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Gestiegener Waffenbesitz
Deutschlands Bürger rüsten auf

Immer mehr Menschen wollen einen Kleinen Waffenschein beantragen, und auch die Anzahl scharfer Schusswaffen hat in den vergangenen Jahren zugenommen. Dazu kommt: Die Zahl von Rechtsextremisten, die legal Waffen besitzen, ist deutlich gestiegen. Regelmäßige Überprüfungen scheitern oft am Personalmangel in Behörden.

Von Tobias Krone |
Pistolen der Marke Sig Sauer (Symbolbild)
In 2020: 40.000 Kleine Waffenscheine mehr beantragt (dpa-Zentralbild)
"Stahlwaren" und "Schleiferei" steht über dem Geschäft von Paolo Chesi mitten in der Nürnberger Innenstadt. Chesi bietet hauptsächlich Messer für den Alltagsgebrauch an – aber auch Gaspistolen. Deren Verkauf sei 2016 sprunghaft angestiegen, sagt Chesi. Kundinnen und Kunden, die vorher noch nie in einem Geschäft für Messer und Kleinwaffen waren, wollten plötzlich Gaspistolen haben.
"Da war ja teilweise es so, dass die Lieferanten ausverkauft waren und wir gar keine Ware mehr bekamen. Das war einfach so ein Hype."
Dieser "Hype" sei ihm beinahe unheimlich gewesen, sagt Paolo Chesi. Die damals hohe Nachfrage habe ihn nachdenklich gestimmt.
"Das ist auch ein Verkauf, der nicht immer Spaß macht. Man sieht ja, dass manche Kunden richtig Angst haben, obwohl vielleicht realistisch gesehen noch nie was passiert ist und möglicherweise auch nie was passieren wird, aber diese Angst ist fast fühlbar. Natürlich, das Geschäft hat man halt mitgenommen: Das Bedürfnis war da, aber ich bin froh, dass das wieder vorbei ist."

Pressbericht: 40.000 neue Kleine Waffenscheine

Inzwischen verkaufe er wieder vor allem an bekannte Kunden. Das seien Waffensammler - meist männliche. Diese seien an der Technik interessiert, weniger am Schießen und an der Selbstverteidigung, sagt Chesi.
Zu sehen sind Schusswaffen, Munition und ein Kampfmesser
Mehr Kontrolle und Überwachung - Bundestag verschärft Waffenrecht
Mit einer schärferen Kontrolle des legalen Waffenbesitzes in Deutschland wollen die Regierungsparteien für mehr Sicherheit sorgen. Die Linke kritisierte bei der Schlussdebatte im Bundestag, der Verfassungsschutz werde weiter entscheiden, welcher Neonazi seine Waffe behalten könne.

Doch der Trend zum Kleinen Waffenschein, den man für das Mitführen von Signal-, Reizstoff- und Schreckschusswaffen braucht, hält bis heute an: Allein im vergangenen Jahr stellten die deutschen Waffenbehörden laut einer Recherche der Rheinischen Post 40.000 neue Kleine Waffenscheine aus. Insgesamt gibt es demnach nun mehr als 700.000 Kleine Waffenscheine in Deutschland, so viele wie noch nie.
Seit 2003 stellen die zuständige Stadtverwaltung oder das Landratsamt den Schein aus. Und nur wer einen davon hat, darf eine Gaspistole in der Öffentlichkeit mit sich führen.
Doch nicht nur bei den Kleinen Waffenscheinen gibt es einen Trend nach oben: Auch die Anzahl scharfer Schusswaffen stieg in den vergangenen Jahren an: Um diese bei sich zu Hause im Tresor zu lagern, braucht man eine Waffenbesitzkarte. 2019 waren es rund 30.000 mehr als noch 2015.
Insgesamt sind im Nationalen Waffenregister damit gut 1,9 Millionen gültige Waffenbesitzkarten registriert. Das geht aus einer Anfrage der FDP-Fraktion im Bundestag hervor.

