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Flüchtlingstragödien in den USA
Gestorben in der Wüste von Arizona

Seit Mitte der 90er-Jahre verstärken die USA ihre Grenzsicherung. Für Geflüchtete aus Mittelamerika und anderen Teilen der Welt wird der Weg in die USA immer gefährlicher. Dennoch kommen sie, viele bezahlen die Flucht aber mit dem Tod in der Wüste.

Von Arndt Peltner |
Eine Fahrzeug der Grenzsicherung fährt entlang der Mauer in Arizona
Eine Fahrzeug der Grenzsicherung fährt entlang der Mauer in Arizona (picture alliance / ASSOCIATED PRESS / Charlie Riedel)
“Right here. Can you smell it?” Ganz im Süden von Arizona. Der stechende Geruch von Verwesung liegt in der Luft. In einem großen Rohr unterhalb der Straße liegt ein menschlicher Körper. Die rechte Hand steht starr nach oben. Der Kopf des Mannes liegt abgewandt auf dem Oberarm. 
Wir sind nur ein paar Schritte entfernt von der sogenannten „Trump Wall“ – die hier allgemein nur „The Wall“ genannt wird – ein Konstrukt aus eng nebeneinander stehenden Stahlträgern, mehr als 10 Meter hoch – eine Barriere, kaum überwindbar, die schnurgerade entlang der Grenze zu Mexiko gezogen ist. Ex-Präsident Donald Trump hatte sie versprochen und dann mit mehreren Milliarden Dollar bauen lassen. 
James Holeman hat mich in seinem alten Pickup mitgenommen, nach gut 30 Kilometern auf unbefestigter Straße westlich des Highways 85 sind wir hier angekommen. Die Informationen zum Fundort hat James am Morgen telefonisch bekommen. “See his hand? Let’s get you out here, my friend. Welcome to Arizona”.

Suche nach den “Verlorenen, aber nicht Vergessenen”

James zieht sich den Hemdausschnitt über die Nase, klettert dann wieder nach oben zur Straße. Er markiert die Stelle mit einem rosafarbenen Band, notiert die genauen Koordinaten und gibt sie am Abend an das Büro des Sheriffs weiter. Am nächsten Tag erhält er eine Textnachricht: Der Leichnam wurde identifiziert, der junge Mann kam aus Mexiko, war 25 Jahre alt und hieß Cristiano H. Mit Hilfe des mexikanischen Konsulats konnten die Angehörigen ermittelt werden. 
Eine große Ansammlung von Menschen steht am Straßenrand
Menschen aus Zentralamerika, die von der Border Patrol im Südwesten Arizonas entdeckt wurden. (picture alliance / AP Photo / U.S. Customs Border Protection)
James Holeman - vor ein paar Jahren hat er eine gemeinnützige Organisation gegründet, sie heißt “Battalion Search & Rescue”. Der 57jährige Golfkriegs-Veteran hat seitdem ein paar Mitstreiter um sich geschart und geht mit ihnen regelmäßig in die Wüste, um, wie er sagt, nach den “Verlorenen, aber nicht Vergessenen” da draußen zu suchen. 
Da draußen, das ist die Sonora-Wüste südlich und südwestlich der Stadt Tucson ganz im Süden des US-Bundesstaates Arizona - eine Wüste, die flächenmäßig zu den größten der Welt gehört, mit einer Landschaft, die außergewöhnlich ist: Mit Kakteen, Mesquite, seltenen Vögeln und schier endlosen Horizonten. Faszinierend für Besucher – tödlich für viele Migrantinnen und Migranten auf ihrem Weg in den Norden. Sie stranden hier - auf US-amerikanischem Boden.  

Die Zahl der Toten dürfte steigen

Fernsehkanäle berichten: Es gibt mehr Tote an der Grenze nach Arizona als sonst wo im Süden der USA. Die Border Patrol gibt bekannt, dass sie in diesem Areal entlang von etwa 400 Kilometern Grenze im vergangenen Jahr rund 195.000 Menschen lebend aufgegriffen hat – die meisten aus Mexiko und anderen mittelamerikanischen Staaten. Aufgegriffen direkt am Grenzzaun auf amerikanischer Seite, andere draußen in der Wüste, ausgelaugt, verletzt, dem Tode nahe. Schon jetzt geht die Grenzpolizei davon aus, dass es in diesem Jahr noch mehr werden. Und damit dürfte auch die Zahl der Toten zunehmen.  
Als Donald Trump seinen Anhängern „the Wall“, die Mauer, versprach, wollte er mit dem Stahlkoloss zusätzlich abschrecken. Denn eigentlich ist die kaum zugängliche Wüstenlandschaft im amerikanisch-mexikanischen Grenzgebiet bereits Barriere genug für all die, die illegal in den Norden wollen. In Arizona ist der Zaun mittlerweile fast fertiggestellt - auch wenn es noch unzählige Durchlässe entlang der Grenze zu Mexiko gibt, auf Bergketten und in Reservatsgebieten. 

