Bislang zählen vor allem körperliche Beeinträchtigungen, wenn es um die Frage geht, wie pflegebedürftig ein Mensch ist. Angesichts der steigenden Zahl von Demenzkranken, die zwar körperlich in der Lage sind, Alltagsaufgaben zu bewältigen, aber wegen ihres geistigen Zustandes betreut und begleitet werden müssen, gilt diese Definition schon seit Jahren als viel zu eng gefasst. Denn demenziell Erkrankte und ihre Angehörigen bekommen in vielen Fällen bislang trotz des hohen Aufwandes keine finanzielle Unterstützung aus der Pflegeversicherung.
Der neue Pflegebedürftigkeitsbegriff soll hier Abhilfe schaffen, erklärte Bundesgesundheitsminister Hermann Gröhe heute in Berlin. Fünf Pflegegrade statt drei Pflegestufen, ein neues Begutachtungsverfahren, das geistige Defizite genauso berücksichtigt wie körperliche. Das soll zunächst bundesweit in Pflegeeinrichtungen und bei der Pflege zu Hause geprüft werden. Dabei wird parallel nach neuen und alten Regeln geprüft. In einem zweiten Modellversuch soll getestet werden, welchen Versorgungsaufwand die neuen Pflegegrade in Pflegeheimen erzeugen.
"Gerade arbeiten wir mit Hochdruck am Gesetzentwurf für die erste Stufe, dieser Pflegereform, mit der wir schon zum 1. Januar 2015 die Leistungen spürbar verbessern wollen."
Ab diesem Zeitpunkt sollen Verbesserungen auch für pflegende Angehörige eingeführt und Leistungen flexibler bewilligt werden. Vollständig umgesetzt sein wird die Reform erst 2017, sagte Gesundheitsminister Gröhe.
Zur Finanzierung sollen zukünftig rund fünf Milliarden Euro im Jahr mehr zur Verfügung stehen. Dafür soll im Laufe dieser Legislaturperiode der Beitrag zur Pflegeversicherung in zwei Schritten um insgesamt 0.5 Prozentpunkte erhöht werden. Knapp die Hälfte davon, 2,4 Milliarden, sind für die Kosten durch die Einführung des neuen Pflegebedürftigkeitsbegriffs eingeplant. Und damit für die Besserstellung von Demenzkranken.
Die Pflegepolitische Sprecherin der Fraktion die Linke, Pia Zimmermann, drängt darauf, den neuen Pflegebegriff und das Begutachtungsverfahren zügig umzusetzen und nicht auf die lange Bank zu schieben. Unterstützung bekommt sie dafür von Ulrike Mascher, der Präsidentin des Sozialverbandes VDK. Der neue Pflegebedürftigkeitsbegriff sei bereits zweimal in früheren Legislaturperioden geprüft und wissenschaftlich begutachtet worden.
"Und unsere Sorge ist jetzt ein bisschen, dass wir im dritten Anlauf wieder irgendwann 2017 feststellen, es ist immer noch nicht im Alltag bei den Betroffenen und den pflegenden Angehörigen."
Auch Professor Stefan Görres vom Institut für Public Health und Pflegeforschung an der Universität Bremen steht der neuerlichen Testphase ambivalent gegenüber. Gründlichkeit sei gut, sagt er, entscheidend sei aber, wie die Ergebnisse Anfang des kommenden Jahres, von der Bundesregierung bewertet würden:
"Wenn sich jetzt erweisen sollte, dass das doch zu Kosten führt, die dann davonlaufen, dann würde man das seitens der Politik vielleicht nochmal auf die lange Bank schieben oder sogar einen Rückzieher machen."
Derzeit sind rund 2,5 Millionen Bundesbürger auf Pflege angewiesen, bis 2020, so wird geschätzt, könnten es 3,4 Millionen sein. 2050 sogar 4,5 Millionen. Bis dahin, so schätzen Experten, könnte sich auch die Zahl der Demenzkranken verdoppelt haben.