"Das Argument der Selbstverteidigung"

Warum aber diese schleichende Aufrüstung? Wer bewaffnet sich hier, was steckt dahinter? Und wie gut haben die Sicherheitsbehörden das unter Kontrolle?
Forschung zum Thema Waffen und Bewaffnung gibt es seit jeher wenig in Deutschland. Auch die Historikerin an der Technischen Universität Dresden, Dagmar Ellerbrock, mit dem Schwerpunkt Zivile Waffenkultur, kann sich den Anstieg Kleiner Waffenscheine nicht eindeutig erklären.
"Warum sich Menschen mit Reizgaswaffen bewaffnen, ist in der Forschung noch immer ein relativ unbeackertes Feld. Das heißt, wir haben die Statistiken, aber wir können im Wesentlichen über die Motive nur mutmaßen. Ein Argument, was immer angeführt wird, sich mit diesen Waffen zu bewaffnen, ist das Argument der Selbstverteidigung – ein Argument, das seit Jahrhunderten in der Waffendiskussion eine Rolle spielt."
Und dieses Argument brachte 2016 auch die AfD in Stellung. Mitten in der Debatte um Geflüchtete forderte die damalige Parteichefin Frauke Petry, die Polizei müsse an der Grenze notfalls "auch von der Schusswaffe Gebrauch machen".
Das Argument der Selbstverteidigung sei von Rechten bewusst aufgebracht worden, sagt Stephan Kramer, Präsident des Thüringer Verfassungsschutzes, der als Behörde nach den rechtsterroristischen Morden des Nationalsozialistischen Untergrunds in die Schlagzeilen geraten war.
"Wir haben spätestens seit 2015 und den teilweise auch propagandistisch in politischen Kreisen verbreiteten Sicherheitsrisiken durch die Flüchtlingsproblematik ein allgemeines Gefühl, was versucht wird zu vermitteln: Dass man also quasi im eigenen Land nicht mehr sicher ist. Das wird auch von einigen politischen Kräften, insbesondere aus dem neurechten Spektrum auch forciert. Bis hin zu Bürgerwehren, die teilweise gebildet werden – also ein Phänomen, das uns auch schon seit einigen Jahren beschäftigt."

Ein verändertes Sicherheitsgefühl

Bis Oktober 2016 hatte sich die Anzahl der Kleinen Waffenscheine innerhalb eines Jahres auf 449.000 und damit um 63 Prozent erhöht. Ob diese Bewaffnung direkt mit der Debatte um Migration zu tun hat, lässt sich nicht belegen. Was sich in dieser Zeit aber messen ließ, war die gefühlte Unsicherheit in Teilen der Gesellschaft. Der Soziologe und Angstforscher Dietrich Oberwittler vom Max-Planck-Institut zur Erforschung von Kriminalität, Sicherheit und Recht in Freiburg:
"Mit der Flüchtlingskrise gab es auch ein Ansteigen der Unsicherheitsgefühle in Deutschland. Wir gehen davon aus, dass das vor allen Dingen damit zu tun hat, dass das Thema Kriminalität auch sehr stark mit dem Thema Fremdenangst verknüpft ist. Das heißt, Menschen, die eher gegenüber Migranten kritisch eingestellt sind, die haben auch mehr Angst gegenüber Kriminalität geäußert. Und das war sehr akut während der Jahre 2015 und -16, hat sich aber mittlerweile schon wieder weitgehend gelegt."
Martina Renner (Die Linke), Mitglied des Deutschen Bundestags, spricht zum Waffenrechtsänderungsgesetz.
Martina Renner, Bundestagsabgeordnete der Linken, schaut deshalb auf die Zielgruppe derjenigen, die sich Kleine Waffenscheine besorgen. Das sind ihr zufolge vor allem Menschen aus dem "erweiterten rechten Milieu". (dpa)
Das kurzzeitig veränderte Sicherheitsgefühl könne die seit Jahren steigende Anzahl von Kleinen Waffenscheinen und Waffenbesitzkarten in den vergangenen Jahren nicht erklären, sagt Dietrich Oberwittler. Denn grundsätzlich fühlen sich viele Menschen immer sicherer.
"Es gibt tatsächlich auch eine Entwicklung in der Kriminalität, die sehr erfreulich ist letztlich. Deutschland ist auch langfristig friedlicher geworden und weniger gewalttätig. Das ist ein Trend, der circa seit 15 oder 20 Jahren mit ziemlicher Sicherheit zu beobachten ist. Und das hat letztlich eben auch eine Korrespondenz zum Sicherheitsgefühl."
Martina Renner, Bundestagsabgeordnete der Linken, schaut deshalb besonders auf die Zielgruppe derjenigen, die sich Kleine Waffenscheine und dann zum Beispiel Schreckschusswaffen besorgen. Das sind ihr zufolge vor allem Menschen aus dem "erweiterten rechten Milieu".
"Naja, der Hype um diese Waffen, finde ich, findet in einem bestimmten Milieu statt. Ich habe es erweitert genannt, weil Sie wissen ja zuletzt auch in der Corona-Leugner*innenszene… Attila Hildmann schwadroniert davon, er beschafft sich eine Waffe und dies und das. Ich würde sagen, das ist dieser ganze Bereich, der sagt: ‚Der Staat sorgt nicht für unsere Sicherheit, wir müssen das selbst in die Hand nehmen.‘"

