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Neustart des Musiklebens
"Wir haben nicht gelernt, zusammenzustehen"

Im Sommer feiert das Mozartfest Würzburg seinen 100. Geburtstag. Das Jubiläumsfestival soll stattfinden – trotz Pandemie. Intendantin Evelyn Meining forderte im Dlf bundesweite Regelungen für Kulturveranstaltungen. Sie kritisiert, dass das Bewusstsein über den Stellenwert von Kultur unterentwickelt sei.

Evelyn Meining im Gespräch mit Raoul Mörchen |
    Eine blonde Frau schaut lächelnd in die Kamera. Sie hat eine Perlenkette und ein schwarzes Oberteil an. Hinter ihr ist eine Wand mit groben Steinen.
    Ist Mitglied im Forum Musik Festivals: die Intendantin des Mozartfestes Würzburg, Evelyn Meining. (Dita Vollmond)
    Raoul Mörchen: Kann ich bei Ihnen eigentlich schon Eintrittskarten bestellen?
    Evelyn Meining: Ja, also Eintrittskarten können unsere Kunden schon seit November bestellen. Und die warten jetzt schon vier Monate darauf, dass wir Ihnen sagen, ob sie auch einen Platz im Konzert haben. Denn wir haben in diesem Jahr – in der Erfahrung aus dem letzten Jahr – unser Ticketing-System umgestellt und haben eben nicht reserviert und Kaufkarten ausgegeben, sondern nur Reservierungen eingebucht und gesagt: Acht Wochen vor dem Konzert werden dann die Besucher informiert, ob sie auch einen Platz haben.
    Mörchen: Das heißt, Sie haben eine durchnummerierte Liste und am Ende entscheidet sich dann, wie weit Sie öffnen können, wie Sie bestuhlen. Und dann werden, wenn Sie 200 Plätze haben, die ersten 200 von der Liste eine Karte bekommen.
    Meining: So machen wir das. Wir haben nach Posteingang die Bestellungen registriert und hoffen natürlich, dass wir so weit wie möglich öffnen können und sind jetzt schon bei über 100 Prozent Auslastung. Wir befinden uns immerhin in der Jubiläumssaison 100 Jahre Mozartfest, haben 85 Konzertangebote und haben eine riesige Nachfrage, auch weil der Hunger so groß ist, nach dem letzten Jahr, in dem so wenig stattfand.

    "Diese Pandemie hat uns eiskalt erwischt"

    Mörchen: Im letzten Jahr haben Sie, wenn auch modifiziert, Ihr Festival zwischen diesen beiden Lockdowns durchführen können. Was waren das für Erfahrungen, die Sie gemacht haben?
    Meining: Ja, das ist sehr ambivalent. Wir waren natürlich im Dauerstress, weil wir eines der allerersten Festivals waren, was direkt nach dem Lockdown wieder geöffnet hat. Das hieß aber: massive Einschnitte. Also wir haben zunächst erst einmal unser komplettes Programm rückabgewickelt. Das bedeutete, dass wir 20.000 Karten zurückerstattet haben und ein wiederum komplett neues Programm auf die Beine gestellt haben. In kürzester Zeit, in nicht einmal acht Wochen, eigentlich in sechs Wochen mit dann auch über 40 Veranstaltungen mit neuen Formaten unter ganz neuen, für uns alle unbekannten Bedingungen und Verhältnissen. Denn das hat uns ja eiskalt erwischt, diese Pandemie mit dem Kultur Lockdown. Und nun haben wir ein bisschen Erfahrungen und darauf greifen wir jetzt zurück. Eben zum Beispiel mit dem Thema Ticketing.
    Mörchen: Was ist denn mit Konzerten, die einfach nicht stattfinden können, weil zum Beispiel ein Künstler aus Australien kommt und er darf nicht einreisen?
    Meining: Im Moment ist ja noch die Phase, dass wir sammeln, warten, mit jedem einzelnen Künstler im Gespräch sind. Also warten eigentlich nicht, sondern dass wir die Situation handeln, und wir kommen uns manchmal vor wie Artisten, die die Bälle jonglieren und ewig in der Luft fliegen lassen und nicht halten und fixieren können. Also wir sprechen mit jedem einzelnen Ensemble, mit jedem einzelnen Künstler, wie ihre Verhältnisse sind in Finnland, in England, in den USA und natürlich auch mit Deutschland. Denn Sie wissen ja, wir sind föderalistisch in der Kultur aufgestellt. Und was für Bayern gilt, kann in Nordrhein-Westfalen und Hessen und Berlin ganz anders aussehen. Und wir hoffen, dass dann, wenn die Karten rausgehen – das ist dann im April –, wir eine ungefähre Klarheit haben oder besser noch eine genaue Klarheit, ob es Konzerte geben wird, die betroffen sind, die so wie angekündigt nicht stattfinden können. Und dann werden wir natürlich versuchen, wenn wir spielen dürfen, was wir sehr hoffen und wovon ich persönlich auch ausgehe, dass wird dann ein Ersatzkonzert anbieten können. Denn es gibt genug Künstler, die warten darauf, eine Bühne zu bekommen und denen möchten wir die Bühne geben und dem Publikum die Chance, auch ins Konzert zu gehen. Also es wird uns nicht langweilig. Das sehen Sie wohl.

