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Gespräche im Nahost-Konflikt werden "nicht von Erfolg gekrönt sein"

Solange Israel weiterhin Siedlungen im Westjordanland baue, könne ein Friedensprozess mit Palästina nicht funktionieren, sagt der Nahost-Experte Michael Lüders. Weil es von amerikanischer Seite keinen entsprechenden Druck auf Israel gebe, ändere sich das auch nicht.

Michael Lüders im Gespräch mit Jasper Barenberg |
    Jasper Barenberg: Sechs Vermittlungsreisen in nur fünf Monaten – mangelnden Einsatz jedenfalls kann man dem neuen US-Außenminister John Kerry wahrlich nicht absprechen bei dem Versuch, die Friedensverhandlungen zwischen Israel und den Palästinensern wieder in Gang zu bekommen. Nun also ein erstes greifbares Ergebnis: In Washington sollen Unterhändler beider Seiten in der kommenden Woche direkte Gespräche über eine Friedenslösung führen. Am Telefon ist jetzt der Autor und Nahost-Experte Michael Lüders. Schönen guten Tag!

    Michael Lüders: Schönen guten Tag, hallo!

    Barenberg: Herr Lüders, sechsmal musste John Kerry anreisen, in die Region reisen, um einen Gesprächstermin zu vereinbaren, einen möglichen Gesprächstermin nächste Woche. Kann man da von einem Erfolg, von einem Durchbruch gar sprechen?

    Lüders: Nein. Diese Reise von John Kerry, die ja mittlerweile die sechste ist, die er in wenigen Wochen in die Region unternommen hat, wird nicht von Erfolg gekrönt sein. Es ist sehr ehrenwert, dass er sich der Mühe unterzieht, diesen Friedensprozess wieder in Gang zu setzen, aber es kann nicht funktionieren, wenn der Kern dafür, oder die Ursache dafür, dass dieser Friedensprozess seit 2010 nicht mehr funktioniert, überhaupt nicht mehr stattfindet, ist die anhaltende Siedlungspolitik Israels. Mittlerweile sind 60 Prozent des Westjordanlandes unter fester Kontrolle der israelischen Siedler. Und vor diesem Hintergrund sagen die Palästinenser: Worüber sollen wir eigentlich noch verhandeln? Wir haben kein Land mehr, das für einen palästinensischen Staat zur Verfügung steht. Und dementsprechend können diese Verhandlungen auch nicht fruchten, solange es nicht wirklich Druck gibt auf die israelische Regierung, ihre Politik zu verändern.

    Barenberg: Nun könnte man ja meinen und glauben, dass gerade die vielen Reisen, die John Kerry unternommen hat, Ausdruck dafür sind, dass Washington den Druck erhöhen will. Sehen Sie das anders?

    Lüders: Diesen Druck gibt es seitens der USA nicht. Barack Obama hat versucht, die Dinge wirklich wieder in Fluss zu bringen, indem er das letzte Mal vor drei Jahren ins Gespräch gebracht hat, dass man doch eine Friedenslösung finden könnte zwischen Israelis und Palästinensern auf der Grundlage der Grenzen von 1967. Im Sechstagekrieg damals hatte Israel das Westjordanland, den Gazastreifen, die syrischen Golanhöhen und Ostjerusalem erobert, und Barack Obama hatte damals vorgeschlagen, okay, entlang dieser Grenzen, mit ein bisschen Gebietsaustausch könnte man eine Lösung finden, und es erhob sich ein Sturm der Entrüstung seitens der pro-israelischen Lobby in den USA, und dieser Vorschlag wurde wieder fallen gelassen. Barack Obama wird sich in Sachen Israel nicht mehr die Finger verbrennen wollen.

    John Kerry hat jetzt eine gewisse Narrenfreiheit, hier die Dinge wieder in Bewegung zu bringen, aber es kann nicht fruchten. Denn die Krux bleibt, die Frage, wie kann man die israelische Regierung dazu bewegen, diese Siedlungspolitik zu beenden. Wenn man sich vor Augen hält, dass die Likud-Partei, die größte und stärkste Partei in Israel unter Führung von Netanjahu, in ihrem Wahlkampf klipp und klar gesagt hat, es wird mit uns keinen palästinensischen Staat geben westlich des Jordanflusses, dann ist die Frage natürlich schwer zu beantworten, wo da ein palästinensischer Staat entstehen soll. Das Problem ist, dass für viele Teile, für weite Teile der israelischen Öffentlichkeit sind die besetzten Gebiete, ist das Westjordanland nicht besetzt, sondern es ist Teil des biblisch verheißenen "Eretz Israel" und somit jüdisches Kernland. Und vor dem Hintergrund dieser Wahrnehmung ist es sehr schwierig, mit den Palästinensern einen territorialen Kompromiss zu finden.

