Christian Floto: Bei uns in Deutschland gibt es heute an die 1.400 Krankenhäuser. Es geht auch mit deutlich weniger Krankenhäusern: Bundesweit 600 Kliniken reichten aus, um eine qualitativ gute Versorgung zu gewährleisten. Zu diesem Schluss kommt jedenfalls eine Studie, die das Berliner Institut für Gesundheits- und Sozialforschung im Auftrag der Bertelsmann-Stiftung erstellt hat. Die hat mächtig Staub aufgewirbelt. Die verbleibenden Häuser, so die Vorstellung dieses Vorschlags, die könnten dann besser ausgestattet werden, sie hätten auch mehr Personal. Größere Kliniken - das bedeutet auch, es gäbe größere Fachabteilungen, mehr Patientinnen und Patienten, aber eben auch mehr konzentrierte Expertise und Erfahrung. Dann ließen sich Komplikationen vermeiden, Todesfälle verhindern.
Und neben den großen Versorgungskrankenhäusern soll es, so schlagen die Autoren vor, noch etwa 50 Krankenhäuser der Maximalversorgung geben, wie etwa Universitätskliniken. Nach Ansicht dieser Studienautoren werden heute auch zu viele Menschen im Krankenhaus behandelt, etwa fünf Millionen Patienten könnten nämlich auch ambulant behandelt oder operiert werden in Zukunft.
Professor Christian Thielscher leitet das Kompetenzzentrum für Management im Gesundheits- und Sozialwesen an der Hochschule FOM, und er ist von Hause aus Betriebswirtschaftler, Volkswirtschaftler und Arzt. Eine drastische Reduzierung der Zahl der Kliniken bei gleichbleibender oder sogar besserer Patientenversorgung - das klingt ja erst einmal gut, aber wie zwingend sind die Argumente aus Ihrer Sicht?
"Was hier gemacht wurde, war eine Fahrzeitanalyse"
Christian Thielscher: Also Kern der Studie ist ja gar nicht die Qualität von Krankenhäusern, sondern was hier gemacht wurde, war eine Fahrzeitanalyse. Das heißt, die Autoren haben geguckt, wenn man unterstellt, dass man Patienten eine Fahrzeit von 30 Minuten zumuten kann ins Krankenhaus - wie viele Krankenhäuser kann man dann aus der Versorgung nehmen, ohne dass diese 30-Minuten-Schwelle überschritten wird?
Und da kann man natürlich viele Krankenhäuser wegnehmen, insbesondere in Ballungszentren. Um das mal ganz konkret zu machen: Wir haben in Köln im Umkreis von 300 Metern um die Robert-Koch-Straße herum drei Krankenhäuser. Und da ändert sich natürlich an der Fahrzeit überhaupt nichts, wenn man zwei von den Krankenhäusern schließt und dafür das übrig gebliebene Krankenhaus verdreifacht. Nur ob das die Qualität der Versorgung verbessert, ist natürlich eine ganz andere Frage.
Versorgungsplanung muss krankheitsspezifisch sein
Floto: Die These hier ist ja so etwas grob: Also kleine Kliniken, da sind potenzielle Risiken mit verbunden und deshalb wäre es besser, sich auf große zu konzentrieren. Macht das Sinn, ist da irgendetwas dran?
Thielscher: Also es gibt Teilbereiche, wo es Hinweise gibt, dass wir zu viele Anbieter haben. Das betrifft zum Beispiel Regionen, wo wir sehr viele Unikliniken haben und jede Uniklinik eine eigene Neonatologie, also Versorgung von Frühgeborenen vorhalten muss. Da werden dann die Fallzahlen manchmal ein bisschen klein. Aber wie man schon an diesem Beispiel sieht, ist der Zusammenhang krankheitsspezifisch.
Das heißt man muss Krankheit für Krankheit durchdeklinieren und überlegen: Wie sollte das Versorgungsangebot sein? Also das heißt, von einem grauen Star über Herzinfarkt bis zu eingewachsenen Zehennägeln. Und das leistet genau diese Studie nicht. Die ist eben nicht krankheitsspezifisch, sondern die unterstellt im Grunde, dass eine Konzentration von Leistungen auf wenige Krankenhäuser per se die Versorgung verbessern würde.
Kliniklandschaft ist historisch gewachsen
Floto: Da kommen wir auf den Punkt, dass die Kliniklandschaft bei uns eine historisch gewachsene ist. Und wenn man jetzt die Vorschläge dieser Studie aufgreifen würde, müsste man nicht nur Kliniken schließen, sondern in Regionen, die heute schlecht versorgt sind, neue bauen. Wie realistisch ist denn das?
