Archiv


Gesundheitsökonom: Zwei-Klassen-Medizin droht

Das von der schwarz-gelben Koalition geplante Gesundheitssystem bürde die daraus resultierenden Lasten überproportional den Ärmeren auf, sagt Eckart Fiedler, Gesundheitsökonom an der Universität in Köln und früherer Vorstandsvorsitzender der Barmer Ersatzkasse.

Eckart Fiedler im Gespräch mit Mario Dobovisek |
    Mario Dobovisek: Zu früher Stunde zu uns ins Deutschlandfunk-Studio gekommen ist Eckart Fiedler. Er ist Gesundheitsökonom an der Universität hier in Köln und war Chef der Barmer Ersatzkasse. Er soll uns helfen, die Änderungspläne ein wenig einzuordnen. Guten Morgen, Herr Fiedler!

    Eckart Fiedler: Guten Morgen!

    Dobovisek: Ja, mehr Beitragsautonomie, ist das eine gute Nachricht für die Krankenkassen?

    Fiedler: Na ja, gut, das hört sich vielleicht im Moment positiv an, dahinter steckt aber schon wieder ein anderer Punkt, dass auch die Beiträge regional differenziert werden können. Das heißt, die Bayern wollen sich so ein bisschen auskoppeln aus der bundesweiten Solidarität, weil sie höhere Grundlöhne haben, geringere Beiträge, weniger Zahlungen an die Ostländer. Na ja, das muss man mal abwarten, wie das nachher in der Umsetzung aussieht.

    Dobovisek: Da wäre doch auch der Streit allein zwischen den Kassen vorprogrammiert.

    Fiedler: Natürlich, das heißt, der Wettbewerb würde angeheizt. Das ist ja auch ein Stück, sage ich mal, der hier in diesem Koalitionspapier jetzt drin steht, dass dieser Risikostrukturausgleich, den wir heute über den Gesundheitsfonds organisieren, dass der ja reduziert werden soll. Das heißt, dahinter steckt dann die Idee, den Wettbewerb wieder mehr in Richtung gute Risiken zu forcieren und weniger in gute Qualität der Versorgung. Denn wenn ich sozusagen Risikoselektion habe, die Guten, die Gesunden sowieso, aber auch die Besserverdienenden für mich gute Risiken als Krankenkasse sind, dann jage ich denen hinterher und kümmere mich nicht so sehr um die gute Versorgung. Von daher sind hier Tendenzen drin, ich sage jetzt mal, die kritisch sind. Erstens wird die Solidarität doch stark eingeschränkt mit einer Kopfpauschale, sie bedeutet im Klartext, dass der, der weniger hat, mehr bezahlen muss, und der, der viel hat, eigentlich weniger, also eine Entlastung, eine Umverteilung von unten nach oben. Zweitens wird die Parität aufgehoben, zumindest für die zukünftigen Kostensteigerungen. Und drittens haben wir auch noch diesen individualisierten Demografiezuschlag in der Pflegeversicherung. Das heißt also, für die Geringverdiener wird das echt teuer. Und zudem dann noch keinerlei Impulse in Richtung einer Kostendämpfung im System.

    Dobovisek: Wie teuer könnte es werden für uns Beitragszahler?

    Fiedler: Ja, wenn man die Kostenentwicklung so weiterlaufen lässt, wie das in den letzten Jahren geschehen ist … Stellen Sie sich vor, wir haben in 2008 eine Kostensteigerung von 4,5 Prozent gehabt. Wir haben dieses Jahr eine, die wird prognostiziert mit 7 Prozent. Und wir haben nächstes Jahr eine, die ist prognostiziert mit 4,3 Prozent. Also muss ich doch hier den Hebel ansetzen, um diese Kostenentwicklung zu dämpfen, um die Beitragszahler nicht über Gebühr zu belasten. Aber da passiert überhaupt nichts, sondern da heißt es: Unnötige Ausgaben sind zu vermeiden.

    Dobovisek: Ja, was wären denn unnötige Ausgaben aus Ihrer Sicht?

    Fiedler: Das möchte ich auch gerne mal wissen. Also von daher gesehen, wenn ich denke, die Arzneimittel-Ausgabensteigerungen dieses Jahr 6 Prozent, nächstes Jahr schon wieder prognostiziert 6 Prozent, dann muss doch da eingegriffen werden. Und das kann man doch nicht dem Beitragszahler überlassen, und das auch noch überproportional den Ärmeren aufbürden. Also das ist ein in meinen Augen völlig falscher Ansatz.

