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Gesundheitsökonom warnt vor üppiger Rückvergütung

Die Krankenkassen verfügen laut Medienberichten über Milliardenüberschüsse und könnten diese an die Mitglieder zurückzuzahlen. Die Finanzsituation der Krankenkassen sei zwar gut, aber nächstes und übernächstes Jahr werden die Kassen erhebliche Defizite haben, sodass man jetzt nicht üppige Rückvergütungen machen könnte, sagt der Gesundheitsökonom Eckart Fiedler.

Eckart Fiedler im Gespräch mit Dirk Müller | 13.02.2012
    Dirk Müller: Daniel Bahr macht schön Wetter bei den Patienten. Der Gesundheitsminister hat die Krankenkassen nachdrücklich aufgefordert, Teile der Beträge an ihre Mitglieder zurückzuzahlen. Die Begründung des FDP-Politikers: die Milliardenüberschüsse der Krankenkassen. Millionen Mitglieder könnten so davon profitieren. Dabei sind die Beiträge in der Vergangenheit immer weiter gestiegen und die gesetzlichen Kassen haben sogar Zusatzbeiträge kassiert. Milliardenüberschüsse und auf der anderen Seite Zusatzbeiträge. Wie passt das alles zusammen? – Darüber sprechen wollen wir nun mit Professor Eckart Fiedler, jahrelang Chef der Barmer Ersatzkasse, jetzt beim Institut für Gesundheitsökonomie an der Uniklinik in Köln. Guten Morgen.

    Eckart Fiedler: Guten Morgen, Herr Müller.

    Müller: Herr Fiedler, haben die Krankenkassen jetzt wirklich zu viel auf der hohen Kante?

    Fiedler: Also nach dem letzten Stand sind das 7,3 Milliarden Euro, wobei man aber sehen muss, dass sechs Milliarden eine Mindestrücklage darstellt, die nicht angetastet werden darf. Das heißt, es könnten im Durchschnitt der gesamten gesetzlichen Krankenkassen 1,3 Milliarden ausgeschüttet werden, das wäre pro Mitglied pro Jahr 25 Euro einmalig.

    Müller: Hört sich das jetzt so an, als könnte man sich das dann auch sparen?

    Fiedler: Nein, das ist schon ein Betrag. Nur man muss natürlich sehen, dass wir vor einem Grundsatzproblem stehen, nämlich dass die Leistungsausgaben immer stärker steigen als die Einnahmen. Bisher wurde das sozusagen, diese Lücke geschlossen, indem die Beiträge erhöht wurden - wir haben ja letztes Jahr zum 1. Januar eine Beitragssatzerhöhung um vier Prozent gehabt -, oder die Steuerzuschüsse wurden erhöht. Und nun sind beides, der Beitragssatz ist festgeschrieben, die Steuerzuschüsse gedeckelt, sodass zukünftig dieses Defizit zwischen Ausgaben und Einnahmen durch Zusatzbeiträge gedeckt werden müssen, und das wissen die Kassen. Die Kassen haben Angst natürlich, nach den Erfahrungen der letzten Jahre – wer einen Zusatzbeitrag einhebt, dem laufen die Mitglieder weg -, die haben Angst, einen Zusatzbeitrag einzuheben, und horten etwas mehr Geld, um sozusagen für morgen und übermorgen gerüstet zu sein.

    Müller: Die Zusatzbeiträge, das heißt also zusätzliche Gelder pro Monat überweisen zu müssen, ist im Grunde nach hinten losgegangen, weil, wenn ich Sie richtig verstanden habe, ist es ein großes Wettbewerbsproblem geworden?

    Fiedler: Ja, und zwar insofern, als Kassen, die einen Zusatzbeitrag eingehoben haben, plötzlich konfrontiert sich sahen mit erheblichen Mitgliederverlusten. Bei den Mitgliederverlusten ist auch klar: Kranke wechseln nicht, es verlassen die Gesunden die Kasse. Und letztlich kann man sogar unterm Strich die Frage stellen, hat diese Beitragserhöhung überhaupt was gebracht, oder ist die Finanzkraft nicht am Ende sogar noch geschwächt worden.

    Müller: Hat die Beitragserhöhung zumindest dazu geführt, dass jetzt mehr Geld bei den Kassen vorhanden ist als nötig?

    Fiedler: Das ist der Gesamtbeitrag. Man muss hier ja unterscheiden. Wir haben einen einheitlichen Gesamtbeitrag, der wird von der Politik im Grunde genommen festgelegt. Der beträgt derzeit 15,5 Prozent. Das läuft in den Gesundheitsfonds und wird verteilt. Und daneben kann die Kasse, wenn sie mit dem Geld, das sie aus dem Fonds kriegt, nicht auskommt, einen Zusatzbeitrag einheben.

    Müller: Aber ich muss das noch mal fragen, Herr Fiedler, weil ich das noch nicht ganz verstanden habe. Es ging ja darum, ob zu viel Zusatzbeitrag eingefordert worden ist, weil wir jetzt über die Überschüsse reden.