Thielscher: Ja, das ist genau richtig. Wir haben bei der Krankenhausplanung und bei der Planung des ambulanten Sektors gewachsene Strukturen. Es ist so, dass die ambulante Versorgung mit niedergelassenen Ärzten von den KVen geplant wird, also von den Kassenärztlichen Vereinigungen. Und die Betten werden von den Ländern, von den Bundesländern geplant.
Und was eigentlich richtig wäre, wäre wenn man sich überlegt: Wir haben für die Krankheit X - nehmen wir mal Grauen Star beispielsweise - so und soviele Patienten in der und der Region. Und dann würde man sich überlegen, wie ist die optimale Versorgung für diese Patienten ambulant und stationär, und dann könnte man daraus die richtige Versorgungsstruktur planen.
Floto: Das würde aber eigentlich diejenigen Patientinnen und Patienten mit Elektiv-Eingriffen - Problemen also, die auch Zeit haben, die nicht akut versorgt werden müssen - betreffen. Da muss man ja dann auch nochmal unterscheiden; wo ist die Akutversorgung jetzt sofort und gleich möglich, und wo sind diese anderen Erkrankungen zu konzentrieren und zu planen -müsste man nicht auch da diese Unterscheidung treffen?
Thielscher: Ja, vollkommen richtig. Es ergibt sich ja aus der Krankheit: Grauer Star ist eine typische elektive Krankheit. Aber es gibt natürlich auch Krankheiten wie eine Bluthochdruckkrise, das muss notfallmässig versorgt werden, und für diese Krankheiten in der Tat muss man dann, wenn man sich überlegt "wie viele niedergelassene Ärzte und Krankenhäuser brauche ich wo?" schauen, dass eben die Notfälle auch in angemessener Zeit versorgt werden können.
"Gute Mischung aus öffentlichen und privaten Kliniken"
Floto: Die Entwicklung der Kliniklandschaft, wenn wir mal auch die privatwirtschaftlichen Krankenhausketten sehen, geht die dann in die richtige Versorgungsrichtung? Die sind ja eine Säule im Versorgungssystem, und wenn ich mir manche anschaue, die dann Innere Medizin betreiben, sich dort aber vor allen Dingen dann die ganz gut bezahlten Bereiche wie Kardiologie herausnehmen oder meinetwegen onkologische Versorgung - auch das bringt ja in Anführungszeichen Geld - dann werden da Rosinen herausgepickt. Ist denn das sichergestellt mit solchen Ketten, dass wir da einfach mal zwischen gehen können, und dann haben wir alles was wir brauchen?
Thielscher: Das sind zwei Dinge. Erstens: Wir haben ja heute ein Verhältnis von ein Drittel, ein Drittel, ein Drittel zwischen öffentlichen, frei gemeinnützigen und privaten Kliniken. Das ist wahrscheinlich auch eine gute Mischung. Man muss sagen, dass in der Vergangenheit die öffentlichen und frei gemeinnützigen Kliniken nicht sehr kostenorientiert waren, also wenn man so 30 Jahre zurückgeht in der Geschichte. Da hat sicher der Wettbewerb mit privaten Kliniken zu einer Verbesserung geführt. Die frei gemeinnützigen und öffentlichen Kliniken haben da viel aufgeholt in den letzten Jahren. Aber man darf das natürlich auch nicht überziehen. Ich glaube nicht, dass die Versorgung verbessert würde, wenn man jetzt nur noch private Einrichtungen hätte. Ein angemessener Mix ist da wahrscheinlich ganz richtig.
"Versorgungsplanung von den Patienten aus denken"
Floto: Man hat ja verschiedene Aspekte in dieser Studie versucht miteinander zu verbinden. Wenn Sie jetzt einen Schlussstrich ziehen, Sie haben das gelesen, Sie haben das gesichtet: Was ist Ihr Befund letztlich abschließend. Es ist ja schon viel darüber diskutiert worden über diese Vorschläge?
Thielscher: Ich würde mir wünschen, dass die Planung des ambulanten Sektors und des stationären Sektors besser verzahnt würde, und dass man tatsächlich von den Patienten aus denken würde. Also dass man sich fragen würde, welche Krankheitsbilder haben wir in einer Region, wie würde die optimale ambulante und stationäre Versorgung dafür aussehen? Und dass man dann daraus rekonstruiert, was für Einrichtungen man braucht.
Floto: Und die Studie selbst, wie bewerten Sie die; gibt es da eine plakative Vorstellung von ihnen?
Thielscher: Also diese Fahrtzeitenanalyse ist natürlich richtig; und es ist auch als Diskussionsanstoß jetzt mal richtig. Was dann durch die Presse geistert als mögliche Folgerung davon; dass man zwei Drittel der Kliniken schließen könnte und dadurch automatisch die Qualität besser würde - das ist sicher nicht richtig.
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