Gewerkschaft der Polizei sieht diese Bewaffnung mit Sorge

Eine Schreckschuss-Pistole, die einer scharfen Waffe oft zum Verwechseln ähnlich sieht, kann jeder erwachsene Mensch kaufen. Um sie zu Hause aufzubewahren und zu benutzen, braucht man den Kleinen Waffenschein nicht. Die Gewerkschaft der Polizei sieht diese Bewaffnung mit Sorge. Fälle von Missbrauch mit Schreckschusswaffen seien aus den vergangenen Jahren wenig bekannt, heißt es aus dem bayerischen Innenministerium. Die Bundesregierung erklärte jüngst auf Anfrage der Grünen, grundsätzlich habe sich die Regelung beim Kleinen Waffenschein bewährt, man prüfe aber auf Wunsch der Länder, ob Anpassungsbedarf bestehe.
Doch auch die Berechtigungen von scharfen Waffen steigen kontinuierlich an. Um diese bei sich zu Hause im Tresor zu lagern, braucht man eine Waffenbesitzkarte.
Viele der knapp eine Million Besitzerinnen und Besitzer scharfer Waffen, die seit 2013 im Nationalen Waffenregister registriert sind, seien Jäger oder Sportschützinnen, so Historikerin Dagmar Ellerbrock.
Im Bereich der Sportschützen gebe es den deutlichsten Anstieg beim Waffenbesitz.
"Die wirklich weit überwiegende Mehrheit der deutschen Schützen verbindet damit keinerlei politische Umsturzfantasien. Das wäre ja völlig absurd das zu behaupten. Das sind gesetzestreue Männer und Frauen, die sich hier zusammenfinden, weil sie sportlich oder gesellschaftlich gemeinsam was machen wollen."
Irene Mihalic, Bundestagsabgeordnete der Grünen, hält diesen Trend dennoch für besorgniserregend.
"Wenn Menschen den Schießsport für sich entdecken, dann ist das erst einmal nicht schlimm. Aber es gibt natürlich trotzdem in dem Zusammenhang ein latentes Sicherheitsproblem, weil dadurch natürlich immer mehr Waffen auch in Privatbesitz gelangen. Und deswegen auch in Privathaushalten verfügbar sind. Und das Missbrauchspotenzial ist einfach enorm groß. Nicht nur, weil wir einfach auch nicht wissen, was das für Leute sind, die eine Waffenbesitzkarte beantragen, ob sie wirklich alle nur das sportliche Interesse haben oder das vielleicht aus anderen Gründen tun. Aber auch, weil natürlich auch für andere Personen im Haushalt der Zugang zu einer scharfen Waffe dadurch enorm vereinfacht wird."
Waffenrecht - Sportschützen wollen Rassismus-Prävention
Nach den rassistisch motivierten Morden von Hanau wird wieder über eine Verschärfung des Waffenrechts diskutiert, denn der Täter war Sportschütze. Der Deutsche Schützenbund lehnt eine Verschärfung ab, will aber bei der Demokratieförderung mit den hessischen Sicherheitsbehörden zusammenarbeiten.

