Archiv

Gesundheit und Gewinne
Das Rennen um den Corona-Impfstoff

Mehr als 200 Firmen forschen weltweit an einem Impfstoff gegen COVID-19 - und dabei geht es auch um viel Geld. Die Fortschritte bei der Entwicklung einer Impfung haben allerdings längst auch eine geopolitische Dimension erreicht.

Von Caspar Dohmen |
Ein Patient erhält in den USA eine Injektion eines COVID-19- Impfstoffes
Ein Patient erhält in den USA eine Injektion eines COVID-19- Impfstoffes (AFP / Chandan Khanna)
"Wer am Ende einen Impfstoff hat und den vertreiben kann, der wird mit diesem Mittel sehr viel Geld verdienen." Der Ökonom Gabriel Felbermayr, Präsident des Kieler Instituts für Weltwirtschaft, über den Anreiz für Pharmafirmen, einen Impfstoff zu entwickeln.
"Bei der Produktion und der Verteilung des Impfstoffes spielt Geopolitik eine ganz große Rolle", sagt die Politikwissenschaftlerin Daniela Schwarzer, Leiterin der Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik.
"Patente blockieren die Produktion, ermöglichen hohe Preise und riskieren die Versorgung von Menschen gerade in ärmeren Ländern", so Marco Alves von der Organisation "Ärzte ohne Grenzen". Er fordert, die Wirkstoffkombination von Impfstoffen gegen COVID-19 freizugeben und dafür kein Patent zu vergeben.
Weltweit hoffen die Menschen auf den Durchbruch bei der Entwicklung eines Impfstoffs gegen das Coronavirus. Wegen der rasant steigenden Infektionszahlen haben Regierungen mehrerer europäischer Länder und Regionen Teile der Wirtschaft und des öffentlichen Lebens aktuell wieder heruntergefahren.
Von der Entwicklung eines Impfstoffes hängt entscheidend ab, wann wieder zur Normalität zurückgekehrt werden kann.
Impfstoff des Unternehmens Sinovac Biotech. Das Mittel wird zurzeit in der 3. Phase getestet.
Rennen um Corona-Impfstoffe
Weltweit arbeiten Forschungsinstitute und Unternehmen mit Hochdruck an der Erprobung unterschiedlichster Vakzine gegen SARS-CoV-2 – und entwickeln dabei mitunter ganz neue Technologien. Doch Risiken und Nebenwirkungen dürfen beim Kampf gegen die Pandemie nicht unterschätzt werden.
Die Chancen zumindest, dass ein Impfstoff kommt, stehen nicht schlecht. Viele Firmen investieren in die Forschung, sagt Alexander Nuyken, Pharmaexperte bei der Wirtschaftsprüfungsgesellschaft Ernst & Young, kurz EY: "Als wir die Analyse, ich glaube im Juni war es, gemacht hatten, waren wir bei um die 160 Impfstoffen in der Entwicklung. Inzwischen sind wir bei 213, die wir identifiziert haben. Das heißt also, da sind inzwischen einige mehr aus der Deckung gekommen."
Warten auf die Zulassung
Mehr als 45 Impfstoff-Kandidaten befinden sich mittlerweile in der klinischen Phase und werden an Menschen getestet. Sollte das erfolgreich sein, käme als nächster Schritt die Zulassung. Einige Firmen wie Biontech aus Deutschland oder Moderna aus den USA könnten sie bald erhalten. Auch die Pharma-Riesen AstraZeneca aus Großbritannien und Johnson & Johnson haben – nach Erkrankungen von Probanden – ihre klinischen Tests wiederaufgenommen. Klar ist: Sind sie erfolgreich, winkt den Firmen ein gigantischer Markt.
Branchen-Experte Alexander Nuyken: "Wenn man jetzt wirklich von einer Impfung ausgeht, die flächendeckend so ist, dass wir das Coronavirus besiegen können, dann reden wir hier auch nicht von ein paar Millionen Dosen, sondern da reden wir von mehreren hundert Millionen, wenn nicht Milliarden Dosen, die wir brauchen, weltweit."
