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Gesungen wird in Sorbisch!

In der Oberlausitz ist das Volk der Sorben beheimatet. Alljährlich zu Ostern findet hier der Osterritt statt. Ein uralte Brauch und ursprünglich ein heidnischer Ritus, der später in die Osterzeremonie samt der unchristlichen Rituale einbezogen wurde.

Von Jens Wagner |
    Ostersonntag in der Oberlausitz. Ein milder Wind streicht über die sanften Berge und trägt das Läuten der Glocken weit über das Land. Auf den umliegenden Feldern zeigt sich das frische Grün der neuen Saat. Vogelgezwitscher kündet vom Frühling.

    Aus der Ferne ist Pferdegetrappel zu hören und in langen Reihen, hoch zu Ross, sind dunkel gekleidete Reiter auszumachen. Es ist eine Prozession der sorbischen Osterreiter.

    Kurz darauf taucht hinter einem Hügel die Spitze des Umzuges auf. Zuerst leuchtet das Rot zweier Kirchen-Fahnen, die an ihren Stangen schaukeln. Alle Reiter sind mit schwarzem Zylinder, einem tiefschwarzen Gehrock, schwarzen Hosen und Stiefeln bekleidet. Die beiden Reiter hinter den Fahnenträgern halten eine kleine Marien-Statue und ein Kruzifix in der Hand.

    Das Kreuz gab dieser Prozession lange Zeit den Namen - "Kreuzritt". Eingeprägt hat sich aber der Begriff "Osterreiten". In gemächlichem Tempo folgen nun Hunderte Reiter - alle ebenso festlich gekleidet und mit weißen Handschuhen. In zwei Reihen bewegt sich der imposante Zug am Feldrain entlang. Und welch ein Kontrast - diese Festlichkeit, inmitten der noch recht kahlen Natur.

    Neun solcher Prozessionen ziehen am Ostersonntag durch die sorbische Oberlausitz. Bis zu 400 Reiter können dabei einen einzigen Prozessions-Zug bilden. Insgesamt sind knapp 2.000 Osterreiter unterwegs.

    Die Anfänge dieses Rituals liegen weit zurück. Bereits in vorchristlicher Zeit sind die heidnischen Slawen in dieser Jahreszeit um ihre Felder geritten. Der dunkle, kalte Winter sollte dem lichten Frühling Platz endlich machen. Pflanzen, Tiere und Menschen brauchten die wärmeren Jahreszeiten. Unsere Vorfahren waren von Wetter- und Klimabedingungen extrem abhängig.

    Eine einzige Missernte konnte über Leben oder Tod entscheiden. Mit dem Umreiten der Felder wollten die damaligen Menschen die junge Saat vor bösen Geistern schützen - und die guten Götter um reichliche Ernte bitten.

    Dieser uralte Brauch war fester Bestandteil der heidnischen Riten, als die Christianisierung die Oberlausitz erreichte. Die christlichen Missionare hatten es anfangs schwer, die Heiden zu überzeugen, nach den fremden Regeln der neuen Kirche zu feiern. Damit diese aber an-genommen werden konnten, mussten alte Sitten - wie der Saat-Umritt, hier, in der Oberlausitz -in die religiöse Oster-Zeremonie einbezogen werden. Rom griff zu einem Trick und legte das Osterfest - wie schon Weihnachten - auf einen Zeitraum, in dem die Heiden ihre Riten feierten.
    Seitdem mischten sich christliche mit heidnischen Bräuchen. Und deshalb wird heute manchmal - statt von Oster- wieder von den "Saat-Reitern" gesprochen.

    Seit dem 6. Jahrhundert siedeln in der Oberlausitz die Sorben, die sich selbst "Serbja" nennen und früher auch als "Wenden" bezeichnet wurden. Neben ihrer slawischen Sprache sind die traditionsbewussten Sorben auch der - später dann übernommenen - katholischen Religion stets treu geblieben. Heute leben in der Oberlausitz etwa 40.000 Sorben, die ihre Bräuche sehr achten.

    Auch deshalb ziehen die Osterreiter - ohne Unterbrechung - seit über 470 Jahren, jeden Ostersonntag durch das Land. Selbst Kriege und Diktaturen konnten diesem Ritual nichts anhaben.

    Ganz in der alten Tradition umrunden die Reiter am Start- und Zielort der Prozessionen dreimal Kirche und Friedhof. Der Hufschlag Hunderter Pferde wird vom lauten Gesang der Männer übertönt, der die frohe Botschaft von der Auferstehung des Jesus Christus in die Welt trägt.
    Gesungen wird in Sorbisch oder Latein. Nur ein Prozessionszug singt und betet in deutscher Sprache. Doch charakteristisch bei allen Chorälen ist das kräftige "Halleluja" aus Hunderten Männerkehlen - es ist die Freude über die Auferstehung Christi.

