Vorschlag.
Schwan: Ich habe nicht die Position, Martin Schulz irgendetwas zu raten.
Zagatta: Dann belassen wir es dabei, und ich bedanke mich für dieses Gespräch bei Gesine Schwan, der Vorsitzenden der SPD-Grundwertekommission. Einen schönen Tag!
Schwan: Einen schönen Tag Ihnen auch, Herr Zagatta!
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.