Gewöhnlich dauert es acht bis zehn Jahre, bis ein neuer Impfstoff zugelassen wird. Schließlich muss sichergestellt sein, dass ein Impfstoff Menschen nutzt und nicht schadet. Jetzt wollen manche Akteure das in weniger als einem Jahr erreichen. Das ist selbst für Pharma-Riesen mit viel Personal und finanziellen Mitteln eine große Herausforderung: Diverse Akteure haben sich deshalb zusammengeschlossen.
Ökonom Gabriel Felbermayr: "Europäische, deutsche Firmen kooperieren sehr stark mit amerikanischen. Im asiatischen Raum gibt es viele Kooperationen. Das heißt, es sind zwar viele einzelne Unternehmen, die hier immer genannt werden, aber die arbeiten durchaus in Verbünden."
"Das ist ein riesiger Markt"
Etwa der größte britische Impfstoffhersteller Glaxosmithkline mit Sanofi aus Frankreich, der US-Pharmariese Pfizer mit der deutschen Firma Biontech oder der britische Hersteller AstraZeneca mit der Universität Oxford.
"Aber es ist klar, es gibt zwischen diesen Forschungsverbünden einen Wettbewerb. Der Wettbewerb ist sehr stark und der ist motiviert von der Aussicht großer Gewinne. Denn die Pandemie bedroht die gesamte Weltbevölkerung, acht Milliarden Menschen. Das ist ein riesiger Markt. Und da sieht man auch sehr gut, was Marktwirtschaft bringen kann, nämlich die Motivation zu einem Rennen."
Anders als bei einem sportlichen Wettkampf könnte es beim Rennen um den Impfstoff durchaus mehrere Sieger geben. Das liegt auch daran, dass die Kosten für die Verteilung des Impfstoffes sich gehörig unterscheiden können. Zum Beispiel ist der Einsatz eines Impfstoffes teurer, wenn bis zum Gebrauch eine extreme Kühlung notwendig ist, was den Aufbau einer entsprechenden Logistik voraussetzt.
Eine Hand hält eine Spritze, aus der ein Tropfen kommt.
Medizinethikerin: "Eine Zwangsimpfung wird es auf keinen Fall geben"
Corona übersteige das Basisrisiko, das zum Leben in einem Gemeinwesen gehöre, sagte die Medizinethikerin Claudia Wiesemann im Dlf. Staatliche Eingriffe zum Schutz aller müssten verhältnismäßig sein, wie etwa die Abstandsregeln. Für eine Impfung gäbe es hingegen eine viel höhere Rechtfertigungsschwelle.
Alexander Nuyken von EY sieht jedenfalls keine goldenen Zeiten für alle Pharmafirmen anbrechen. "Selbstverständlich wird es so sein, dass am Ende zwei, drei Impfstoffe möglicherweise das Rennen machen, die auch parallel an den Markt kommen können. Dafür ist auch Raum. Aber dann werden die anderen alle im Prinzip wieder in der Versenkung verschwinden und genauso mit den Therapeutika."
Die meisten Unternehmen werden mit ihren Impfstoffkandidaten also kein Geld verdienen. Auf dem Markt für forschende Pharmaunternehmen ist das völlig normal. Regelmäßig platzen Erwartungen, weil Medikamente nicht die gewünschten Ergebnisse bringen. Bisweilen scheitern neue Medikamente kurz vor der Ziellinie. Trotzdem: Viele andere Experten gehen davon aus, dass sich die Inkaufnahme von Risiken für die Industrie insgesamt rechnet. Die Pharmabranche ist schon zu normalen Zeiten höchst profitabel.