Die Amokläufe von Schülern in Erfurt und Winnenden verdeutlichten, welche Verantwortung auf Schützenvereinen liege – der Täter von Erfurt war Mitglied in einem Schützenverein und der Vater des Täters von Winnenden war Sportschütze, hatte seine Waffe aber nicht im Tresor eingeschlossen.
Nicht auszuschließen sei außerdem, dass sich Menschen mit extremistischer Gesinnung in Vereinen anmelden, um so an eine Waffenbesitzkarte für mögliche kriminelle Vorhaben zu kommen, sagt Irene Mihalic. Markus Weidauer hält das für nicht ganz abwegig.

Seit 2020 gibt es ein neues Waffenrecht

Weidauer ist Sachgebietsleiter für Waffen- und Sprengstoffrecht beim Landkreis Kassel, und damit in der Region, wo Neonazi Stephan Ernst 2019 den Kasseler Regierungspräsidenten Walter Lübcke ermordete. 250 Waffenbesitzer kontrollieren seine Mitarbeiter im Jahr. Weidauer steht dafür auch in Kontakt mit Schützenvereinen. Die würden auffälliges Verhalten ihrer Mitglieder melden, sagt Weidauer.
"Das wird nicht was mit Rechts und Links sein, das hat es in dem Fall noch nicht gegeben. Die sagen uns dann eben halt: ‚Der kommt nicht oft genug zum Schießen.‘ Oder: ‚Der hat nur so eine Scheinmitgliedschaft gemacht.‘ – Und dann kann ich wieder tätig werden."
Im Fall von Markus H., dem freigesprochenen Mitangeklagten im Lübcke-Prozess, gab es aus den betroffenen Schützenvereinen offenbar keine solcher Hinweise an die Behörde der Stadt Kassel. H. hatte 2012 bei der Stadt eine Waffenbesitzkarte beantragt, die ihm mit Hinweis auf seine rechtsextremen Aktivitäten abgelehnt wurde. Doch H. klagte und bekam vor dem Verwaltungsgericht Kassel recht, weil die hessischen Verfassungsschützer entsprechende Erkenntnisse nicht an die Waffenbehörde weitergeleitet hatten.
Seit Februar 2020 gilt in Deutschland ein neues Waffenrecht. Es soll unter anderem helfen, dass Behörden die Herkunft von Schusswaffen besser zurückverfolgen können. Kritik kam von Jägerinnen, Waffensammlern und Sportschützinnen. Ebenfalls Teil der Neuregelung: Behörden müssen vor Erteilung einer Waffenerlaubnis und danach regelmäßig beim Verfassungsschutz nachfragen, ob die Person als Extremist oder Extremistin gilt. Die Zahl der bewaffneten Rechtsextremisten ist binnen eines Jahres dennoch um mehr als ein Drittel gestiegen – auf nun insgesamt 1200 Personen. Hervor geht das aus einer Antwort der Bundesregierung auf eine Anfrage der Partei Die Linke.
Für die Bundestagsabgeordnete Martina Renner ist das ein Beweis dafür, "dass es tatsächlich eine stärkere Bewaffnung in der extrem Rechten gibt."
Bayern ist nach Rheinland-Pfalz laut dem Datenportal Statista das Land mit der höchsten Waffendichte pro 1000 Einwohner. Als Innenminister arbeite er schon mehrere Jahre daran, Rechtsextreme zu entwaffnen, sagt Joachim Herrmann, CSU.
"Wir hatten in Bayern in der Tat einfach im Verwaltungsvollzug schon länger eine Praxis, dass jede Waffenbehörde in Bayern darüber informiert wurde, wenn es von Seiten des Verfassungsschutzes Bedenken gab, wenn jemand schon extremistisch aufgefallen ist. Das haben wir in Bayern schon so einfach im Alltag praktiziert, bevor das offiziell auch im Waffengesetz stand."
Joachim Herrmann (CSU), Innenminister von Bayern, zieht sich während einer Pressekonferenz im Bayerischen Landesamt für Statistik in Fürth zur Vorstellung der Sterbefallzahlen für Bayern.
Als Innenminister arbeite er schon mehrere Jahre daran, Rechtsextreme zu entwaffnen, sagt Joachim Herrmann, CSU. (dpa)