    Dobovisek: Wir sprechen ja über ein Milliardendefizit, allein rund siebeneinhalb Milliarden für das Jahr 2010 für die gesetzlichen Krankenkassen, für das Gesundheitssystem. Die lassen sich ja tatsächlich nicht einfach so wegdiskutieren. Nun wird der Arbeitgeberanteil ja nach den Plänen der Koalition eingefroren, das heißt, das bleibt wirklich alles an den Steuerzahlern und an den Beitragszahlern kleben, das heißt, wir zahlen ja alles selber dann, oder?

    Fiedler: Ja natürlich. Wobei dieses Defizit ja für 2010 prognostiziert ist mit diesen 7,5 Milliarden, die natürlich Ursache sind dieser ausufernden Ausgabenentwicklung. Die ist es ja, die letztlich das Defizit beschert, nicht der Gesundheitsfonds und auch nicht mal die krisenbedingten Einnahmenausfälle, so gering sind die ja gar nicht. Wir rechnen nächstes Jahr mit einer Einnahmensteigerung von 1,2 Prozent. Es ist die Kostenentwicklung, und bei der passiert letztlich überhaupt nichts. Nun soll aber ja der gesetzlichen Krankenversicherung, damit sie nächstes Jahr überhaupt noch über die Runde kommt, ein Darlehen gewährt werden von etwa vier Milliarden Euro, dann würden nur noch 3,5 Milliarden über Zusatzbeiträge finanziert werden müssen. Aber diese vier Milliarden sollen nicht sozusagen zugeschossen werden, sondern nur als Darlehen gewährt werden, das heißt, es kommt spätestens 2011 oder 2012 auf die Versicherten auch wieder zu, das heißt, sie müssen es dann durch Zusatzbeiträge oder durch höhere Pauschalen finanzieren. Und die Höhe der Pauschale ist ja das Thema überhaupt. Wir müssen ja rechnen, wenn der heutige Solidarausgleich auf Pauschalen umgerechnet wird, dass dann jeder Versicherte, egal ob Ehefrau, derzeit ohne Einkommen, muss jeder eine Pauschale von schätzungsweise 160, 170, 180 Euro bezahlen und kann dann in zweiter Linie zum Staat gehen, wenn er nicht genügend hat, und um eine Unterstützung betteln. Das heißt, aus der heutigen Situation der solidarischen Finanzierung, wo man Beiträge leistet nach individueller Leistungsfähigkeit, also wenn ich 15 Prozent, 14,9 von 3000 Euro nehme, dann ist es doppelt so viel wie von 1500. Der von 1500 zahlt eben weniger, proportional seiner Leistungsfähigkeit. Und wenn ich das vereinheitliche, dann kriege ich einen immensen Schub in Richtung Belastung der Geringverdiener …

    Dobovisek: Dann werden aber die Besserverdiener, Herr Fiedler, sagen, na ja, gut, ich zahle ja auch eine ganze Menge Steuern, das heißt, ich leiste meinen Beitrag sozusagen über die Steuerschiene.

    Fiedler: Ja gut, ich meine, wenn ich diesen Solidarausgleich über die Steuer finanziere, dann muss ich etwa rechnen, dass heute 40 Milliarden über diesen Ausgleich umverteilt werden. Und gut, wenn ich jetzt mal den Arbeitgeberbeitrag rausnehme, dann bleiben uns noch 30 Milliarden übrig in etwa, schätze ich, und die müssen jetzt über Steuern finanziert werden. Ja woher denn? Will man die Mehrwertsteuer anheben? Will man die Einkommensteuer anheben? Die will man doch gerade senken. Also ich sehe überhaupt noch nicht den Ansatz, wo sozusagen dieser große Solidarausgleich, diese Umverteilung, die heute stattfindet, die Ausfluss des Sozialstaatsgebots unserer Verfassung ist, die sozusagen wir zur sozialen Marktwirtschaft uns gemacht haben, wo das her finanziert werden soll. Oder ich mache es nicht, das heißt, dann wird es echt deutlich teurer für diejenigen, die weniger haben.

    Dobovisek: Kommen wir mal noch zurück zu dem Punkt des Wettbewerbs. Wettbewerb ist ja nicht unbedingt schlecht für den Verbraucher, für den Versicherten, das kann ja am Ende auch positiv sein. Aber ich gehe mal einen Schritt weiter, und zwar: Wie soll ich als Versicherter, als Otto Normalverbraucher erkennen, welche Versicherung für mich die besseren Leistungen hat? Das ist ja ein unglaublich undurchsichtiges Verhältnis.