Ulf Sommer, der bei der Wirtschaftszeitung "Handelsblatt" seit mehr als 20 Jahren Aktienmärkte analysiert, zu den Renditen der Branche: "Oh, die sind deutlich, ja wirklich deutlich höher als in anderen Branchen. Also das habe ich mir die letzten Jahre schon angeschaut, also lange vor COVID-19. Also Nettoumsatzrenditen von 20, ja sogar 30 Prozent sind keine Seltenheit. Also das bedeutet nichts anderes als dass bei Pharmakonzernen oft 20 oder 30 Prozent vom Umsatz als Reingewinn, wirklich als Reingewinn übrigbleibt."
Zum Vergleich: In der Automobilbranche, im Maschinenbau oder Einzelhandel liegen die Umsatzrenditen in normalen Zeiten unter zehn Prozent. Unternehmen investieren also aus gutem Grund in die Erforschung von Impfstoffen und Medikamenten gegen das COVID-19-Virus. Auch mehrere Regierungen unterstützen die Firmen mit Geldern: Die USA zum Beispiel fördern acht Pharmafirmen einen Teil ihrer Forschung mit über zehn Milliarden Dollar. Deutschland stellt den drei Firmen Curevac aus Tübingen, Biontech aus Mainz und IDT Biologica aus Dessau insgesamt 750 Millionen Euro zur Verfügung.
Verschwendung ist hier das Gebot der Stunde
Dass die Milliarden an staatlichen Fördergeldern und die privaten Investitionen der Firmen kein Garant sind für einen erfolgreichen Impfstoff, ist allen Akteuren bewusst. Aber Verschwendung ist hier das Gebot der Stunde. Nur so können viele unterschiedliche Ansätze verfolgt werden, was wiederum die Wahrscheinlichkeit erhöht, überhaupt einen Impfstoff zu finden.
Wenige forschten in den vergangenen Jahren an Coronaviren. Heute schlägt die Corona-Forschung sogar bis an die Börse durch. So haben sich etwa die Marktwerte der Pharmafirmen Moderna und Biontech im Vergleich zum Vorjahr in etwa vervierfacht. Denn selbst wenn ein Hersteller an jeder Impfdosis nur wenig verdienen würde, wäre es ein glänzendes Geschäft, sagt Ökonom Gabriel Felbermayr: "Man muss ja immer vor Augen haben, dass anders als bei anderen Impfungen oder Medikamenten hier wirklich ein globaler Markt da ist. Es sind eben acht Milliarden Menschen, die potenziell geimpft werden müssen. Und das heißt, man kann auch mit sehr geringen Margen sehr viel Geld verdienen, weil einfach der Markt so gigantisch groß ist."
Gabriel Felbermayr
Gabriel Felbermayr (imago/IPON)
Dass Unternehmen wie Astrazeneca angekündigt haben, den Impfstoff erst einmal zum Selbstkostenpreis auf den Markt zu bringen, hält Ökonom Gabriel Felbermayr für einen klugen Schachzug.
"Wenn ein Unternehmen den Wettlauf um einen Impfstoff gewinnt, dann wird es international Reputation gewinnen, Ansehen gewinnen. Sein Name wird sozusagen sehr bekannt werden. Und das führt dazu, dass auch andere Produkte im Portfolio eines solchen Unternehmens stärker nachgefragt werden. Also ich bin mir sicher, dass auch die Unternehmen, die sich jetzt vielleicht philanthropisch geben, durchaus auch ihr kommerzielles Interesse im Auge haben. Und das ist in Ordnung, denn am Ende ist es dieses kommerzielle Interesse, das diesen Wettlauf um den Impfstoff befeuert."
Herstellung für neun Dollar, Behandlung für 2.340 US-Dollar
Bei Remdesivir, das die Krankheitsdauer bei Corona-Patienten verkürzen soll, spielen altruistische Überlegungen beim Hersteller Gilead offensichtlich keine Rolle, im Gegenteil.