    "Wir brauchen bundesweite Regelungen"

    Mörchen: Jetzt war ich doch ein bisschen erstaunt, als ich auf ihr Programm geschaut habe. Das sieht ja aus wie eine richtige Jubiläumssaison. Sie greifen da in die Vollen, was die Einladungen angeht: Also da gibt es die große Reihe bei Ihnen, offensichtlich die zentrale Reihe "Weltstars der Klassik" in fürstlichem Ambiente. Der Spielort, das sind verschiedene Räumlichkeiten im großen Residenzschloss, natürlich auch der berühmte Spielort schlechthin in Würzburg. Aber auch andere Orte bespielen sie in der ganzen Stadt und im Umland. Man hätte natürlich ein bisschen auf Nummer sicher gehen können und seine Turnhalle anmieten und alles da hinein verpflanzen. Aber für Hygienekonzepte ist das ein ziemliches Vabanquespiel, oder?
    Meining: Ja, absolut. Also wir haben natürlich die Saison nicht erst gestern geplant, sondern die Planungen für dieses Großereignis laufen seit drei Jahren. Und wir haben die Hauptspielstätte Residenz, die ist denkbar ungünstig unter Hygienegesichtspunkten, die wir jetzt auch ganz neu verstehen und definieren. Ein Barockschloss aus der Mitte des 18. Jahrhunderts hat selbstverständlich keine Klimaanlage und auch sonst sind die Räume eher klein als groß. Es ist nicht vergleichbar mit dem modernen Konzerthaus und wir leben davon wie jedes Sommerfestival, dass es eine Vielgestaltigkeit gibt im Programm und auch in den Spielstätten. Und als wir final geplant haben – die Pläne waren abgeschlossen im letzten Sommer, so lang sind die Vorläufe in diesem hochkomplexen Betrieb des Kulturbusiness –, haben wir doch die ganz starke Hoffnung gehabt, vielleicht war es naiv, dass im Sommer 2021 der ganze Spuk vorbei ist oder dass er jedenfalls so weit sich geglättet hat und die Pandemie in den Griff genommen werden konnte, dass wir wieder einigermaßen normal Kultur veranstalten können. Dass das jetzt wieder sich so anlässt wie im letzten Jahr, davon sind wir alle nicht ausgegangen. Auch meine Kollegen in den anderen Festivalbetrieben nicht...
    Mörchen: ...mit denen Sie, wie ich weiß, in regem Austausch sind. Sie treffen sich regelmäßig, um von Ihren Erfahrungen zu berichten. Wie sieht es denn insgesamt aus in der Szene? Was können Sie sagen? Sie haben einen gewissen Luxus, weil Sie zu 25 Prozent von der Stadt getragen werden und natürlich als Mozartfest auch schon weit etabliert ihre feste Kundschaft haben. Aber wie sieht es denn bei den Kollegen aus? Steht dem ein oder der anderen vielleicht auch schon das Wasser bis zum Hals?
    Meining: Ganz sicher. Wir haben uns zusammengeschlossen im "Forum Musikfestivals". Und zwar ziemlich genau vor einem Jahr, nämlich mit Beginn der Pandemie, haben wir dieses Forum gegründet. Dem sind etwa 100 von 600 existierenden deutschen Festivals beigetreten und das ist ein ganz wichtiger Raum des Erfahrungsaustausches. Und es ist eine ganz große Unsicherheit, eine unglaubliche Verunsicherung, wie wir in zwei, drei Monaten unsere Festivals gestalten werden können, weil wir einfach keine Planungsvorläufe haben, wo wir auch mehr Unterstützung aus der Politik uns wünschen. Und deshalb wenden wir uns auch immer wieder hilfesuchend an die Politik, aber auch Angebot gebend zu sagen: Wir unterstützen dabei, wir kennen die Komplexität des Musikbetriebes eben am allerbesten, würde ich sagen, und wir können nicht eine Woche vorher mit dem Finger schnipsen und sage: So, jetzt dürfen wir das oder das nicht. Das ist zu kurzfristig. Wir müssen viel mehr Klarheit bekommen über Tests zum Beispiel. Mit einer guten, anerkannten Teststrategie könnte man sehr viel möglich machen. Wir müssen sehr viel klarere und vor allen Dingen bundeseinheitliche Regelungen an die Hand bekommen für Hygienekonzepte. Also auch ein Meter fünfzig Abstand, wo wird das gemessen? An der Nase, an der Schulter, am Stuhlrand? Das sind alles Fragen, die nicht geklärt sind. Und da gibt's eine ganze Liste von weiteren Fragen, die man tatsächlich auch regeln könnte und als Basis für Hygienekonzepte an die Hand geben könnte und dann mit den Gesundheitsämtern lokal Spielerlaubnisse erteilen könnte.
    Das Ensemble sitzt und steht mit seinen Instrumenten in einem weißen Raum mit markanter Deckenkonstrukion.
    Neustart des Musiklebens – „Es wird nicht mehr so wie vorher werden“
    Im Nachgang der Corona-Pandemie müsse über neue Finanzierungsmodelle nachgedacht werden, um freie Arbeit in der Kunst besser abzusichern, sagte Tobias Rempe, Geschäftsführer des Ensemble Resonanz, im Dlf.

