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Gestapo-Vergleich
Ungarischer EU-Abgeordneter steht in der Kritik

Die EVP-Fraktion berät darüber, ob sie ihr ungarisches Mitglied Tamás Deutsch (Fidesz) ausschließt – wegen eines Gestapo-Vergleichs in den eigenen Reihen. Deutsch habe der EVP „großen politischen Schaden zugefügt“, sagte EU-Parlamentarier Dennis Radtke (CDU) im Dlf und forderte dessen Ausschluss.

Dennis Radtke im Gespräch mit Christoph Schäfer |
Der Plenarsaal des Europäischen Parlaments in Brüssel
Der EU-Parlamentarier Radtke (CDU) sagte im Dlf, die EVP-Fraktion schiebe das Thema Umgang mit Fidesz schon lange auf - damit schade sich die Fraktion (Michael Kappeler / dpa)
Der Streit um den Rechtsstaatsmechanismus und den EU-Haushalt konnte auf dem Gipfel in der letzten Woche beigelegt werden. Unter Vermittlung der deutschen EU-Ratspräsidentschaft hatten Polen und Ungarn ihr Veto in der Auseinandersetzung aufgegeben. Was jedoch immer noch nachhallt, sind scharfe Äußerungen und fragwürdige historische Vergleiche in diesem Streit vom Europaparlamentarier Tamás Deutsch, Vorsitzender der ungarischen Fidesz-Partei in Brüssel.
Dieser hatte die Rechtsstaats-Debatte in die Nähe von Gestapo-Methoden gerückt und sich dabei auf Worte von CSU-Europaparlamentarier Manfred Weber bezogen, eines Mitglieds aus seinen eigenen Reihen. Weber ist Fraktionschef der Europäischen Volkspartei, jener europäischen Parteienfamilie im Europaparlament, zu der auch die ungarische Fidesz gehört.

Deutschs Ausschluss aus der Fraktion steht zur Diskussion

Europaweit hat Deutschs Vergleich für Aufsehen und Empörung gesorgt. Zwischenzeitlich hatte sich Ungarns Premier Viktor Orbán eingeschaltet. Tamás Deutsch selbst teilte mit, er sei falsch verstanden worden. Aber das alles änderte nichts daran, dass die EVP-Fraktion auf ihrer Sitzung (16.12.2020) nun über einen Ausschluss von Tamás Deutsch debattieren und womöglich entscheiden will. An der Sitzung wird auch Dennis Radtke teilnehmen, deutsches Mitglied in der EVP-Fraktion. Seinen Wahlkreis hat er für die CDU im Ruhrgebiet.
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Christoph Schäfer: Herr Radtke, Sie sprechen sich konsequent für den Ausschluss ihres ungarischen Kollegen Deutsch aus. Mit welcher Begründung?
Dennis Radtke: Nun ja, ich meine, die Geschäftsordnung der Fraktion ist ja ziemlich eindeutig. Es kann der Antrag auf Ausschluss eines Kollegen gestellt werden, wenn der durch sein öffentliches Verhalten der Fraktion insgesamt einen großen politischen Schaden zugefügt hat. Und das sehe ich hier einfach deutlich als gegeben. Das war jetzt auch nicht das erste Mal, dass der Kollege sehr rustikal zu Werke geht. Und ich finde einen deutschen Politiker mit einem Gestapo-Vergleich zu belegen, das ist schon, das ist schon ein ganz harter Tobak. Und von daher finde ich, dass da jetzt an dieser Stelle einfach deutlich eine Grenze überschritten worden ist.

"Der Schaden ist schon sehr gewaltig"

Schäfer: Herr Radtke, welchen Schaden befürchten sie für ihre Fraktion?
Radtke: Na ja, ich meine, der Schaden ist natürlich… Eigentlich müsste man sagen, gibt es gibt es zweierlei Probleme. Das eine Problem ist natürlich, die generelle Thematik "Umgang mit Fidesz". Das schieben wir nun schon sehr lange vor uns her, mit der entsprechenden öffentlichen Begleitmusik. Das schadet uns natürlich als Fraktion insgesamt. Und der Schaden auf der anderen Seite ist natürlich auch, wenn man so in einer Gruppe auch öffentlich miteinander umgeht. Das unterminiert natürlich einfach auch das Vertrauen, und man sieht ja einfach auch, in der Fraktion schlagen die Emotionen hoch, und der Schaden, der da angerichtet worden ist, ist schon sehr gewaltig.
Schäfer: Sie haben im Vorgespräch bestätigt, dass auch Sie eine fraktionsweite Mail Tamás Deutsch am Abend erhalten haben, in der er sich entschuldigt und seinen Nazi-Vergleich zurücknimmt. Seine Entschuldigung kommt für Sie aber vermutlich zu spät.
Radtke: Na also, was heißt "zu spät". Wir haben in der letzten Woche erstmalig über diesen Vorgang geredet. Es gab eine klare Verabredung, sowohl Othmar Karas hat die Gelegenheit, sich zu äußern, der den Antrag auf Ausschluss gestellt hat.