Marco Alvez von "Ärzte ohne Grenzen": "Im Juni hat Gilead angekündigt, dass die fünftägige Behandlung mit Remdisivir in den meisten Ländern 2.340 US-Dollar kosten werde, obwohl die Herstellungskosten laut unabhängigen Analysen bei unter neun US-Dollar liegen und obwohl die öffentliche Hand mehr als 70 Millionen US-Dollar in die Entwicklung des Medikaments investiert hat. Und schon jetzt gibt es weltweit Versorgungsengpässe beim Remdisivir."
Im Hintergrund sieht man verschwommen einen Mann mit Mundschutz, im Vordergrund groß seine Hand mit einer Spritze und einen kleinen Teil des Oberarms der Patientin
Wundermittel gegen COVID-19?
Antikörpertherapien sollen einen schweren Verlauf einer Corona-Erkrankung verhindern und besonders gefährdete Menschen vor der Infektion schützen. US-Präsident Donald Trump hat sich einer solchen Therapie unterzogen, obwohl sie noch nicht offiziell zugelassen ist – und sich nicht für jeden eignet.
30 US-Generalstaatsanwälte warfen dem Unternehmen bereits im Sommer Preistreiberei vor. Allerdings könnte sich das Thema von selbst erledigen. Denn in einer Studie der Weltgesundheitsorganisation mit mehr als 11.000 Patienten aus 400 Krankenhäusern fiel dieser Wirkstoff genauso durch wie drei weitere Wirkstoffe. Die Studie wird derzeit von unabhängigen Wissenschaftlern begutachtet und soll danach veröffentlicht werden.
Südafrika und Indien drängen auf Patentschutz-Aussetzung
Beim Rennen um den Impfstoff geht es neben der Gesundheit der Menschen und der Aussicht auf ein lukratives Geschäft längst auch um geopolitische Interessen von Staaten. Südafrika und Indien beispielsweise haben bei der Welthandelsorganisation WTO beantragt, den Patentschutz für COVID-19-Impfstoffe und Medikamente auszusetzen. Eine solche Möglichkeit sieht das WTO-Statut in Notlagen vor.
"Ärzte ohne Grenzen" unterstützt die Forderung: "Patente blockieren die Produktion, ermöglichen hohe Preise und riskieren die Versorgung von Menschen gerade in ärmeren Ländern. Deswegen ist ein Aussetzen geistiger Eigentumsrechte und entsprechender Technologietransfer extrem wichtig, um eine Produktion im globalen Maßstab von wichtigen Hilfsmitteln gegen COVID-19 hochzufahren, damit der immense globale Bedarf gedeckt werden kann, insbesondere für arme Länder zu möglichst niedrigen Preisen. Und das ist nicht unbedingt im Interesse einzelner Firmen, aber im Interesse der Weltgemeinschaft."
Die Impfstoffentwicklung wird damit zum Spielball internationaler Politik. Daniela Schwarzer, Leiterin der Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik: "Zum einen ist für das nationale aber auch internationale Standing von Regierungschefs von großer Bedeutung, als erster den Impfstoff bereitstellen zu können. Das sehen sie an der Rhetorik, mit der Donald Trump aber auch Wladimir Putin oder auch Erdogan über das Thema reden. Und dann zum anderen, verschiebt es natürlich Kräfteverhältnisse: Denn, wenn man zu den Ländern gehört, die zuerst ihre Bevölkerung weitgehend impfen lassen können, dann hat das natürlich Folgen für die wirtschaftliche Erholung, die wiederum Hintergrund für die Entwicklung der eigenen internationalen Machtbasis ist. Wir haben aber eben auch erlebt, dass beispielsweise die USA Europa als Konkurrenz sehen und der Versuch Donald Trumps, einen deutschen Impfstoffhersteller ganz früh zu kaufen, der zeigt eben wie groß der Wettbewerb ist", sagt Daniela Schwarzer.
"Eine Wettbewerbsverzerrung, eine Ungleichbehandlung"
"Herzlich Willkommen zum Pressestatement zum Thema Curevac." Am 15. Juni 2020 tritt Bundeswirtschaftsminister Peter Altmaier (CDU) vor die Presse. "Wir wissen nicht, welches Unternehmen wann den ersten verfügbaren Impfstoff für diese und andere Pandemien entwickeln und auf den Markt bringen wird, aber wir wissen eines: Curevac ist in dieser Entwicklung vorne mit dabei und darauf sind wir stolz."