    Fiedler: Entschuldigung! Die Zusatzbeiträge sind ja inzwischen für dieses Jahr fast überall gecancelt, es gibt kaum mehr Zusatzbeiträge, sondern der Gesundheitsfonds wird derzeit gespeist aus Steuerzuschüssen und dem allgemeinen Beitragssatz von 15,5. Und das ist so viel Geld, dass derzeit dieses Jahr der Fonds genügend ausschütten kann, was die Kassen im Hinblick auf die prognostizierte Ausgabenentwicklung tatsächlich braucht.

    Müller: Reden wir, Herr Fiedler, noch einmal über die Zahlen. Heute Morgen war zu lesen, unter anderem ja auch in der "Financial Times", Milliarden Überschüsse, es gab die Zahl von vier Milliarden Überschuss, sie sagen, 7,3 Milliarden Überschuss. Aber sechs Milliarden davon stehen gar nicht zur Disposition?

    Fiedler: Richtig.

    Müller: Dementsprechend ist der Spielraum nicht so groß, wie jetzt viele erwartet haben?

    Fiedler: Nein. Wir haben noch einen zweiten Spielraum, der liegt im Gesundheitsfonds selber. Der hat auch eine Reserve. Die Reserve des Gesundheitsfonds liegt derzeit bei knapp sechs, sieben Milliarden. Davon sind aber auch fünf Milliarden fixiert für Sozialausgleich und drei Milliarden für Mindestreserven. Das heißt, es sind hier Zahlen im Raum, die etwas visionär vorgaukeln, wir haben eine tolle Finanzsituation. Die ist gut, aber nicht so toll, dass man jetzt sagen kann, also üppig Rückvergütungen machen, sondern ich kann nur sagen, nächstes Jahr, übernächstes Jahr werden wir erhebliche Defizite in der Krankenversicherung haben, und deshalb ist ja auch der Gesundheitsminister daran interessiert, Ruhe an der Beitragssatzfront zu haben, damit ihm nächstes Jahr vor der Bundestagswahl nicht massenhaft irgendwo Kassen kommen mit Zusatzbeiträgen. Und er weiß genau: Er schiebt doch jetzt den Druck von sich weg auf die Kassen. Er könnte ja auch handeln, er könnte den allgemeinen Beitragssatz senken. Das tut er nicht, er schiebt den Druck auf die Kassen, weil die den Druck besser aushalten können und weil er sagt, die haben Angst vor Zusatzbeiträgen, die horten durchaus eine Reserve, das ist auch letztlich richtig so.

    Müller: Herr Fiedler, das wäre jetzt ein bisschen schwierig und kompliziert, das alles auszurechnen. Sie sagen, die eine Möglichkeit wäre Rückerstattungen, das wird ja diskutiert, das wird von Bahr gefordert, die andere Möglichkeit ist, den grundsätzlichen gesetzlichen Beitragssatz von 15,5 Prozent zu senken, auf 15,3, 15,4. Würde das was bringen?

    Fiedler: Ja, genau.

    Müller: Würde das was bringen?

    Fiedler: Na ja, das würde eine Entlastung der Beitragszahler bringen, ist ja keine Frage. Nur dieses Geld müsste nächstes Jahr spätestens wieder draufkommen.

    Müller: Warum ist das so?

    Fiedler: Wir würden also nächstes Jahr den Beitragssatz wieder erhöhen. Das heißt, wir hätten so eine Berg- und Talfahrt beim Beitragssatz, und das ist die Frage, ob das richtig ist, oder ob man nicht sagt, okay, kommt, lasst uns mal durchhalten. Ich prognostiziere, dass spätestens im Jahr 2014 die GKV ein Defizit machen wird von annähernd zehn Milliarden Euro.

    Müller: Warum sind Sie davon überzeugt?

    Fiedler: Ja, weil wir immer eine Ausgabenentwicklung haben, die deutlich über der Entwicklung der beitragspflichtigen Einnahmen liegt. Das ist ein Unterschied von zwei bis drei Prozentpunkten, und das sind etwa fünf Milliarden Euro im Jahr, die hier jährlich auflaufen.

    Müller: Und das würde auch passieren, wenn die wirtschaftliche Situation ähnlich gut bleibt?

    Fiedler: Ja. Sie müssen ja sehen: Für dieses Jahr sind die Grundlohnentwicklungen mit 2,2 Prozent geschätzt. Wir wissen auch, im letzten Jahr war sie 1,7. Also so kommt das nicht an bei den Kassen, so dicke. Und die Ausgaben liegen bei 4,5 Prozent. Also da haben wir eine gewaltige Lücke zwischen Einnahmen und Ausgaben, und die muss gedeckt werden und die müssen die Kassen im Auge haben.

    Müller: Unter dem Strich, Herr Fiedler, aus Ihrer Sicht soll alles so bleiben wie es ist?

    Fiedler: Ich glaube, ja. Man sollte Ruhe jetzt im Moment bewahren und man sollte nicht ein politisches Spiel hier betreiben, dass man jetzt, sage ich mal, den Druck, den man selber eigentlich aushält oder nicht aushalten will im Hinblick auf Beitragssatzsenkungen, jetzt an die Kassen weitergibt.

    Müller: Bei uns heute Morgen im Deutschlandfunk der Gesundheitsökonom Professor Eckart Fiedler. Vielen Dank für das Gespräch und auf Wiederhören.

    Fiedler: Danke auch. Auf Wiederhören!

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