    "Wir sind Solosänger und müssen einen Chor bilden"

    Raoul Mörchen: Vielleicht das zum Schluss: Das ist alles offensichtlich noch nicht geschehen. Also Sie haben die Listen, aber Sie sind noch nicht so richtig gehört worden. Jetzt könnte man sagen, die Politik hat sehr viele Baustellen gerade zu regeln. Was ist Ihr Eindruck davon? Also diese Krise, zeigt sie einfach nur die Überforderung eines Systems? Oder zeigt sie vielleicht, dass Kultur nicht die Fürsprecher hat, beziehungsweise vielleicht nicht in der Zahl, von der sie mal geglaubt hat, dass sie die hätte in der Politik und bei denen die Entscheidungen fallen in diesem Land?
    Evelyn Meining: Ja, die Krise scheint mir wie ein Brennglas. Die vergrößert alles. Das, was schon immer da war, das Gute wie das Schlechte. Und die Probleme werden noch klarer herausgefiltert und sichtbar gemacht. Und die Kultur musste schon immer kämpfen um Anerkennung. Und wir haben der Politik alle Argumente geliefert, warum Kunst und Kultur unverzichtbar sind. Da gibt's die diversen Initiativen wie "Verspielt nicht die Kultur" oder "Aufstehen für die Kunst", "Alarmstufe Rot"... Es melden sich ja mittlerweile alle Verbände und Interessensgruppen zu Wort und haben die Argumente geliefert, dass Kunst das ist, was den Menschen zum Menschen macht und dass das die Zeugnisse sind, die von unserer Existenz bleiben werden, unsere Seelennahrung, unser geistiger Lebensstoff. Aber wir haben eben nicht gelernt, in den Jahren zuvor zusammenzustehen. Wir sind alle Solosänger und wir müssen einen Chor bilden, um gehört zu werden. Und wir müssen Kompetenzen in der Politik schaffen, dass dort verstanden wird, was die Notwendigkeiten des Betriebs sind. Also wir unterstellen ja nicht ein Desinteresse oder böswillige Absichten, gar nicht. Aber das Bewusstsein über den Stellenwert von Kultur ist unterentwickelt und steht wirklich in der Schlange ziemlich weit hinten. Und das konnte jeder, der sich dafür interessiert, in den letzten Wochen in den Medien verfolgen, dass Kultur zu Freizeitvergnügungen gerechnet wurde, zwischen Biergarten und Bordell. Das waren die härtesten Fehlformulierungen von öffentlichen Meinungspositionen. Und ja, wir brauchen einfach einen ganz anderen Umgang mit der Bedeutung von Kunst und Kultur. Dann findet man auch Mittel und Wege, den Betrieb möglich zu machen.