Soziale Medien geben auch Menschen eine Plattform, die sonst nicht oder eher selten gehört werden. Das kann eine selbstermächtigende Wirkung für Minderheiten haben, aber auch Stimmen verstärken, die sich den demokratischen Grundwerten entgegenstellen, indem sie sich beispielsweise antisemitisch, rassistisch oder rechtsektremistisch äußern oder Hassrede verbreiten.
Soziale Netzwerke reagieren darauf ganz unterschiedlich. Eine Strategie ist das sogenannte "Deplatforming", das heißt: Menschen, die sich beispielsweise wiederholt offen rechtsextremistisch äußern, werden von der Plattform ausgeschlossen.
Gesperrte Accounts der Identitären Bewegung
So hat beispielsweise Twitter im Juli Konten der rechtsextremen Identitären Bewegung gesperrt - Facebook hatte dies schon 2018 getan. Bei Twitter sind nun unter anderem das Profil des Mitbegründers in Österreich, Martin Sellner, sowie Profile der Gruppe in Deutschland betroffen. Der "Identitären Bewegung Deutschland" waren zuletzt rund 30.000 Twitter-Nutzer gefolgt, Sellner knapp 40.000.
Die Sperrung der Twitter-Profile sei für die Identitäre Bewegung "ein erheblicher Einschnitt" - Twitter sei damit allerdings "spät dran", sagte der Extremismusforscher Jakob Guhl im Deutschlandfunk. Guhl forscht in London am Institute for Strategic Dialogue (ISD) zu Hass und Radikalisierung im Internet.
Twitter erklärte, die gesperrten Konten hätten gegen die Richtlinien des Kurznachrichtendienstes in Bezug auf gewalttätigen Extremismus verstoßen. Außerdem seien die Inhaber der Konten an "illegalen Aktivitäten" beteiligt. Sie hätten sich auf Twitter terroristischen Organisationen oder gewalttätigen Extremisten angeschlossen oder diese gefördert.
Einschnitt für den "metapolitische Ansatz" der Identitären Bewegung
Propaganda in den sozialen Medien spiele für die "Identitären" und die Neuen Rechten eine sehr große Rolle. Die Gruppe verfolge hier einen "metapolitischen Ansatz", indem sie versuche, die Grenzen des Sagbaren hin zum Rechtsextremismus zu verschieben, so Guhl.
Neben Twitter-Profilen betreibe die Identitäre Bewegung auch Youtube-Kanäle, Podcasts, vertreibe Musik und organisiere auch offline Proteste, die sie dann wieder öffentlichkeitswirksam ins Netz stelle. Der Verfassungsschutz hatte die Identitäre Bewegung 2019 als "gesichert rechtsextrem" eingestuft.
Beschleunigte Radikalisierungsprozesse in geschlossenen Räumen
Guhl bewertet die Kontensperrung insgesamt als positiv - auch wenn die Identitäre Bewegung nun vermutlich auf alternative Plattformen ausweichen werde. Dort erreiche sie aber deutlich weniger Menschen als bei Twitter und könne ihr Ziel der gesellschaftlichen Diskursverschiebung schwerer erreichen.
Allerdings könne ein Wechsel hin in geschlossenen Räume Radikalisierungsprozesse beschleunigen. Eine gewaltsame Radikalisierung sei hier wahrscheinlicher, schätzt Guhl.
Was die Rechtmäßigkeit der Kontensperrung angeht, verweist Guhl auf ein Urteil des Oberlandesgericht Dresden aus dem Juni 2020. Das Gericht hatte die Löschung der Accounts des mutmaßlich rechtsextremen Vereins "Ein Prozent" bei Facebook und Instagram für rechtmäßig erklärt. Dem Urteil nach steht es den Plattformbetreibern frei, in ihren Nutzungsbedingungen den Ausschluss von "Hassorganisationen" und von deren Unterstützern vorzusehen.