Zentral für Entwaffnung von Rechtsextremen: 550 Waffenbehörden

Auch der waffenaffinen Szene der Reichsbürger versuchen die bayerischen Behörden beizukommen. Lange hatte man in Bayern die Gefährlichkeit dieser Strömung unterschätzt – bis ein Reichsbürger im fränkischen Georgensgmünd 2016 einen Polizisten erschoss und Herrmann die konsequente Entwaffnung der Szene forderte. Mittlerweile haben die Behörden einiges erreicht. Hatten 2016 noch 340 Reichsbürger in Bayern eine Waffenbesitzkarte oder einen Kleinen Waffenschein, waren es 2019 noch 28, wie das bayerische Innenministerium auf eine Kleine Anfrage der Grünen antwortete. Deutschlandweit besitzen laut Bundesregierung 528 Reichsbürger eine Waffenerlaubnis.
Schaut man noch einmal auf die 1200 bewaffneten Rechtsextremistinnen und Rechtsextremisten, so lässt sich deren gestiegene Zahl auch so erklären: Der Verfassungsschutz muss seit vergangenem Februar alle Menschen mit Waffenbesitz durchchecken – sowohl diejenigen, die einen neuen Antrag stellen, als auch diejenigen, die schon Waffen besitzen – und das Ergebnis dann der Waffenbehörde mitteilen.
"Und so ist natürlich auch eine Steigerung dieser Zahlen zu erklären. Also ich hoffe zumindest sehr, dass die Steigerung darauf zurückzuführen ist, dass man sich das jetzt mal wirklich genauer angeschaut hat, und nicht etwa darauf zurückzuführen ist, dass sich trotz der schwerwiegenden Bedenken immer mehr Extremisten legal bewaffnen können", sagt die Grünen-Politikerin Irene Mihalic.
Zentral für die Entwaffnung von Rechtsextremen – egal ob es sich um den Kleinen Waffenschein oder den Besitz scharfer Waffen handelt – dürfte vor allem weiterhin das Engagement der rund 550 Waffenbehörden in den Rathäusern und Landratsämtern der Republik sein. Der Chef des Thüringer Verfassungsschutzes Stephan Kramer hat hier unterschiedliche Erfahrungen gemacht.
"Ich habe aus meiner Erfahrung gelernt: Wir haben einerseits Waffenbehörden – da klappt die Zusammenarbeit, ich sage es mal, wie am Schnürchen. Wenn wir Informationen hin liefern, ist da auch direkte Kommunikation. Das geht also ohne Zeitverzug. Bei anderen Waffenbehörden dauert’s manchmal ein bisschen länger. Das ist wie im richtigen Leben."

