Ernährung leistet einen wesentlichen Beitrag zur Gesundheit, auch im Alter. Nur welchen, das ist – wie so oft in der Medizin – ebenso umstritten wie die Methoden.
Welche Krankheiten lassen sich auf Ernährung zurückführen?
Auf ungesunde Ernährung sind Krankheiten wie Adipositas, Diabetes sowie Herz-Kreislauf-Erkrankungen zurückzuführen. „Wenn wir hochkalorische Nahrungsmittel zu uns nehmen, vor allem ungesunde Fettsäuren, einfachen Zucker, führt das am Ende des Tages zu einer Hormonresistenz“, sagt André Kleinridders, Professor für experimentelle Ernährungsforschung an der Universität Potsdam. „Letztlich kann unser Körper nicht mehr die Nahrungsaufnahme richtig steuern, dass wir früh genug aufhören zu essen.“
Daraus kann eine fatale Kette werden, die den Insulin-, Zucker- und Fettstoffwechsel auf den Kopf stellt: Denn der Körper braucht das Hormon Insulin, um den Zucker aus dem Blut in die Zellen zu schleusen. Bei einer Insulinresistenz werden die Körperzellen und auch das Gehirn zunehmend unempfindlicher für Insulin. Die Bauchspeicheldrüse versucht, das zunächst zu kompensieren, indem sie ihre Produktion von Insulin hochfährt. Für gleiche Stoffwechselvorgänge braucht der Körper dann aber immer mehr davon. Die Folge: Die Bauchspeicheldrüse powert sich aus, der Blutzuckerspiegel steigt dauerhaft und aus der Nahrung kommt immer weniger Zucker in der Zelle an. Bleibt das so, entwickelt sich ein Typ-2-Diabetes.
Der dauerhaft erhöhte Blutzuckerspiegel führt zu Gefäßschäden. Daran wiederum hängen noch mehr Folgeerkrankungen: Niere, Herz, Nerven können Schaden nehmen.
Welche Ernährung wird empfohlen?
Gesunde Ernährung bedeutet nach der Deutschen Gesellschaft für Ernährung (DGE) möglichst unverarbeitete Nahrung zu essen, frisch, bunt, reich an Obst, Gemüse, Hülsenfrüchten, Nüssen, Kernen, Vollkorn. Auch Milchprodukte oder ihre pflanzlichen Alternativen zählen dazu. Empfohlen werden wenig Fleisch, dafür aber Fisch. Hauptgetränk und Durstlöscher sollte Wasser sein. Ergänzt werden sollte die gesunde Ernährung von einer gesunden Lebensweise mit genug Bewegung (Sport) und Schlaf.
Tiefkühlpizza, Wurst und ihre veganen Pendants, überzuckerte Joghurts, Frühstückscerealien und Softdrinks zu verbannen, ist aber noch lange kein Garant. Auch Ernährungsmedizin hat Grenzen. Dazu spielen noch genetische oder epigenetische Faktoren eine Rolle. „Ich glaube nicht, dass eine gesunde Ernährung das Allheilmittel für alle Probleme ist“, sagt Kleinridders. „Das Leben ist einfach kompliziert und meistens gibt es auch keinen einfachen Ausweg.“
Wie individuell muss eine gesunde Ernährung angepasst werden?
Jeder reagiert individuell auf Essen und muss für sich eine Strategie entwickeln. Eine Möglichkeit sind Fastenphasen, zum Beispiel Intervallfasten. „Ganz allgemein kann man sagen, unser Körper erholt sich nur im Fastenzustand“, sagt Kleinridders. „Wenn wir essen, ist das immer metabolischer Stress." Eine Studie von 2018 habe gezeigt, dass wenn wir in acht Stunden die gleiche Menge an Kalorien zu uns nehmen, wie sonst über den ganzen Tag verteilt, sich Insulinwirkung, Hormonlage und Stoffwechsel verbessern. Zudem werde der Blutdruck gesenkt und der Appetit nehme ab.
