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Gespräche mit Schriftstellern
Die Marotten und Manien der Autoren

Die ausführlichen Schriftsteller-Interviews des 1953 in Paris gegründeten und inzwischen in New York ansässigen Literaturmagazins "Paris Review" sind legendär. Zwölf dieser Gespräche etwa mit Alice Munro oder Max Frisch kann man jetzt in einem Sammelband noch einmal nachlesen.

Von Shirin Sojitrawalla |
    Die kanadische Literaturnobelpreisträgerin Alice Munro am 10. Oktober 2013 lächelnd.
    Die Literaturnobelpreisträgerin Alice Munro zeigt sich im Interview als ebenso sympathische wie reflektierte Menschenkennerin. (Derek Shapman / Handout / dpa)
    Es gibt Fragen, die bei Lesungen zuverlässig dann gestellt werden, wenn auch das Publikum die Möglichkeit zum Fragen bekommt: "Haben Sie das alles selbst erlebt?", lautet so eine Frage oder "Wann schreiben Sie?". Manch einer mag über solch' vordergründig simplen und direkten Fragen die Nase rümpfen, ohne zu ahnen, dass sie häufig bedenkenswerte Antworten nach sich ziehen. Dabei folgen Gespräche mit Schriftstellern eigenen Gesetzen und haben immer genauso viel mit dem Befragten wie mit dem Fragenden zu tun. Ein geglücktes Gespräch ist durchaus ein Kunststück. Im 1953 in Paris gegründeten und inzwischen in New York beheimateten Literaturmagazin "Paris Review" gehörten ausführliche Schriftstellerinterviews von Anfang an dazu. Heute sind sie legendär. Und das zu Recht, erfährt man hier nicht nur Außerordentliches über Autoren und ihre Marotten und Manien, sondern erlebt auch manche Sternstunde in der Kunst des Gesprächs.
    Alexandra Steffes hat dankenswerterweise viele der Interviews übersetzt und gibt jetzt schon den zweiten Band mit ihnen heraus: Zwölf Autoren und Autorinnen antworten diesmal, lästern über Kollegen, schwatzen sich fest, zieren sich mit Worten, sind zickig, nett und arrogant. Dabei erweisen sich die meisten als ihrem Werk artverwandt: Die letztjährige Literaturnobelpreisträgerin Alice Munro zeigt sich als ebenso sympathische wie reflektierte Menschenkennerin, die in ihren Ausführungen ähnliche Abgründe offenbart wie in ihren Kurzgeschichten. An einer Stelle gesteht sie, dass sie nie gelernt habe, ein äußerst vielseitiges Leben zu führen und das Schreiben das Einzige gewesen sei, was sie je besessen habe, um ihr Leben auszufüllen. An anderer Stelle hofft sie inständig, noch einen Roman zu schreiben, um nicht nur Stückwerk zu hinterlassen, wie sie sagt.
    Das Interview wurde bereits 1994 veröffentlicht und offenbart Grundsätzliches, indem es Gesetzmäßigkeiten bloßlegt, die sich nicht mit Aktualitäten aufhalten. Das Prädikat "zeitlos" verdienen alle in dem Band enthaltenen Gespräche. Der Aufbau der einzelnen Kapitel folgt dabei ein und demselben Muster. Den Anfang bildet eine Seite aus einem Manuskript des jeweiligen Schriftstellers, mal getippt, mal handschriftlich, mal nicht zu entziffern, weil unleserlich oder in japanischer Schönzeichenschrift, wie bei Haruki Murakami. Danach folgt jeweils eine kurze Erläuterung der Umstände des Interviews und darauf folgt das meist rund 30 Seiten lange Gespräch selbst. Bei den Interviewern handelt es sich um Kritiker oder Schriftsteller, die mal bessere, mal gute Fragen stellen, immer aber exzellent vorbereitet ins Gespräch gehen. Und das würde sich auch für die Leser empfehlen oder, um es anders zu sagen, wer mit den Werken der jeweiligen Autoren nicht zumindest ein wenig vertraut ist, dürfte sich manches Mal verloren fühlen, ranken sich die Gespräche doch auch um Feinheiten bestimmter Werke, Merkmale des Stils und Spitzfindigkeiten des jeweiligen Schaffens.