"Entschuldigungsmail finde ich nicht ausreichend"

Schäfer: Ihr österreichischer Kollege in der Fraktion…
Radtke: Mein österreichischer Kollege genau, und Tamás Deutsch. Und beide haben auch geredet, und das wäre eine Gelegenheit gewesen, für Tamás Deutsch, wenn er es wirklich ernst meint, zu sagen: "Das war ein Fehler und es tut mir leid." Und stattdessen hat er sich darüber ausgelassen, dass ja auch andere schlecht über Herrn Orbán reden. Und da hätte das keine Konsequenzen. Und er hat ja dann in einem Interview auch noch mal nachgelegt und die einzige wirkliche Reaktion jetzt, also einen Tag, bevor heute die Debatte läuft, dann eine solche Entschuldigungsmail ja zu verschicken, das finde ich nicht ausreichend. Und es ist auch nicht ehrlich.
Schäfer: Ich höre da schon heraus: Sie sind nicht der einzige, für den eine rote Linie überschritten wurde. Sonst würden sie wahrscheinlich heute Abend oder heute Nachmittag nicht über das Verhalten ihres ungarischen Kollegen sprechen. Wieviel Frust herrscht in ihrer Fraktion?
Radtke: Was heißt Frust? Am Ende muss man sagen, je schriller natürlich auch die Töne auf der ungarischen Seite werden, umso, heftiger fällt natürlich dann auch die die Gegenreaktion aus. Ich meine, vor einigen Tagen hat Herr Deutsch erst wieder eine Erklärung von Viktor Orbán verschickt, wo er Bezug nimmt auf Soros und ihm wieder vorwirft, er hätte EU-Kommissare gekauft, er hätte eine Reihe von Abgeordneten gekauft. Also ich meine, das ist ja hanebüchen, das sind ja, das sind ja Vorwürfe, da muss man ja wirklich mal die Frage stellen bei solchen Verschwörungstheorien, wo unterscheidet sich das eigentlich noch von einem durchschnittlichen Aluhut-Träger bei einer Querdenken-Demo?

Untätigkeit an die EVP-Fraktion sei der falsche Vorwurf

Schäfer: Warum unternimmt ihre Fraktion nichts, Herr Radtke? Ich meine, Sie haben ja auch Anfang Dezember einen Brief europaweit mit 28, weiteren Christdemokratinnen und -demokraten an ihrer Fraktionsspitze geschickt. Warum unternimmt diese nichts im Fall Tamás Deutsch?
Radtke: Was heißt, wir unternehmen nichts? Also, man muss erst zwei Dinge oder unterscheiden. Das eine ist die Thematik Fidesz. Das ist in erste Linie eine Angelegenheit der Partei, weil wir als Fraktion können keine Delegationen ausschließen. Aus einer Fraktion kann man als einzelner Parlamentarier ausgeschlossen werden. So. Hier geht es um den Ausschluss Tamás Deutsch. Das sind also formal zwei verschiedene Paar Schuhe. Und dass man nichts unternimmt, kann man nicht sagen. Othmar Karas hat den Antrag gestellt, den Kollegen Deutsch aus der Fraktion auszuschließen. Und genau darüber werden wir heute auch diskutieren, so wie es die Statuten der Fraktion vorsehen. Von daher ist es Untätigkeit an der Stelle der falsche Vorwurf.

