Ralf Krauter: Die WHO sprach von einer "langsam fortschreitenden Katastrophe für die öffentliche Gesundheit". Warum dieser dramatische Tonfall?
Volkart Wildermuth: Es geht ganz einfach um die wichtigsten Todesursachen heutzutage. Früher musste man Angst haben vor Tuberkulose, AIDS oder Masern. Dank der Impfungen, der Antibiotika und andere Medikamente haben Infektionen aber viel von ihrem Schrecken verloren. Heute sterben weltweit die meisten Menschen eben an Herz-Kreislaufleiden, an Krebs, an Atemwegserkrankungen oder Diabetes. Zusammengenommen versterben an den nicht übertragbaren Krankheiten jedes Jahr mehr als 36 Millionen Menschen, die meisten davon übrigens in den Ländern der Dritten Welt. Das aber ist kein unabänderliches Schicksal. 16 Millionen dieser Todesfälle lassen sich im Prinzip vermeiden. Deshalb hat die WHO einen globalen Aktionsplan verabschiedet. Er beschreibt Wege, um bis zum Jahr 2025 ein Viertel dieser unnötigen Todesfälle tatsächlich zu verhindern.
16 Millionen Todesfälle ließen sich jährlich vermeiden
Krauter: Ein ehrgeiziges Ziel. Die nicht übertragbaren Krankheiten sind ja ein sehr ein Sammelsurium, da gehören ganz verschiedene Krebsformen genauso dazu wie Stoffwechselstörungen aber auch Depressionen oder Suchtprobleme. Macht das überhaupt Sinn, die zusammenzuwürfeln und gemeinsam anzugehen?
Wildermuth: Ja, das macht es, und zwar, weil die Risikofaktoren für viele dieser Krankheiten immer die gleichen sind. Das klingt jetzt vielleicht banal aber ungesunde Ernährung, mangelnde Bewegung, Rauchen und Alkohol können das Wachstum von Krebszellen genauso fördern, wie sie die Leistung des Kreislaufsystems beeinträchtigen, den Stoffwechsel aus dem Gleichgewicht bringen und ja sogar zu Depressionen etwas beitragen. Deshalb hat der globale Aktionsplan auch neun konkrete Vorgaben für jedes Land gemacht. Zum Beispiel soll bis 2025 der durchschnittliche Salzkonsum um 30 Prozent reduziert werden, die Zunahme des extremen Übergewichts soll gestoppt werden, auf der Liste steht der Kampf gegen Rauche und Alkoholmissbrauch aber auch Zugang zu Medikamenten und Therapien zur Vorbeugung und Behandlung der verschiedenen Nicht übertragbaren Krankheiten.
Salzkonsum um 30 Prozent reduzieren
Krauter: Das klingt nach einer großen Herausforderung. In Deutschland wird ja schon viel unternommen, aber überfordert das nicht ärmere Länder?
Wildermuth: Nein, meint die Generaldirektorin der Weltgesundheitsorganisation. Margaret Chan sagte, dass theoretisch ein bis drei Dollar pro Person im Jahr aus reichen, um wesentliche Fortschritte zu erzielen. Das würde sich weltweit auf über 11 Milliarden Dollar summieren, aber wenn nichts unternommen wird, dann verlieren allein die ärmeren Länder 7 Billiarden Dollar durch Arbeitsunfähigkeit und frühen Tod. Es lohnt sich also, etwas gegen die nicht übertragbaren Krankheiten zu unternehmen, aber es kommt darauf an, das Geld gezielt zu investieren. Die WHO hat deshalb eine Liste von kosteneffektiven Maßnahmen zusammengestellt, aus der sich die Regierungen die jeweils für ihr Land passenden Mix zusammenstellen können.
Verbot von Alkohol- und Tabakwerbung
Krauter: Was steht auf dieser Liste?
Wildermuth: Zum Beispiel ein Verbot von Alkohol- und Tabakwerbung, der Austausch von trans Fetten durch mehrfach ungehärtete Fette, ein Screening auf Gebärmutterhalskrebs, Programme um Mütter zu ermutigen, ihren Babys die Brust zu geben, Ernährungstipps und Bewegungsprogramme. Es gibt also viele Möglichkeiten, die die werden auch schon umgesetzt. Die Türkei zum Beispiel konnte durch höher Steuern und Warnhinweise auf den Zigarettenschachteln die Zahl der Raucher in den letzten Jahren um mehr 13 vermindern. In Argentinien verwenden die Bäcker jetzt ein Viertel weniger Salz, Ungarn hat, auch über die Steuern, den Zuckergehalt der Lebensmittel verringert. Also es gibt Möglichkeiten.
Mehr Bewegung und weniger Alkohol
Krauter: Wie zufrieden ist die WHO mit der bisherigen Umsetzung?
Wildermuth: Bei der Weltgesundheitsorganisation gibt man sich diplomatisch: Die meisten Länder machen Fortschritte, inzwischen gibt es fast überall eine Abteilung für die nicht übertragbaren Krankheiten in den Gesundheitsministern, aber die praktischen Erfolge sind doch eher begrenzt, vor allem in den ärmeren Ländern. Wie es in Deutschland aussieht hat sich kürzlich auf einer Pressekonferenz in Berlin gezeigt. Da waren hochrangige Wissenschaftler und Mediziner mit wirklich spannenden Themen angetreten, anwesend war aber genau eine Journalistin: Offenbar ist hierzulande noch weitgehend unbekannt was sich hinter den nicht übertragbaren Krankheiten verbirgt. Das muss sich ändern, wenn die engagierten Ziele bis 2025 tatsächlich erreicht werden sollen. In Deutschland ist das Gesundheitssystem gut ausgebaut. Deshalb heißt es hierzulande vor allem: mehr Bewegung, mehr Gemüse, Früchte, Nüsse, weniger Salz, weniger Alkohol, den Blutdruck, die Blutfette und vor allem den Bauchumfang im Blick behalten. Sie sehen Herr Krauter, der Staat kann zwar vieles erleichtern, aber im Kampf gegen die Nicht übertragbaren Krankheiten, ist der Lebensstil entscheiden und den kann letztlich nur jeder Einzelne verändern.
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