Altmaier kündigte den Einstieg des Bundes bei dem Impfstoffhersteller aus Tübingen an, der knapp zur Hälfte Dietmar Hopp gehört, dem Mitgründer des Softwarekonzerns SAP. Die staatliche Kreditanstalt für Wiederaufbau beteiligte sich an Curevac mit rund 300 Millionen Euro und erhielt dafür etwa 20 Prozent der Anteile. Zudem stellte der Bund der Firma einen Zuschuss von bis zu 252 Millionen Euro aus dem Sonderprogramm Impfstoffentwicklung bereit. Zuvor hatte schon US-Präsident Donald Trump ein Auge auf die Firma geworfen.
Dietmar Hopp
Dietmar Hopp (Uwe Anspach/dpa)
Deutschland verkaufe sein Tafelsilber nicht und der Einstieg bei Curevac sei eine logische Konsequenz der 2019 neu eingeschlagenen industriepolitischen Strategie, sagte Altmaier.
"Für mich und für die gesamte Bundesregierung ist es deshalb auch aus industriepolitischer Sicht ganz elementar, dass wir erfolgversprechende Schlüsselindustrien, ob das digitale künstliche Intelligenzindustrien sind, Elektrobatterien, chemische Industrie, Stahlindustrie und viele andere, dass wir diese Schlüsselindustrien am Standort Deutschland erhalten und stärken. Und das gilt wie gesagt ganz besonders für die Biotechnologie und für Life Sciences."
Der Ökonom Gabriel Felbermayr dagegen sieht die Beteiligung des Bundes an Curevac "sehr kritisch": "Insgesamt ist das in der Tat eine Wettbewerbsverzerrung, eine Ungleichbehandlung. Wenn der Bund das tut, dann müsste er eigentlich in alle relevanten Pharmaindustrien mit Eigenkapital einsteigen."
Weitere Beteiligungen an Impfstoffherstellern ging der Bund nicht ein. Er bleibt bei der reinen Förderung etwa des Mainzer Unternehmens Biontech mit bis zu 375 Millionen Euro. Nutzen will das Unternehmen das Geld etwa zum Ausbau der Produktionsanlagen.
Curevac und Biontech forschen an Wirkstoffen auf Basis so genannter Messenger-RNA. Sprich, der Impfstoff enthält Genmaterial vom Coronavirus. Eine andere Methode verfolgt das Deutsche Zentrum für Infektionsforschung, das mit dem Dessauer Unternehmen IDT Biologika bei der Herstellung eines Impfstoffes kooperiert. Sie setzen auf Vektorviren als Basis für den Impfstoff. IDT Biologika erhält dafür vom Bund bis zu 114 Millionen Euro.
Trotz aller Millionenförderung – von Curevac-Miteigentümer Dietmar Hopp kommt noch bei der Pressekonferenz mit dem Wirtschaftsminister im Juni Kritik, vor allem an den Investitionsbedingungen für Biotechnologie hierzulande.
"Dividenden, Gewinne, Wachstumsphantasie"
Es ist ein altes Problem: Deutschland ist bei der Grundlagenforschung Spitze, aber schlecht in der Umsetzung der Innovationen in Produkte. Hopp sieht einen Grund in einer innovationsfeindlichen Besteuerung des Staates, wie er es nennt. Er investierte trotzdem in 16 Biotechnologie-Unternehmen, von denen sechs scheiterten. Vor solchen Risiken scheuen Banken und andere Anleger in Deutschland meist zurück.
Ulf Sommer vom "Handelsblatt": "Wenn hier in Deutschland Unternehmen an die Börse gehen, egal, ob in der Industrie, ob im Einzelhandel, aber leider eben auch ob Biotechnologie oder IT, dann wollen die Anleger immer sofort, dass diese Unternehmen auch von Anfang an Gewinne machen und möglichst auch schon Dividenden ausschütten. Und dazu sollen die Unternehmen dann auch noch große Wachstumsphantasie bergen."