Grenzsicherung seit Mitte der 1990er-Jahre

Tatsächlich aber begann die Abwehr von Migrantinnen und Migranten, die ohne gültige Papiere in die USA wollen, bereits weit vor Donald Trump. Seit Mitte der 1990er-Jahre, in der Amtszeit des Demokraten Bill Clinton, wird die Grenze stärker gesichert: Mit Barrikaden in Südkalifornien, schwer bewaffneten Grenzpolizisten, Hubschraubern, Drohnen und Aufklärungstechnik.
Die Trumpsche „Mauer“ sei gerade an mexikanischen Grenzstädten wie Tijuana, Nogales und Juarez errichtet worden. Das erklärt Daniel Martinez, Soziologieprofessor von der Arizona State University: „Was wirklich interessant ist: Wir haben hier im Süden Arizonas gerade mal 35 Kilometer durchgehende Mauer. Da gibt es etliche Bereiche der Grenze, wo einfach gar nichts ist. Manchmal ist das beabsichtigt - für Tiere oder auch für notwendige Reparaturen. Aber es ist schon interessant: Obwohl wir da diese gewaltige Mauer haben, gibt es noch immer diese großen Öffnungen. Für mich heißt das: Die Mauer ist vor allem ein Symbol, sie steht für: Wir gegen sie!“

Streit um "Title 42" 

Die Grenze wurde unter Präsident Joe Biden nicht geöffnet, auch wenn das von den konservativen und Trump-freundlichen US-Medien fälschlich so vermittelt wird. Biden hat jedoch sein Wahlversprechen umgehend umgesetzt: Er hat den weiteren Ausbau der Mauer gestoppt, und er hat die sogenannte “remain in Mexico” Anordnung seines Vorgängers ausgesetzt, die Asylbewerberinnen und -bewerbern die Einreise in die USA verweigerte. Der Oberste Gerichtshof stimmte der Entscheidung Bidens jüngst zu. 
Das Aussetzen von “Title 42”, eine Abweisung nahezu aller Migranten an der Grenze aufgrund einer Pandemieanordnung durch die Trump-Regierung, wurde jedoch von einem Richter vorerst gestoppt. Auch weiterhin kann die „Border Patrol“ damit Migranten umgehend abweisen. Bis Mai 2022 wurden aufgrund von „Title 42“ mehr als 1,8 Millionen Menschen an der Grenze aufgehalten. 
Blick entlang der Mauer in der Wüste Arizonas
Trotz meterhoher Stahlblöcke, ist die Grenze weiter löchrig - viele sprechen deshalb von Symbolpolitik ( Arndt Peltner)
In den eigenen Reihen, gerade bei Demokraten in den grenzanliegenden Bundesstaaten wie Arizona, war ein Aussetzen ohnehin umstritten. So forderte die demokratische Senatorin von Arizona, Kyrsten Sinema, in einem Wahlwerbesport die Beibehaltung der Pandemieanordnung Trumps: „Die Regierung will die „Title 42“ Anordnung aufheben, was zu einem weiteren Anstieg von Migranten führen wird, die über die Grenze nach Arizona kommen. Ich habe Präsident Biden aufgefordert, Title 42 beizubehalten, bis die Regierung einen umfangreichen Plan ausgearbeitet hat, den sie auch umsetzen kann.“ 

