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Gesundheitswesen
Keine Zeit für Demenzpatienten

Seit 2004 bekommen deutsche Kliniken für jeden behandelten Patienten nur noch einen Festbetrag: Die Fallpauschale richtet sich einzig nach der Diagnose und ist unabhängig, wie aufwendig die Pflege ist. Besonders negativ sind die Folgen für Demenzpatienten, wie eine Studie jetzt belegt.

Von Thomas Liesen |
    Heike Jakobi vom ehrenamtlichen Kranken-Lotsendienst schiebt einen Patienten zur Therapie im Albertinen-Haus in Hamburg.
    Demenzkranke brauchen mehr Zeit, doch die hat das Pflegepersonal oft nicht. (dpa / Christian Charisius)
    Die Zahl der Menschen mit Demenz steigt kontinuierlich. Das macht sich mittlerweile in jedem Krankenhaus bemerkbar: Schon mehr als jeder sechste Patient auf einer ganz normalen chirurgischen oder urologischen Station ist gleichzeitig ein Patient mit Demenz. Tatsache ist aber auch: In Kliniken wurde in den letzten Jahren massiv Pflegepersonal abgebaut. 2012 gab es 14.000 Krankenschwestern und Pfleger weniger als zehn Jahre zuvor. Da sind zwei Trends auf Kollisionskurs, sagt Professor Michael Isfort, Pflegeforscher von der Katholischen Hochschule NRW. Und Verlierer sind die Demenzpatienten.
    "Wir wissen über viele Programme, dass das eine ganz besondere Gruppe ist, die ganz besonderen Schutz eigentlich bedarf und sie passen so wenig in dieses DRG-System, was ja auf Geschwindigkeit gepolt ist. Die Versorgungsketten sind enger getaktet worden, man hat die Versorgung der Patienten nachweislich viel viel schneller hin bekommen, das ist für die meisten Patienten gut, einzelne Patienten werden darunter nicht profitieren und das sind insbesondere die Menschen, die nicht mehr einsortieren können, was in dieser Geschwindigkeit um sie herum passiert."
    Was das nun genau für die Qualität der Patientenversorgung bedeutet, hat Michael Isfort in einer Studie untersucht. Welche Folgen hat es, wenn Kliniken dank Fallpauschalen-System wie Wirtschaftsunternehmen denken müssen? Wenn sie Gewinne maximieren wollen und zur Steigerung ihrer Effizienz immer mehr Patienten mit immer weniger Personal durchschleusen? Isfort und sein Team werteten Daten von 1800 deutschen Kliniken aus und befragten das Personal.
    "Wir haben Daten, die uns aufzeigen, dass 90 Prozent der Pflegekräfte sagen: Wenn ein Mensch mit einer Demenz im Krankenhaus behandelt werden muss, der ja eigentlich entschleunigt werden müsste, der bräuchte eine sehr intensive, sehr langsame, sehr behutsame Zuwendung – das kriegen die gar nicht überwacht. 90 Prozent sagen: Das kriegen wir nicht stabilisiert, wir kriegen die Überwachung nicht hin und 70 Prozent schließen dann auch freiheitseinschränkende Maßnahmen, also Bettgitter, bis hin zu Fixierung, nicht aus, weil sie sagen: Wir sind einfach nicht genug Personal, wir können uns nicht daneben stellen."
    Nur ganz vereinzelt stellen sich Kliniken jetzt auf Demenzpatienten ein, organisieren zum Beispiel spezielle Betreuer, die sie zur Therapie begleiten. Oder bieten eine Nachtmahlzeit, denn Demenzpatienten werden häufig nachts aktiv und haben dann Hunger. Aber all das kostet Geld. Und Kliniken bekommen für einen Blinddarmpatienten immer nur die feste Blinddarm-Pauschale von den Kassen, ob der Patient nun einer besonderen Pflege bedarf oder nicht. Genau das muss sich ändern, fordert Michael Isfort.
    "Bis 1995 gab es eine verbindliche Richtlinie, da musste zu einem bestimmten Schlüssel Pflegepersonal vorhanden sein im Krankenhaus, das wurde von den Kassen auch entsprechend finanziert, das ist abgeschafft worden und seitdem regiert der Markt. Immer mit der Hoffnung, dass der Markt im Sinne des Patienten alles regelt, und unsere klaren Hinweise aus der Pflege- und der Versorgungsforschung sind: Der Markt regelt das nicht. Der Markt regelt andere Dinge, die typisch sind für einen Markt. Er regelt den Erlös, er regelt die Preise, aber er regelt nicht die Qualität der Versorgung in der Pflege."