Über 36.000 scharfe Waffen aus Privatbesitz verschwunden

Ein Problem für manche Kommunen: der Personalmangel. In der Großstadt München beispielsweise betreuen 15 Mitarbeitende – manche in Teilzeit – etwa 17.600 Menschen mit Waffenerlaubnis. Die Quote der Kontrollbesuche ist ähnlich wie in Kassel. 2019 lag sie bei 659 Checks – im Lockdown-Jahr 2020 dann nur noch bei 250. Sogar der Bayerische Oberste Rechnungshof bemängelt in seinem jüngsten Jahresbericht, es habe zwischen 2016 und 2019 ein Drittel weniger Waffenkontrollen gegeben, als es der Richtwert der Landesregierung vorgab. Für Martina Renner von der Linken ist das zu wenig. Sie sagt:
"Dass es keine effektive Kontrolle gibt, kein regelmäßiges Draufschauen, ob die Inhaber einer waffenrechtlichen Erlaubnis auch wirklich dem Sport oder der Jagd nachgehen. Aber auch, dass natürlich das in den Landratsämtern vielleicht nicht mit entsprechender Priorität oder auch vielleicht einfach mit finanziellen Möglichkeiten untersetzt ist, das anders zu organisieren. Sie kennen doch die finanzielle Situation der Kommunen. Und sie ist für den Vollzug des Waffenrechts zuständig."
Dazu kommt noch ein weiteres Problem: Inzwischen sind über 36.000 scharfe Waffen aus Privatbesitz als verschwunden gemeldet. Das erklärte das Bundesinnenministerium jüngst auf eine Anfrage der Grünen. Fast 7000 davon seien als gestohlen gemeldet.
"Wo sind die Waffen hin? Das ist ja nicht irgendein Schal in der U-Bahn, den man mal verliert. Und auch wenn wir über illegale Waffen sprechen, die ja auch ein großes Sicherheitsproblem sind – da muss man einfach sagen, dass alle illegale Waffen meist zunächst legale Waffen gewesen sind. Und das heißt: Man muss einfach annehmen, dass abhandengekommene Waffen auch in illegale Kreise wandern – und dort auch auf andere Art und Weise Leuten zugänglich gemacht werden, die eigentlich gar keinen Zugang zu Waffen haben sollten", so Irene Mihalic.
Wo verlorene Waffen landen – darüber gibt es wenige Erkenntnisse. Zumal Waffen erst seit 2013 auf Druck der Europäischen Union hin überhaupt im Nationalen Waffenregister in Deutschland aufgeführt werden. Die Grünen-Politikerin fordert generell weniger Waffen im Privatbesitz.
"Dass man insgesamt die Verfügbarkeit von legalen Waffen in Privathaushalten so reduziert, dass sich die Gefahren für die öffentliche Sicherheit mindern, aber dass auch diejenigen, die verantwortungsbewusst mit ihrer Legalwaffe umgehen, nicht über Gebühr eingeschränkt werden."

Bürger rüsten auf

Nur verfassungstreue Waffenbesitzerinnen und -besitzer– das werde Bayern auf absehbare Zeit nicht erreichen, sagt Bayerns Innenminister Joachim Herrmann.
"Der Entzug von Erlaubnissen, die in der Vergangenheit erteilt worden sind – das wird uns sicherlich noch eine ganze Weile beschäftigen. Vor allen Dingen natürlich auch, wenn ich bei dem Thema Reichsbürger allein bleibe, wo wir immer wieder feststellen, dass Leute, von denen wir es bisher nicht wussten, eben doch auch dieser Szene zuzuordnen sind – und dann wieder neu überprüft werden müssen."
Deutschlands Bürgerinnen und Bürger rüsten auf. Das belegt die steigende Zahl Kleiner Waffenscheine in Deutschland. Auch scharfe Waffen in Privatbesitz werden mehr, wie die Zahlen im Nationalen Waffenregister zeigen. Politiker und Expertinnen wie die Forscherin Dagmar Ellerbrock begrüßen zwar, dass eine systematische Erfassung von Waffen und ihren Besitzern nun stattfindet.
Doch nicht überall scheinen die zuständigen Behörden genügend Personal für Überprüfungen und Aberkennungs-Verfahren zu haben. Die Zahl der Rechtsextremistinnen und Rechtsextremisten jedenfalls, die legal Waffen besitzen, ist deutlich gestiegen. Ob die Reform des Waffenrechts wirklich mehr Sicherheit bringt, muss sich erst zeigen.