    Ebenso lesenswert wie entlarvend
    Dabei gibt es in diesem neuerlichen Band Gespräche, die ebenso lesenswert wie entlarvend sind, auch wenn sie als Gespräch gescheitert sein mögen: Dazu gehört an vorderster Stelle das Interview mit Evelyn Waugh. Er liegt bezeichnenderweise im Bett, während er antwortet. Das Gespräch, das im Londoner Hyde Park Hotel geführt wurde, ist viel kürzer als die anderen, die Fragen sprunghaft und diffus. Lesenswert ist es aber schon allein wegen dieses unverschämten Satzes: "Ich finde Faulkner unerträglich schlecht".
    Die Herausgeber konnten es verständlicherweise nicht lassen, das Interview direkt im Anschluss an das mit William Faulkner zu setzen. Der wiederum besticht auf der abgebildeten Manuskriptseite aus dem Roman "Als ich im Sterben lag" mit einer gestochenen Handschrift. Aus den Vorbemerkungen erfahren wir, dass er als junger Mann bei der Poststelle einer Universität beschäftigt war, bis er dort wegen "Lesens bei der Arbeit" entlassen wurde. Im Gespräch erweist er sich als kategorisch und vertritt die Meinung, dass zum Handwerkszeug eines Schriftstellers bloß Papier, Tabak, Essen und ein bisschen Whiskey gehöre. Auch das hübsche Bonmot, dass diejenigen, die Schriftsteller sein wollten, Rezensionen läsen, während diejenigen, die schreiben wollten, keine Zeit dazu hätten, findet sich in diesem Interview.
    Als besonders netter Gesprächspartner und richtiggehende Plaudertasche präsentiert sich dann Jorge Luis Borges, der richtig ins Quatschen gerät und sich gar nicht mehr trennen mag, obwohl schon längst andere Gäste vor seiner Türe warten. Sehr offen spricht später Raymond Carver, der geradewegs aus einem Roman von Richard Yates spaziert zu sein scheint, über seine Alkoholsucht. Dabei verhält er sich beim Antworten wie beim Schreiben auch: Knapp, klar und geradeheraus. Dass sein Schreibtisch keinerlei Schnickschnack aufweist, wundert einen nicht. Dann schon eher das divenhafte Von-oben-herab von V.S. Naipaul, dem man sofort bereit ist zu glauben, dass er schon früh ein sehr berühmter Schriftsteller werden wollte und das diese Ambition da war, bevor er überhaupt wusste, was er schreiben sollte. So sind sie die zu recht weltberühmten Interviews der "Paris Review": unterhaltend, anregend, aufschlussreich, geistreich und zuweilen einfach wunderbar.
    Der für uns wunderbarste Moment in diesem Band ereignet sich am Ende des Gesprächs mit dem Schweizer Schriftsteller Max Frisch. Gefragt nach der einen Geschichte, an die er sich für immer erinnern möchte, antwortet er zunächst mit dem Mythos von Ikarus. Ein paar Monate nach dem Gespräch ruft die Interviewerin Max Frisch noch einmal an, um sich zu erkundigen, ob er irgendwelche Änderungswünsche habe oder einen Kommentar hinzufügen wolle. Max Frisch antwortet mit ja und bittet sie: "Sagen Sie denen, dass ich für einen ganz kurzen Moment geflogen bin. Nur für einen Moment – zur Küche und wieder zurück –, aber dass Sie mich haben fliegen sehen."
    Die Paris Review. Interviews-02.
    Herausgegeben und aus dem Englischen übertragen von Alexandra Steffes
    Edition Weltkiosk im C.W. Leske Verlag, 349 Seiten, 19,90 Euro