Fasten sei aber nicht für alle der richtige Weg. Jeder müsse für sich selbst herausfinden, was gut zum eigenen Stoffwechsel und in den Alltag passe. „Für manche ist es vielleicht eine Kohlenhydratreduktion, für andere ist es eine Fettreduktion“, so Kleinridders. Man müsse die Strategien aber nicht nur drei Wochen, sondern drei Monate lang ausprobieren.
Wie sinnvoll sind Supplements?
Nahrungsergänzungsmittel (auch Supplements genannt) wie Vitamine, Mineralstoffe, Spurenelemente in Form von Pillen, Kapseln, Pulver oder Tropfen sind gerade im Trend. Doch Verbraucherzentralen warnen davor und auch die DGE steht den „bunten Pillen fürs gute Gewissen” ablehnend gegenüber.
Dennoch gibt es besondere Lebenssituationen, die eine Supplementierung erforderlich machen, beispielsweise in einer Schwangerschaft, wo der Bedarf an Folsäure erhöht ist oder wenn im Rahmen veganer Ernährung B-Vitamine oder Eisen nicht ausreichend über die Ernährung aufgenommen werden können. Auch die Vitamin-D-Versorgung ist nicht für jeden über Nahrung und Sonne zu decken.
„Es gibt aber ein paar Studien, die sagen, wo wir schon einen gewissen positiven Effekt sehen mit der Vitamin-D-Supplementation in den dunklen Jahreszeiten“, sagt André Kleinridders. „Aber ansonsten würde ich sagen, können wir alle anderen Vitaminen und Spurenelemente durch eine gesunde Ernährung zu uns nehmen. Und wir dürfen nicht vergessen, durch eine gesunde Ernährung bekommen wir noch viel, viel mehr als nur ein Vitamin.“ Seine Empfehlung: „Esst gesund, esst abwechslungsreich. Ihr müsst nicht supplementieren, wenn ihr gesund seid.“
Orthomolekulare Medizin
Die Internistin Helena Orfanos-Böckel bestätigt zwar die Wichtigkeit einer gesunden Ernährung, geht aber davon aus, dass man an einer Supplementierung nicht vorbeikomme. Dem Körper allein über die Ernährung täglich alle notwendigen Nährstoffe zuzuführen, sei quasi ausgeschlossen. Was wir ganz genau brauchen, um uns gut zu fühlen – und im besten Fall Krankheiten vorzubeugen, variiere stark von Person zu Person. Deshalb setzt sie auf orthomolekulare Medizin, eine „Nährstoff-und Hormon-Therapie“. Dabei werden zunächst mit einer Labordiagnostik Krankheitswerte, Gesundmachwerte und Schlüsselwerte ermittelt.
Die Schaltstelle für zelluläre Stoffwechselfunktionen nennt Orfanos-Böckel „Individuelle biochemische Stoffwechselempfindlichkeit“ (IBSE). Ihre Behandlung zielt darauf ab, mit teilweise hoch dosierter Verwendung von Vitaminen, Mineralstoffen, Spurenelementen und Fettsäuren den Stoffwechsel „robust“ einzustellen, damit Patienten mit Stress und dem Altern besser zurechtkommen und auch gegen Infekte besser gewappnet sind.
„Einstellen von Werten, um im Stoffwechsel quasi andere Werte zu beeinflussen oder zu kontrollieren und auch funktionell das Befinden zu verbessern, ist eine medizinische ganz normale Herangehensweise“, sagt die Internistin. „So macht man das in ganz vielen anderen Bereichen immer.“ Allerdings geschehe das meist erst zu spät, wenn der Patient erkrankt sei. Dann werde mit pauschalen Dosierungen behandelt.
Doch für orthomolekulare Medizin fehlt es an Studien: Die Wirksamkeit ist für eine große Zahl an Personen bisher nicht belegt. Daher kommen gesetzliche Krankenkassen dafür nicht auf. Wer im Moment seinen Nährstoffstatus im Blut bestimmen lassen möchte, muss für Labor und Beratungskosten oft viel Geld bezahlen.
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