Migration ist hochpolarisiertes Thema

Präsident Biden steckt ganz offensichtlich in der Klemme. Auf der einen Seite nimmt die Zahl der Migrantinnen und Migranten zu. Auf der anderen Seite übt der linke Flügel der eigenen Partei, der die Grenzpolitik Trumps ablehnt, politisch Druck aus. Dass etwas passieren muss, liegt auf der Hand. Doch die Umsetzung einer Reform des Immigrationsrechts, um der wachsenden Zahl von Migranten zu begegnen, ist im polarisierten Washington derzeit kaum vorstellbar. Auch der Versuch der Vize-Präsidentin scheiterte kläglich. Kamala Harris besuchte verschiedene Staaten Mittelamerikas, wandte sich dabei an die Menschen:
„Ich will es ganz deutlich sagen - allen, die darüber nachdenken, in die Vereinigten Staaten zu kommen, die die gefährliche Reise durch das mexikanisch-amerikanische Grenzgebiet machen wollen. Kommen Sie nicht! Kommen Sie nicht! Die Vereinigten Staaten werden auch weiterhin unsere Gesetze umsetzen und unsere Grenze sichern!“ 

Die Routen in den Norden werden immer gefährlicher

Am nächsten Morgen, sechs Uhr, auf dem Parkplatz im Ort Three Points, etwa 70 Kilometer nördlich vom stählernen Grenzzaun. Eine Tankstelle, ein General Store, sonst gibt es nicht viel. Doch in Three Points geht es vom Highway 86 ab in Richtung Süden, zur Grenze nach Mexiko. Mehrmals im Monat trifft sich hier der Suchtrupp des “Battalion Search & Rescue”. An diesem Morgen sind neben James noch Pete, Brad und Alisa mit dabei – ein pensionierter Mitarbeiter der Stadt Tucson, ein älterer IT-Experte, eine Professorin. Sie wollten wenigstens versuchen, etwas zu tun, sagen sie – in dieser Wüste vielleicht noch Verdurstende retten ..
Zu fünft steigen wir in einen alten Pickup und fahren Richtung Süden. Rechts und links des Highways Wüstenlandschaft. James schaut auf sein GPS Gerät und biegt schließlich rechts ab auf eine Schotterpiste. 
Langsam fahren wir auf eine Bergkette zu. Die Bergkette gehört zum Reservat der Tohono O'odham Nation – eine Nation mit 34.000 Stammeszugehörigen. Das Reservat auf US-amerikanischer Seite reicht bis an die mexikanische Grenze. Das Land der Nation sogar noch viel weiter, doch durch den sogenannten Gadsden Vertrag von 1853 wurde das Gebiet der Tohono O‘odham geteilt. 100 Kilometer internationale Grenze durchschneiden ihr Land. Aus diesem Grund lehnten die Tohono O‘odham von Anfang an den Bau der Mauer auf ihrem Land ab.  Mit der Folge, dass das mexikanische Kartell, das die Fluchtrouten in den Norden kontrolliert, immer mehr Migrantinnen und Migranten durch das Reservat der Nation schleust. Auf einer besonders entlegenen, schwierigen und gefährlichen Route – das zeigt eine Landkarte der NGO “Humane Borders”. Denn die Tohono O’odham verweigern nicht nur der Grenzpolizei freien Zugang und die Nutzung der Wasserstellen, auch Hilfsgruppen wie dem “Battalion Search & Rescue” - weil sie Angst haben, die Kontrolle über das eigene Land zu verlieren.

Geröll, 40 Grad und Kakteen

Nach einer weiteren halben Stunde Fahrt hält der Wagen nicht weit vom Stacheldraht, der das Reservat begrenzt. Wir machen uns bereit für einen Marsch im Umland, James reicht Wanderstöcke, orangefarbene Hüte, erklärt die Walkie-Talkies, mit denen wir in Verbindung bleiben.
Es ist schon am Morgen heiß, später sollen es 40 Grad werden. Wir schwärmen aus, nebeneinander mit viel Abstand dazwischen, querfeldein, decken so etwa 120 Meter Wüste ab. Zu sehen sind nur noch die grellen Hüte, alles andere verschwindet zwischen stacheligen Sträuchern, spitzen Mesquite Bäumen, verschiedenen Kakteen. Es geht über Geröll, leicht kommt man ins Rutschen. Wie nur können sich Menschen hier nachts in totaler Finsternis fortbewegen? 
Kakteen stehen in der Wüste Arizonas
Heiß, staubig und viele Kakteen - die Wüste Arizonas (Arndt Peltner)
Zwei Stunden später erreichen wir ein kleines Plateau, das wohl auch als Rastplatz dient. Dosen, Flaschen, Verpackungen, ein paar zerrissene Kleidungsstücke liegen verstreut herum. 
„Wir haben Luftlinie vielleicht gerade mal eineinhalb Meilen geschafft. Aber das dauerte mit diesem Rauf und Runter, bis wir hierher auf diesen Bergrücken gekommen sind. Von hier haben wir einen guten Überblick. Von hier kann man Mexiko und auch das Gebiet der Nation sehen. Es ist sehr zerklüftet, brutal. Es gibt keinen Weg, nur diese Ziegenpfade und sowas. Es ist nicht einfach, bis hierher zu kommen, obwohl wir gut ausgerüstet sind. Wir sind ausgeruht, haben Wanderstöcke, Walkie-Talkies, ein Navigationsgerät, Google Maps, all das. Und doch, es ist einfach total zerklüftet!“ 

