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Gesunkenes russisches Atom-U-Boot
Die Bergung der Kursk vor 20 Jahren

Vergleichbares hatte es in der Seefahrt noch nicht gegeben. Am 8. Oktober 2001 hoben niederländische Experten das ein Jahr zuvor havarierte russische Atom-U-Boot Kursk vom Meeresgrund. Mit an Bord: die Leichen von mehr als hundert Seeleuten. Wie sich erwies, hätte ein Teil der Crew das Unglück überleben können.

Von Andreas Baum |
    Das stark beschädigte, havarierte Atom-U-Boot Kursk neben dem Hochseeschlepper Singapur am 23. Oktober 2001 im Hafen von Rosljakowo,
    Der Hochseeschlepper Singapur (links) zog die Kursk nach ihrer Bergung in den Hafen von Rosljakowo nahe Murmansk. Dort wurde der einstige Stolz der russischen Marine anschließend abgewrackt. (EPA POOL)
    Es ist einer der letzten klaren Tage vor dem arktischen Winter, vielleicht die letzte Gelegenheit für das bis dahin aufwändigste Manöver dieser Art in der Geschichte der Seefahrt. Obwohl die Mannschaft aus niederländischen und wenigen deutschen Bergungsexperten ganze Arbeit geleistet hat, ist keinem der Männer zum Feiern zumute. Im Licht der Morgendämmerung des 8. Oktober 2001 sehen sie für einen Augenblick ein riesiges Heckruder unter der Wasseroberfläche – es gleicht, so werden sich Augenzeugen später erinnern, der Flosse eines gigantischen, in den Tiefen der Barentssee verendeten Walfischs.

    Der einstige Stolz der russischen Marine

    Die Ingenieure auf der 140 Meter langen Schwimmplattform "Giant 4" haben die Kursk, eines der größten je gebauten Atom-U-Boote der Welt, an 26 Stahltrossen gehoben. Sie schleppen das Wrack, den einstigen Stolz der russischen Flotte, nach Murmansk. Über ein Jahr zuvor, im August 2000, war die K-141 verunglückt und manövrierunfähig auf den Meeresgrund gesunken.Moskaus Sprachregelung war eine andere:
    "Die Marine betrachtet dieses Ereignis vorläufig nicht als eine Havarie. Wir formulieren eindeutig, dass es auf dem U-Boot zu Störungen gekommen ist. Wir wissen genau, wo es liegt, wir haben Kontakt und Verbindung zur Besatzung. Die Rettungsarbeiten sind eingeleitet."

    Erst am neunten Tag räumte Moskau den Verlust der Kursk ein

    Tagelang hatten die russische Marine und ihr Sprecher Igor Dygalo bestritten, dass es überhaupt zu einem ernsten Unfall gekommen war. Erst am neunten Tag nach dem Unglück musste Russland zugeben, dass die Kursk mit ihren 118 Besatzungsmitgliedern verloren war. Zuvor hatte die Marine behauptet, dass es zu einem Zusammenstoß mit einem ausländischen Wasserfahrzeug gekommen war. Die Admiralität wandte sich mit pathetischen Worten an die Familien der Männer auf der Kursk:
    "Unsere Lieben. Ihr Haus ist heute von großem Unheil getroffen. Die eiskalte Barentssee hat das Leben Ihrer Männer genommen. Die Situation war so katastrophal, dass der größte Teil der Besatzung nach der Kollision nicht länger als drei Minuten lebte."

    Kapitän schrieb Brief an seine Frau

    Auch dies war eine Lüge. In Wirklichkeit hatten 23 Männer überlebt – und vergeblich auf Hilfe gehofft. Während die russische Marine zunächst fremde Unterstützung entschieden ablehnte, vertuschte die Armeeführung das wahre Ausmaß der Katastrophe. Erst nach einer Woche ließ sie zu, dass britische und norwegische Taucher halfen. Die öffneten eine Luke und stellten fest, dass das Innere geflutet war und niemand überlebt haben konnte. Ein russischer Marinetaucher – nur er durfte in die Kursk vordringen - barg vier Leichen, unter ihnen die von Kapitänleutnant Dmitrij Kolesnikow. In dessen Hosentasche fand sich eine Notiz an seine Witwe Olga, die sie später vor Journalisten verlas.
    "Ulitschka, hier ist es beinah zu dunkel zum Schreiben, also schreibe ich nach Gefühl. Unsere Überlebenschance beträgt wohl nur noch etwa zehn bis zwanzig Prozent. Grüße alle von mir. Es gibt keinen Grund zu verzweifeln."

    Warum die Marine zu spät und dann falsch reagierte

    Kolesnikow hatte die Namen der Matrosen aufgelistet, die sich in eines der wenigen trockenen Segmente des Bootes geflüchtet hatten. Stunden später erstickten sie. Den letzten Sauerstoff raubte ein Brand an Bord. Hätte die Marine schneller und richtig reagiert, hätten sie unter Umständen gerettet werden können.
    Die Soldaten winken zum Abschied und gehen auf die Kursk
    Verfilmung des Kursk-Dramas - Untergang und Neubeginn
    Thomas Vinterbergs Film "Kursk" rekonstruiert die Tragödie des russischen Atom-U-Bootes im Jahr 2000.
    Die Kursk war länger als zwei Jumbo-Jets, wurde von zwei Atomreaktoren angetrieben und war mit 24 Marschflugkörpern und 28 Torpedos bewaffnet. Sie sollte US-amerikanischen Flugzeugträgern auf allen Ozeanen Respekt einflößen – und tat es auch. Hinter den Kulissen militärischer Gigantomanie aber bröckelte Russlands Macht, in der Armee fehlte es am Nötigsten – auch dies gilt als Ursache für die Havarie, so Thomas Niesen, Experte der in Norwegen ansässigen Umweltstiftung Bellona, kurz nach dem Untergang:
    "Wenn man den Zustand der russischen Flotte nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion betrachtet, ist das Kursk-Unglück keine Überraschung."- "Wichtige Wartungsarbeiten wurden nicht durchgeführt. Die Sicherheitsstandards sind erbärmlich. Wir kennen noch nicht die genaue Unglücksursache, aber es scheint eine Explosion im Vorderteil des Bootes gegeben zu haben. So etwas kann nur aus einem Grund passieren: schlechte Wartung."
    Norwegische Taucher hatten bereits wenige Tage nach dem Unfall festgestellt, dass es an Bord zu mindestens zwei Explosionen gekommen war – Der russische Abschlussbericht kam 2002 zu dem Ergebnis, dass ein defekter Übungstorpedo eine ganze Kettenreaktion von Detonationen ausgelöst hatte. Weitere Details sollten für 25 Jahre, also bis zum Jahr 2026, geheim bleiben. Bis heute sind die Schuldigen für den Untergang der Kursk weder ermittelt noch bestraft worden.