Kritiker sehen die US-Richtlinien gegen eine ungesunde Ernährung in Gefahr. Denn die staatliche Ernährungskommission wollte unter anderem empfehlen, weniger rotes Fleisch und Wurstwaren zu konsumieren – für die mächtige US-Fleischbranche ein Skandal. Diese startete prompt eine Online-Kampagne mit der Botschaft "Hände weg von meinem Hotdog" und streute Zweifel über die Beweggründe des Beratergremiums – eine Taktik, die schon die Tabakbranche im Kampf für das Rauchen angewandt hatte.
"Unsere größte Sorge ist, dass die Richtlinien politisch motiviert sind und nicht mehr dem ursprünglichen Rahmen entsprechen, einen Ernährungsplan zu erstellen, der auf soliden wissenschaftlichen Kenntnissen beruht", beschwert sich Todd Wilkinson, Vorsitzender der Viehzüchtervereinigung von Süd-Dakota.
Mehr als 200 US-Gesundheitsorganisationen waren anderer Meinung - in einem offenen Brief an die Obama-Regierung warben sie lautstark für die Empfehlungen des Beratergremiums - bejubelt von Verbraucher - und Umweltschützern. Pamela Koch, Ernährungswissenschaftlerin an der Columbia Universität in New York:
"Der fast 500 Seiten lange wissenschaftliche Bericht des Beratergremiums zeigt ganz klar, dass Amerikaner zu viel rotes und verarbeitetes Fleisch essen. Die Nutztierhaltung produziert sehr viele Treibhausgase, vor allem Methan. Wir sollten den Fleischkonsum reduzieren, um unsere Gesundheit und die Umwelt zu schützen."
Solche Argumente stießen bei der Obama Regierung auf taube Ohren: Die zu Jahresbeginn erneuerten Richtlinien beinhalten weder eine Empfehlung für weniger Fleischkonsum noch eine grundsätzliche Erklärung zu nachhaltiger Ernährung, weil Letztere weit über den gesetzlichen Auftrag hinausgehe, so die Begründung. Auch die Softdrink-Branche freue sich über einen Sieg, sagt Lawrence Gostin, Juraprofessor an der Georgetown Universität in Washington.
"Die neuen Richtlinien sollten ganz klar sagen, dass Amerikaner weniger gesüßte Softdrinks trinken müssen, aber das wurde einfach weggelassen. Es gibt eine Empfehlung, Zucker zu reduzieren, aber von weniger Coca-Cola und anderen Softdrinks ist nicht die Rede."
Herstellung von Fleisch erzeugt mehr Treibstoff als Getreide-Herstellung
Dabei warnten schon vor drei Jahren Harvard-Professoren bei täglichem Konsum von rotem Fleisch, Wurst oder Schinken vor Herzinfarkt und Schlaganfall. Hinzu kommt: Laut Ernährungskommission benötigt die Erzeugung von einer Kalorie an Fleisch 18 mal so viel Treibstoff wie eine entsprechende Kalorie an Getreide – eine Belastung der Umwelt. Süße Softdrinks wiederum führen zu Übergewicht und chronischen Krankheiten wie Bluthochdruck, Diabetes und Fettwechselstörungen. Und das in einem Land, in dem jeder Dritte an Übergewicht leidet. Unverantwortlich, sagt Pamela Koch.
"Traurig ist, dass die Firmen für ihre Produkte vor allem in armen Gegenden werben. Die Leute glauben, dass sie ihr Leben ein wenig genießen können, bezahlen dafür aber mit gesundheitlichen Konsequenzen."
Und doch: Die Fleisch- und Softdrink-Branche sind unter Druck geraten. Immer weniger Amerikaner greifen zu ihren Produkten. Der Verkauf von Softdrinks hat sich in den letzten 20 Jahren um 25 Prozent verringert, der Konsum von Fleisch seit 2007 um ein Zehntel. Ernährungsexpertin Pamela Koch.
"Die Ernährungs- und Chemiebranche weiß, dass sie sich ändern muss, will das aber so langsam wie möglich tun. Es ist schwer, neue Geschäftspraktiken und Produkte einzuführen."
Zweifel an der Neutralität
Einige Experten bezweifeln, dass es die 1980 eingeführten staatlichen Ernährungsrichtlinien noch lange geben wird. Denn im letzten November hat der US-Kongress eine Untersuchung ihrer "wissenschaftlichen Integrität" angefordert. Das Ergebnis dieser Studie wird wohl auch davon abhängen, ob die Bewertung weiterhin auch unter die Obhut des Agrarministeriums fällt. Pamela Koch zweifelt an dessen Neutralität:
"Wie kann das US-Landwirtschaftsministerium alle Farmer dieses Landes unterstützen und gleichzeitig Informationen über gesunde Ernährung veröffentlichen? Beides steht oft für gegensätzliche Positionen. Ist das nicht ein Interessenkonflikt?"