Für Menschlichkeit und Würde

Wir sind durchgeschwitzt. Pete, der Pensionär, sitzt im Schatten eines Mesquites, ist sichtlich mitgenommen, trinkt Schluck für Schluck eines Elektrolytgetränks. James steht in der Nähe, erzählt, warum er sich das alles auferlegt. „Na ja, ich spiele kein Golf. Was soll ich sonst machen? Auf meiner Terrasse sitzen und zuschauen, wie das Gras wächst? Weißt Du, jeder hat seine Fähigkeiten. Ich war bei den Marines. Ich liebe das Wandern, das Draußen sein. Wir haben hier diese traurige Situation in Arizona, entlang der Grenze. Und ich bin dankbar dafür, etwas tun zu können. Ich sage immer, wir arbeiten für Leute, die wir nicht kennen. Das sind Familien, Partner, Gemeinschaften, die oftmals nur einem zur Flucht verhelfen. Damit er später dann alle anderen unterstützt. Im letzten Jahr haben wir 24 menschliche Überreste gefunden. Da gibt es viele Menschen, die jetzt Frieden finden können, wissen, was passiert ist, wo ihre Liebsten geblieben sind. Manchmal gehen diese sterblichen Überreste zurück und werden feierlich beerdigt. Niemand sollte hier draußen in der Wüste zurückbleiben, gefressen werden, einfach verschwinden.“
Er sei keine morbide Person auf der Suche nach Knochen und Leichen, meint James.  Er liebe das Leben. Aber hier könne er sich einbringen. Jedes Leben zähle. Seine Mitstreiter nicken. Menschlichkeit und Würde, darum ginge es. 

Tausende Familien auf der Suche

Die Medien dokumentieren es: Der Druck auf die Grenze nimmt zu. Robin Reineke geht davon aus, dass die Grenzpolitik unverändert fortgesetzt wird – eine Politik, in deren Folge seit Mitte der 1990er-Jahre Tausende von Menschen in der Wüste verlorengingen. Genaue Zahlen über Tote und Vermisste, so die Sozialwissenschaftlerin von der Universität of Arizona in Tucson, gebe es nicht:
„Was wir wissen, ist, dass Tausende von Familien nach jemandem suchen, der da draußen verschwunden ist. Auf unserer Seite und auf der mexikanischen Seite der Grenze. Wir haben keine Ahnung, wie viele nie gefunden wurden. Tragisch ist auch, dass nicht wirklich gezählt wird – auch nicht die, die gefunden werden. Die einzigen Zahlen, die wir bekommen, sind von der amerikanischen Grenzschutzpolizei. Aber wir wissen, sie sind problematisch, zumindest für Arizona, sie stimmen nicht mit denen überein, liegen weit unter denen, die unser lokaler Gerichtsmediziner vorlegt.“ 
Über „the Wall“, den Trumpschen Stahlzaun, werde vor allem emotional diskutiert, schon lange gehe es nicht mehr um die Grenzsicherung als solche: „Das Narrativ der Angst und der Bedrohung ist so erfolgreich in den USA, dass diese Idee der Mauer sich bestens verkauft. „The Wall“ ist zu einer Religion geworden, ja, unglücklicherweise, zu einer Form des Nationalismus. Patriotisch sein, bedeutet heute, man muss für die Mauer sein – sie unterstützen.“