    Barenberg: Viel Skepsis klingt ja auch aus dem, was man als erste Reaktionen bezeichnen könnte. Der Sprecher von Machmud Abbas, dem Palästinenserpräsidenten, sagt ja ganz offen, dass noch Detailfragen zu klären sind vor dem Beginn solcher Gespräche. Ein Vertreter der PLO lässt wissen, dass diese Ankündigung keineswegs die Rückkehr zu Verhandlungen bedeutet, sondern nur die Fortsetzung der Bemühungen, die palästinensischen Forderungen zu erreichen. Es wurden keine Einzelheiten bekannt gegeben. Was also haben wir jetzt in der Hand außer einem Versuch, der nach Ihrer Ansicht scheitern wird?

    Lüders: Im Grunde genommen ist das alles, was wir jetzt erleben, politischer Aktionismus. Es ist Rhetorik, es ist der Versuch, diesen Friedensprozess wieder ins Leben zu rufen, aber, wie erwähnt, es kann nicht funktionieren. Aus israelischer Sicht macht es Sinn, die Fiktion eines Friedensprozesses am Leben zu erhalten, um auf diese Art und Weise zu demonstrieren, wir tun ja was. De facto wird aber eine Siedlung nach der anderen gebaut. Wenn man durch das Westjordanland fährt, dann sieht man zwischen Jerusalem und Hebron eigentlich kaum noch einen Hügel, auf dem nicht eine israelische Siedlung steht. Und aus palästinensischer Sicht ist man es leid, an einer Friedensfarce teilzunehmen, die darin besteht, dass man von Frieden redet, aber es wird immer mehr palästinensisches Land konfisziert. Und an diesem Scheidepunkt sind wir jetzt.

    Es ist interessant, dass vor diesem Hintergrund die Europäer nun erstmals übereingekommen sind, dass man Druck ausüben muss auf die israelische Regierung. Die Ankündigung, dass man ab nächstem Jahr nicht mehr israelische Siedlungen wirtschaftlich unterstützen wird im Westjordanland, ist eine wirkliche Korrektur europäischer Politik. In der Vergangenheit hat man die israelische Siedlungspolitik kritisiert, aber es blieb bei dieser Kritik. Jetzt zum ersten Mal drohen die Europäer damit, dass sie es nicht bei Worten belassen, sondern dass sie ihren Worten Taten folgen lassen. Darüber ist man in Israel sehr empört, weil man zu Recht erkennt, dass dies nur der erste Schritt ist. Viele Kommentatoren in Israel haben die Sorge, dass Israel ähnlich an den Pranger gestellt werden könnte aufgrund der Siedlungspolitik wie früher Südafrika, und davor hat man sehr große Angst.

    Barenberg: Wird das denn die Verhandlungsposition der Europäer, die ja sowieso nicht zu vergleichen ist mit der der Amerikaner, eher stärken oder doch am Ende schwächen?

    Lüders: Na ja, im Grunde genommen spielen die Amerikaner und die Europäer zurzeit "good cop, bad cop", und die Europäer bemühen sich jetzt, ein bisschen Druck auszuüben. Das allein wird nicht fruchten. Es ist aber eine interessante Debatte zu beobachten in Israel selbst. Am vorigen Dienstag löste Gideon Levy, einer der bekanntesten Leitartikler in Israel, einen Sturm der Entrüstung aus, als er in der Zeitung "Haaretz" schrieb, dass die einzige Chance, Israel, die israelische Regierung dazu zu bewegen, von ihrer Siedlungspolitik abzulassen, darin bestünde, dass man Israel vollumfänglich boykottiere, und zwar in wirtschaftlicher, in politischer und sogar in kultureller Hinsicht.

    Das hat natürlich einen Sturm der Entrüstung ausgelöst, aber es gibt nicht wenige, die ihm recht geben, die sagen, wenn es keine klare Ansage gibt an die Adresse der israelischen Regierung, wird diese Siedlungspolitik immer weiter gehen. Und vor allem, das Bizarre ist, es gibt mittlerweile mehr Palästinenser zwischen Mittelmeer und Jordanfluss als jüdische Einwohner. Und es ist klar, dass, wenn diese israelische Politik weiter geht, am Ende eine jüdische Minderheit über eine palästinensische Mehrheit herrschen wird, und das kann eigentlich nicht gut gehen.

    Barenberg: Der Nahost-Kenner Michael Lüders heute Mittag hier in den Informationen am Mittag. Danke für das Gespräch, Herr Lüders!

    Lüders: Vielen Dank!


    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.

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