    Fiedler: Na ja gut, ich meine, heute sind ja die Leistungen in der gesetzlichen Krankenversicherung ziemlich gleich. Wo es sich unterscheidet, ist Service, Geschäftsstellennetz, es sind Zusatzleistungen geringer Art, es sind vielleicht Boni, es sind Beitragsrückgewähr, so auf dieser Schiene kann ich gucken. Und natürlich ist es im entscheidenden Sinn, der Beitrag, den ich zu leisten habe.

    Dobovisek: Und das wird sich ja durchaus entwickeln jetzt.

    Fiedler: Und das wird sich natürlich jetzt entwickeln. Die Beiträge werden ja unterschiedlich sein, sie werden auch regional differenziert sein können. Also von daher habe ich dann die Wahl natürlich als Versicherter oder als Mitglied, nun zwischen diesen Kassen zu entscheiden. Das ist ja Sinn und Zweck des Wettbewerbs. Und die Kassen müssen eben gezwungen sein, mit den Pflichtbeiträgen, die sie haben, möglichst wirtschaftlich zu arbeiten, eine gute Versorgung zu bieten, und das ist ja mein Kernanliegen. Ich mache ja keine Gewinne in der sozialen Krankenversicherung, sondern das Ziel muss es sein, diese Pflichtbeiträge maximal für gute Qualität und gute Versorgung einzusetzen, für Wirtschaftlichkeit.

    Dobovisek: Wissen das auch alle Beteiligten – Ärzte, Pharmaunternehmen und Kassen?

    Fiedler: Nein. Die wissen es zwar, aber es wird nicht beherzigt, das wissen wir. Das heißt, es gibt große Effizienzreserven ja in unserem System, und es soll ja eben Ziel dieses Wettbewerbs sein, diese Effizienzreserven zu heben. Und da sehe ich, sage ich mal, auch keinen Ansatz in dieser Vereinbarung, die bis jetzt zumindest so auf dem Tisch liegt, wobei es im Grunde genommen besser werden soll. Und das ist eben deshalb dann so bedauerlich, weil – ich sage es noch einmal – die daraus resultierenden Lasten überproportional den Ärmeren aufgebürdet werden.

    Dobovisek: Schauen wir uns mal zum Beispiel die Ärztehonorare an, die wurden ja im Grunde, wenn man das alles zusammenrechnet, deutlich angehoben.

    Fiedler: Richtig, acht Milliarden Euro ist da mehr reingesteckt worden in den letzten beiden Jahren.

    Dobovisek: Das zeigt ja auch sehr deutlich das Dilemma der Politik: Die Ärzte besitzen eine sehr starke Lobby in diesem Lande und Politiker wollen wiedergewählt werden. Ist das tatsächlich ein großes Dilemma, aus dem die Politik nicht mehr rauskommt?

    Fiedler: Na ja, Sie müssen hier sehen, dass ja Ulla Schmidt dieses mit bewirkt hat, die höheren Honorare, aber wiedergewählt worden ist sie nicht. Also die Dankbarkeit lässt auch noch zu wünschen übrig, wenn ich schon mehr gebe. Also von daher, das ist jetzt, sage ich mal, so eine Frage: Mhm, wem tue ich da wirklich einen Gefallen? Ich glaube, der Grundsatz muss heißen: Wir wollen eine Zwei-Klassen-Medizin vermeiden, es darf nicht mehr wie vor 100, 130 Jahren dazu kommen, weil du arm bist, musst du früher sterben. Wir haben also hier eine Sozialstaatsverpflichtung, und die muss beherzigt werden. Und da sollen die Ärzte ruhig gut verdienen, aber nun nicht so überproportional sich abheben in ihren Honoraren von der übrigen Bevölkerung.

    Dobovisek: Aber ein Schritt weg von der Zwei-Klassen-Medizin ist das neue Konzept ja nicht gerade?

    Fiedler: Nein, im Gegenteil. Es wird in Richtung mehr einer Zwei-Klassen-Medizin sich womöglich auswirken. Ich meine, ich gebe natürlich zu, das Ganze ist jetzt Papier, es soll hier eine Regierungskommission eingesetzt werden ja, die das Ganze umsetzt und dann in ein Modell überführt. Da müssen wir natürlich jetzt mal abwarten, was da kommt, aber ich glaube, es ist gut, schon warnend hier erst mal die Stimme zu erheben, um deutlich zu machen: Freunde, also passt mal auf, beachtet die soziale Ausgewogenheit!

    Dobovisek: Sagt Eckart Fiedler, Gesundheitsökonom in Köln und früherer Barmer-Chef. Vielen Dank für Ihren Besuch an diesem Samstagmorgen hier!

    Fiedler: Danke auch!