    Es ist 12 Uhr in der kleinen Gemeinde Ostro, in der Oberlausitz. Etwa 200 Reiter werden zusammen mit ihren Pferden vor der Kirche vom örtlichen Geistlichen gesegnet - und mit dem großen Geläut der Ostroer Kirche verabschiedet. Sie ziehen 2 Stunden über Land nach Nebelschütz bei Kamenz. Etwa zur gleichen Zeit hat sich die Gegen-Prozession aus Nebelschütz auf den Weg nach Ostro gemacht. Begegnen allerdings dürfen sich diese beiden Züge nicht - so will es die überlieferte Tradition: Es könnte Unglück bringen...

    Der imposante Zug windet sich über schmale, hügelige Straßen und Feldwege, durch kleine Dörfer, vorbei an Feldern und knorrigen, windschiefen Bäumen. Unterwegs wird gemeinsam eine Litanei gelesen, gesungen oder ein Rosenkranz gebetet. Manchmal schweigen die Reiter auch andächtig - und nur das Schlagen der Hufe ist zu hören.

    Selbst die Pferde werden traditionell geschmückt: Das aufwändig beschlagene Geschirr wird poliert, Mähne und Schwanz der Tiere gekämmt. Oft sind Blumen und kleine Kränze in das Pferdehaar eingeflochten und am Zaumzeug befestigt. Die Decken unter dem Sattel sind farbig bestickt. Der Pferdeschwanz kann eine schwarze oder eine helle Schleife tragen, je nachdem, ob es in der Familie des Reiters im letzten Jahr einen Todesfall gegeben hat - oder nicht.

    Einige Reiter haben an ihren schwarzen Anzügen einen kleinen Myrtenkranz. Sie reiten somit das erste Mal in der Prozession mit. Reiter, die eine silberne "25" oder gar eine goldene "50" angesteckt haben, nehmen schon 25 oder 50 Jahre am Osterreiten in der Oberlausitz teil.
    Und: Obwohl eigentlich nur Männer im Zug mit reiten dürfen, ist schon einmal die eine oder andere Frau hoch zu Ross - natürlich auch im schwarzen Gehrock und mit Zylinder - zu sehen.

    Erreicht die Prozession die jeweilige Partnergemeinde, umrunden die Osterreiter singend dreimal die dortige Kirche und den anliegenden Friedhof. Der Friedhof in der Oberlausitzer Gemeinde Ralbitz ist übrigens einmalig in Europa. Die über 400 Grabstellen haben alle einheitlich weiße Holzkreuze. Denn hier sind alle vor Gott gleich. Ob Bauer oder Bürgermeister - jeder hat das gleiche Holzkreuz auf seinem Grab.

    Am Ziel werden Pferd und Reiter dann versorgt. Fast jede Familie im Ort bewirtet einen oder mehrere Osterreiter, während sich im Stall die Pferde ausruhen. Nach dem ausgiebigen Essen sammeln sich die Prozessionen nachmittags erneut an den Kirchen. Dabei werden alle Rituale wiederholt. Laut singend und betend ziehen die Prozessionen zurück in ihre Heimatorte.

    Genauso hatten sich bis 1541 auch die Wittichenauer und die Hoyerswerdaer Ostereiterreiter gegenseitig besucht. Da die Hoyerswerdaer aber zum Lutherischen Glauben übergetreten waren und keine katholischen Prozessionen mehr duldeten, tauschte danach die Wittichenauer mit der Ralbitzer Pfarrgemeinde die Kreuzreiter aus. Diese Prozession ist übrigens heutzutage, mit etwa 400 Reitern, die längste.

    Neben den großen Osterfeuern, die am Ostersamstag in der Oberlausitz entzündet werden, ist die Prozession der Kreuz- beziehungsweise Osterreiter eine eindrucksvolle Tradition, die schon seit langer Zeit lebendig gehalten wird.

    Für die katholischen Sorben im Oberlausitzer Städte-Dreieck "Kamenz - Bautzen - Hoyerswerda" gehört das Osterfest zu den wichtigsten Feiertagen überhaupt. Deshalb freuen sie sich, wenn immer mehr Besucher daran Anteil nehmen. Aber eine Show für die Touristen ist das Osterreiten keinesfalls. Die an der Prozession teilnehmenden Reiter sind deshalb sehr dankbar, wenn die Besucher des Osterreitens dem traditionellen Glaubensbekenntnis der Sorben mit Achtung und Respekt begegnen.