Knochenfunde werden aufbewahrt

Greg Hess ist Gerichtsmediziner von Pima County, dem Bezirk, in dem die Großstadt Tucson liegt. Die Zahl der Toten, die in der Wüste gefunden wurden, stieg seit dem Jahr 2000 stark an, die Zahlen werden daher sorgfältig dokumentiert. Mehr als 3600 menschliche Überreste wurden seitdem gefunden und in die Gerichtsmedizin von Pima County gebracht. Dort werden Leichname in verschiedenen Stadien der Verwesung in den Kühlräumen aufbewahrt, in der Hoffnung, sie zu identifizieren und die Angehörigen zu finden. 
Eine Reihe von aufeinandergestapelten Kartons.
Knochen und Schädel von Menschen werden in Kartons gelagert (Arnd Pelter)
Wir gehen nach draußen. Der Gerichtsmediziner öffnet einen etwa 20 Meter langen LKW-Anhänger - darin allein mehr als 250 längliche Kartons, in denen Knochen und Schädel von Menschen gelagert werden, abgepackt in Tüten, versehen mit einem Aktenzeichen und dem Fundjahr. Es ist heiß im Anhänger, eine Kühlung sei für die Lagerung der Knochen nicht notwendig, meint Greg Hess. 
„Wir haben hier in der Gerichtsmedizin etwa 900 nicht identifizierte menschliche Überreste. Seit 2018 bewahren wir die Knochenfunde auf, kremieren sie nicht mehr. Wir behandeln und lagern sie fast wie in einem Museum, wir sind wie eine anthropologische Abteilung einer Universität. Der Vorteil dabei ist, wir haben keine Kosten für Feuerbestattung oder Beerdigung. Und wenn wir die Knochen nochmals untersuchen wollen, dann können wir das. Wir können aber auch nach einer Identifizierung die Skelettreste an die Familien übergeben und nicht wie bisher nur eine Tüte mit Asche. Das schafft auch Vertrauen. Bei einer Tüte Asche weiß man nie, ob das auch wirklich derjenige ist. Auch wenn die Familie die Knochen des Verstorbenen nicht identifizieren kann, aber es fühlt sich gleich ganz anders an.“ 

Jedes noch so kleine Detail wird archiviert. 

Die Erfolgsquote der Gerichtsmedizin liege bei 60 Prozent, sagt Greg Hess. Doch sie würden daran arbeiten, die Quote zu verbessern.  Der Bezirk Pima County setzt auf “Closure”, ein würde- und respektvolles Ende der Geschichte eines Menschen. Das ist etwas ganz Besonderes im Grenzbereich der USA zu Mexiko: Humanitäre Gruppen, die Gerichtsmedizin und weitere gemeinnützige Organisationen arbeiten hier eng zusammen. Oftmals, so Greg Hess, hätten offizielle Stellen jedoch Vorbehalte gegen diese Art der Zusammenarbeit, denn das Thema Flüchtlinge und Migration polarisiere.
Pima County aber will sich nicht beirren lassen: All die Informationen zu den Toten werden gesammelt und im gerichtsmedizinischen Institut ausgewertet. Wie groß war die Person, hatte sie Tätowierungen, Verletzungen, sind Spuren von Operationen oder Zahnlücken zu sehen? Auch DNA wird entnommen. Manchmal liegen am Fundort noch Kleidungsstücke, Ausweise, Fotos, Schmuck. Jedes noch so kleine Detail wird aufgelistet und archiviert. 

Endlich eine Antwort

Details und Daten verwendet dann die Organisation Colibri, um die Toten zu identifizieren. Colibri ist eine gemeinnützige Organisation, die in den Räumen der Gerichtsmedizin arbeitet und Vermisstenmeldungen mit dem abgleicht, was die Beamten des Sheriffs am Tatort vorfanden und die Gerichtsmedizin ergab. Mirza Monterroso, die Direktorin der NGO, kam selbst vor etlichen Jahren als Immigrantin aus Guatemala. Manchmal dauere es Jahre, bis die Identifizierung gelinge, sagt sie. Und doch: Ihre Arbeit sei wichtig.
“Einmal rief ich eine Frau in Honduras an. Ihre Mutter war vor Jahren als vermisst gemeldet worden. Sie meinte zu mir, heute sei ihr Geburtstag. Ich entschuldigte mich, doch sie bedankte sich und meinte, das sei das schönste Geburtstagsgeschenk, denn sie habe immer gewusst: ‚Etwas musste damals passiert sein! Ihre Mutter hätte sie nicht einfach im Stich gelassen!‘ Sie bekam endlich eine Antwort.”