Generalprobe für einen Bunten Abend des Kaukasischen Kulturvereins von Istanbul. In einem Mehrzwecksaal auf der asiatischen Seite der Stadt versucht ein Tanzlehrer, etwas Ordnung in die Reihen von Jugendlichen auf der Bühne zu bringen, während die Musiker ihre Mikrofone testen und der Beleuchter die Scheinwerfer schwenkt.
Draußen vor dem Saal begrüßt Tolga Sevin vom Vereinsvorstand die Eltern, die mit Kindern und Kostümen zur Probe eintreffen, und erklärt ihnen den Weg zu den Künstlergarderoben. Unter ihnen ist Elif, eine blonde Mittdreißigerin, mit ihrem Sohn Can – er soll hier vorführen, was er in seiner Volkstanzgruppe gelernt hat. Jede Woche bringt sie ihren Sohn zum Tanzkurs, erzählt Elif:
Draußen vor dem Saal begrüßt Tolga Sevin vom Vereinsvorstand die Eltern, die mit Kindern und Kostümen zur Probe eintreffen, und erklärt ihnen den Weg zu den Künstlergarderoben. Unter ihnen ist Elif, eine blonde Mittdreißigerin, mit ihrem Sohn Can – er soll hier vorführen, was er in seiner Volkstanzgruppe gelernt hat. Jede Woche bringt sie ihren Sohn zum Tanzkurs, erzählt Elif:
"Wir sind Tscherkessen, mein Mann und ich, und wir wollen unsere Wurzeln nicht verlieren."
Minderheiten-Sprachverbot ab 1980
Wenn sie ihrem Sohn schon nicht die Sprache ihrer Vorfahren beibringen kann, so soll er doch zumindest die Musik und die Volkstänze kennen, findet Elif – denn die Sprache kann sie selbst nicht, was sie bedauert. Damit ist sie unter den Tscherkessen ihrer Generation nicht alleine, erklärt Tolga Sevin, der nebenher die Eintrittskarten für den Vorverkauf sortiert:
"Ich kann unsere Sprache leider auch nicht. Meine Eltern sprechen sie, aber mir haben sie es nie beigebracht, weil das in der Türkei nach dem Militärputsch von 1980 nicht möglich war."
"Ich kann unsere Sprache leider auch nicht. Meine Eltern sprechen sie, aber mir haben sie es nie beigebracht, weil das in der Türkei nach dem Militärputsch von 1980 nicht möglich war."
Dieser Beitrag gehört zur fünfteiligen Reportagereihe "Integration in der Türkei - Leben mit der Zuwanderung".
"Bürger, sprich Türkisch", hieß es in der Türkei schon seit Jahrzehnten, doch nach dem Putsch von 1980 wurde das Minderheiten-Sprachverbot in der Verfassung festgeschrieben: Keine andere Sprache als Türkisch durfte demnach als Muttersprache gelehrt werden. Das betraf vor allem Kurden, aber auch Griechen, Armenier und viele andere Minderheiten wie die Tscherkessen.
Das änderte sich erst, als die heutige Regierungspartei AKP im Jahr 2002 an die Macht kam und eine Serie von demokratischen Reformen verabschiedete, um der Türkei den Weg in die Europäische Union zu ebnen. Erst seither können sich die Tscherkessen ungehindert für den Erhalt ihrer verschiedenen Sprachen und Dialekte sowie ihre Kultur zu engagieren, erinnert Sevin:
"Bis vor 15 Jahren hätte sich kein Verein in der Türkei als tscherkessischer Verein bezeichnen dürfen, das war gesetzlich untersagt. Deshalb heißt unser Verein auch Kaukasischer Kulturverein, weil er vor dieser Reformzeit gegründet wurde, als er sich noch nicht tscherkessisch nennen durfte. Die Demokratisierung hat wie für alle Minderheiten der Türkei auch für die Tscherkessen viele Erleichterungen gebracht."
Das änderte sich erst, als die heutige Regierungspartei AKP im Jahr 2002 an die Macht kam und eine Serie von demokratischen Reformen verabschiedete, um der Türkei den Weg in die Europäische Union zu ebnen. Erst seither können sich die Tscherkessen ungehindert für den Erhalt ihrer verschiedenen Sprachen und Dialekte sowie ihre Kultur zu engagieren, erinnert Sevin:
"Bis vor 15 Jahren hätte sich kein Verein in der Türkei als tscherkessischer Verein bezeichnen dürfen, das war gesetzlich untersagt. Deshalb heißt unser Verein auch Kaukasischer Kulturverein, weil er vor dieser Reformzeit gegründet wurde, als er sich noch nicht tscherkessisch nennen durfte. Die Demokratisierung hat wie für alle Minderheiten der Türkei auch für die Tscherkessen viele Erleichterungen gebracht."