Also gute Chancen auf viele neue Geschäfte haben, meint Sommer. "Doch alles zusammen: Dividenden, Gewinne, Wachstumsphantasie, das geht in der Regel nicht von Anfang an und erst recht nicht bei Unternehmen aus so attraktiven Zukunftsbranchen wie Pharma und Biotechnologie. Und das ist der Grund, warum diese Unternehmen dann lieber an die Nasdaq gehen."
So geschehen bei eben jenen deutschen Hoffnungsträger-Firmen: Biontech ging genauso an die elektronische New Yorker Nasdaq-Börse wie auch Curevac das kurz nach dem Einstieg des Bundes tat. Im Bundeswirtschaftsministerium will man sich zu diesem Schritt nicht äußern.
"Den Börsengang des Unternehmens, wie auch anderer Unternehmen in den USA, kommentieren wir als unternehmerische Entscheidung nicht", heißt es auf Anfrage. Man wolle aber mehr für Wachstumsbereiche tun und befinde sich, Zitat, "in enger Abstimmung mit dem Bundesministerium der Finanzen, insbesondere auch hinsichtlich steuerlicher Anreize zur Mobilisierung von privatem Wagniskapital über die bisherigen Maßnahmen hinaus." Soll heißen: Das Wirtschaftsministerium arbeitet daran, die Bedingungen für Investitionen in riskante Innovationen zu verbessern.
Coronavirus
Übersicht zum Thema Coronavirus (imago / Rob Engelaar / Hollandse Hoogte)
Die Dauer der Pandemie bestimmt die Wirtschaftserholung
Fest steht: Die Länder, denen eine Entwicklung des Impfstoffs und eine Impfung großer Teile der Bevölkerung als erstes gelingt, dürften die Pandemie schneller in den Griff bekommen, wovon die gesamte Wirtschaft profitieren würde.
Politikwissenschaftlerin Daniela Schwarzer: "Man sieht jetzt schon, dass die Dauer der Pandemie in dem jeweiligen Land und in der jeweiligen Volkswirtschaft natürlich den Kurs der wirtschaftlichen Erholung mitbestimmt. Denn je länger ein Land im Lockdown ist, je stärker die Unternehmen leiden, je stärker der Arbeitsmarkt auch in die Knie geht, desto schwieriger und langwieriger ist die wirtschaftliche Erholung. Und insofern ist die Frage, wie schnell kann die Pandemie besiegt werden und wie schnell kann wieder so etwas wie ein normaler Alltag einkehren, sehr, sehr wichtig für die Frage, wie stark leidet die Wirtschaft?"
Der Wettbewerb um die Impfstoff-Entwicklung wird also auch zu einem Wettbewerb der nationalen Wirtschaften. In China zum Beispiel ist eine zweite Corona-Welle bislang größtenteils ausgeblieben. Die Wirtschaft und der Alltag normalisieren sich. Während das Bruttoinlandsprodukt in den meisten EU-Staaten oder den USA in diesem Jahr schrumpfen wird, dürfte es in China ganz leicht wachsen, trotz Pandemie. Es verschieben sich also auch die Gewichte zwischen den weltwirtschaftlichen Zentren.
Ökonom Gabriel Felbermayr: "Wir werden vermutlich, wenn wir auf diese Episode zurückblicken, im Jahre 2020 und 21, feststellen, dass der Aufholprozess Chinas im Vergleich zu den USA oder Europa oder Japan gerade jetzt eine besondere Beschleunigung erhalten hat. Und das ist natürlich auch machtpolitisch relevant, denn das Bruttoinlandsprodukt und seine Größe korreliert natürlich auch mit den Möglichkeiten, die eine Nation, ein Land hat, in der Welt zu gestalten und seine Vorstellungen durchzusetzen."