Entscheidung sei die eines jeden Abgeordneten

Schäfer: Aber was ja dabei auffällig ist, Herr Radtke, ist, dass Sie mit dem Brief der einzige deutsche Abgeordnete in ihrer Fraktion sind, der sich offen gegen Tamás Deutsch positioniert. Dabei machen die CDU/CSU-Abgeordneten den größten Anteil in der EVP-Fraktion aus, ohne sie geht quasi nichts. Manfred Weber der beleidigt worden ist, schweigt öffentlich. Der Chef der CDU-Abgeordneten im Europaparlament, Daniel Caspary, will offenbar erst einmal auch nichts im Fall Deutsch unternehmen. Herr Radtke, warum?
Radtke: Also, am Ende können Sie diese Frage nicht an Delegation festmachen. Das ist richtig. CDU und CSU sind die größte Delegation in der EVP-Fraktion. Aber es ist jetzt nicht so, dass wir immer im Zentrum der Entscheidung stehen. Und am Ende bin ich der Meinung, das ist keine Entscheidung, die Delegationen zu treffen haben, sondern das ist eine Entscheidung, da muss jeder Abgeordnete für sich selber entscheiden. "Werde ich für den Ausschluss stimmen: Ja oder nein?" Und genauso ist es auch die Entscheidung eines jeden Abgeordneten. Wie gehe ich mit meiner persönlichen Entscheidung dann öffentlich um? Mach ich meine Position öffentlich oder tue ich das nicht. Von daher werde ich da auch gar keinen Kollegen Vorhaltungen machen. Ich bin hier keine moralische Instanz, sondern am Ende muss jeder entscheiden, einmal in einer geheimen Abstimmung, wie entscheide ich mich. Und mache ich die Entscheidung öffentlich ja oder nein. Und meine Haltung ist da sehr klar. Und ich habe diese Haltung auch öffentlich gemacht und stehe auch dazu. Ich kann aber kein keinen Kollegen dazu zwingen und mache ihm auch keine Vorhaltungen, wenn er das gleiche nicht tut.

"Hat mit Christdemokratien nichts mehr zu tun"

Schäfer: Herr Radtke, sprechen wir noch generell über das Verhältnis EVP zu Fidesz-Partei, weil das ist ja nicht der erste Vorfall, den Sie mit Fidesz-Abgeordneten in ihrer Fraktion haben. Ich erinnere an Anfang 2019, als auch die Fidesz-Regierung in Ungarn eine Medienkampagne unter anderem gegen Ex-Kommissionspräsident Juncker gestartet hat. Was muss noch passieren, damit die EVP sich generell für eine Abkopplung von der Fidesz-Partei aus der EVP-Fraktion entscheidet?
Radtke: Also, für mich muss nichts mehr passieren, sondern ich bin da sehr klar. Das hat für mich mit Christdemokratien nichts mehr zu tun. Ich habe gerade etwas dazu gesagt, zu den Verschwörungstheorien in Sachen, in Richtung Soros. Wir haben ja mittlerweile auch herb antisemitische Töne. Und für mich ist immer klar, europäische Christdemokratie ist sehr vielfältig. Aber wir sind nicht beliebig. Dass wir eine große Spannbreite haben, das sehen wir ja selbst bei uns in der CDU/CSU Truppe. Aber diese Spannbreite hat auch Grenzen. Und deswegen ist es auch gut, dass am 1. Februar die EVP, sich nochmals mit der Fidesz-Frage als Partei beschäftigt und dann hoffentlich final über den Ausschluss entscheidet.

Neuer CDU-Vorsitzender werde sich auch zu Fidesz äußern

Schäfer: Ganz kurz zum Schluss noch, weil ich die deutsche Gruppe in ihrer Fraktion genannt habe. Liegt es vielleicht daran, dass sie gerade auch noch auf die Linie des neuen CDU Parteichefs warten, um auch sich als deutsche Gruppe positionieren können gegenüber der Fidesz Ihrer Fraktion?
Radtke: Na ja, in der Fraktion steht die Frage, wer jetzt in Berlin oder in München Parteivorsitzender wird, nicht die überragende Rolle, weil wir als Abgeordneter, als Fraktion also auch autonomen in unserer Entscheidung sind. Was die Frage, Entscheidung in der EVP Partei angeht, ist es natürlich von großer Bedeutung, wie sich der neue CDU-Vorsitzende zu dieser Frage positioniert. Die CDU ist die größte Mitgliedspartei, und natürlich wird der neue CDU-Vorsitzende, wer immer es auch sein wird, ein gehöriges Wort in dieser Frage mitsprechen, wie es mit Fidesz weitergehen soll.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.