"Wir geben uns türkischer als die Türken"
So darf der Verein heute auch Sprachkurse anbieten: Kabardinisch etwa, das ist die Sprache von Sevins Familie, und weitere Sprachen und Dialekte der Tscherkessen wie Abchasisch, Abasinisch und Adygeisch. Für eine Sprache ist es allerdings schon zu spät: Die ubychische Sprache ist ausgestorben, seit ihr letzter Sprecher 1992 in Istanbul verstarb. Nicht zuletzt deshalb haben die Sprachkurse großen Zulauf, betont Sevin:
"Wir Tscherkessen sind uns der Gefahr bewusst geworden, dass unsere Sprache und Kultur verloren gehen - unsere Tänze, unsere Musik, unsere Speisen. In den letzten zehn Jahren hat ein Erwachen des tscherkessischen Bewusstseins in der Türkei begonnen und ein Streben nach Minderheitenrechten."
Die Tscherkessen gelten in der Türkei als Muster-Minderheit und werden von Politikern gerne als leuchtendes Beispiel für gelungene Integration präsentiert. Vielleicht etwas zu gelungen, schränkt Sevin ein:
"Die Tscherkessen sind von allen Minderheiten am stärksten assimiliert, das muss man leider so sagen. Das ist überall so, wo wir leben. Wir geben uns hier türkischer als die Türken, in Syrien arabischer als die Araber – wir passen uns der Bevölkerung unseres jeweiligen Wohnortes nur zu gut an, ob das nun Jordanien ist oder Israel oder Amerika."
Das durchaus hat seine Vorteile, räumt Sevin ein:
"Ich kann mich überall als Tscherkesse zu erkennen geben, das ist kein Problem. In der Türkei hat man es als Kurde schwer und als Armenier oder Jude leider noch sehr viel schwerer, aber als Tscherkesse überhaupt nicht. Da habe ich noch nie Ablehnung erfahren."
Die Tscherkessen gelten in der Türkei als Muster-Minderheit und werden von Politikern gerne als leuchtendes Beispiel für gelungene Integration präsentiert. Vielleicht etwas zu gelungen, schränkt Sevin ein:
"Die Tscherkessen sind von allen Minderheiten am stärksten assimiliert, das muss man leider so sagen. Das ist überall so, wo wir leben. Wir geben uns hier türkischer als die Türken, in Syrien arabischer als die Araber – wir passen uns der Bevölkerung unseres jeweiligen Wohnortes nur zu gut an, ob das nun Jordanien ist oder Israel oder Amerika."
Das durchaus hat seine Vorteile, räumt Sevin ein:
"Ich kann mich überall als Tscherkesse zu erkennen geben, das ist kein Problem. In der Türkei hat man es als Kurde schwer und als Armenier oder Jude leider noch sehr viel schwerer, aber als Tscherkesse überhaupt nicht. Da habe ich noch nie Ablehnung erfahren."
Festhalten am tscherkessischen Erbe
Auf der Bühne im verdunkelten Saal hat inzwischen der Chor des Kulturvereins mit seinen Proben begonnen. Die Bühnenarbeiter haben an den Mikrofonen und Scheinwerfern noch allerlei zu richten. Die Chormitglieder plaudern inzwischen untereinander, und zwar vorwiegend auf Türkisch. Anders gehe es kaum, erklärt eine pensionierte Lehrerin:
"Wir haben zwar alle dieselbe Kultur, aber unterschiedliche Sprachen. Deshalb haben wir sehr wenig Gelegenheit, unsere Sprache zu pflegen. Das geht ja nur, wenn zwei Tscherkessen zusammenkommen, die auch dieselbe Sprache haben. Auf dem Dorf ging das noch, aber in der Großstadt verliert sich die Sprache."
Draußen vor dem Saal verkauft Tolga Sevin noch immer Karten für die Aufführung. Viele sind vorbestellt, der Saal wird voll sein. Alleine in den Tanzkursen des Vereins sind 800 junge Leute aktiv, die ebenso wie er an ihrem tscherkessischen Erbe festhalten wollen. Vielleicht ist es noch nicht zu spät, hofft Sevin:
"Wir tun, was wir können, aber ob das ausreicht, ist nach so langer Zeit leider zu bezweifeln. Wir haben durch die Assimilation sehr viel verloren."
"Wir haben zwar alle dieselbe Kultur, aber unterschiedliche Sprachen. Deshalb haben wir sehr wenig Gelegenheit, unsere Sprache zu pflegen. Das geht ja nur, wenn zwei Tscherkessen zusammenkommen, die auch dieselbe Sprache haben. Auf dem Dorf ging das noch, aber in der Großstadt verliert sich die Sprache."
Draußen vor dem Saal verkauft Tolga Sevin noch immer Karten für die Aufführung. Viele sind vorbestellt, der Saal wird voll sein. Alleine in den Tanzkursen des Vereins sind 800 junge Leute aktiv, die ebenso wie er an ihrem tscherkessischen Erbe festhalten wollen. Vielleicht ist es noch nicht zu spät, hofft Sevin:
"Wir tun, was wir können, aber ob das ausreicht, ist nach so langer Zeit leider zu bezweifeln. Wir haben durch die Assimilation sehr viel verloren."