Wie eine Hohepriesterin zieht sie ihre Bahnen durch den schwarzen Raum – die Tänzerin und Choreografin Susanne Linke. Nach über vierzig Jahren auf der Bühne beeindruckt sie durch ihre versammelte, konzentrierte Ausstrahlung. Mit streng zurückgebundenen Haaren und in ein dunkles Gewand gekleidet, kreist sie um eine imaginäre Mitte. Schwere Klänge, verdüstertes Licht und nebelige Atmosphäre suggerieren geheimnisvolle Mystik.
Kaikou, so der Titel der knapp einstündigen Uraufführung, bedeutet im Japanischen Seelenwanderung. Neben dem ewigen Zyklus von Werden und Vergehen, Tod und Wiedergeburt ist hier damit vor allem der Kreislauf von Sieg und Niederlage gemeint, gefasst im archaischen Bild des Jägers. Drei Männer sollen die verschiedenen Urtypen im beständigen Kampf ums Überleben personifizieren: Urs Dietrich, Henry Montes, Brice Desault – der eine herausfordernd-kämpferisch, der andere vorsichtig-lauernd, der dritte animalisch-instinkthaft. Treffen sie aufeinander, könnten sie Brüder im Überlebenskampf, Partner, aber auch Gegner und Konkurrenten sein. Als choreografisches Muster taucht der Kreis immer wieder auf: ob die Männer sich selbst lauernd umkreisen oder wie aufgezogen auf einer gebogenen Bahn über die Bühne laufen (– oder ein Laserstrahl von der Decke gleichsam als göttliches Auge auf den Boden trifft und dort den Radius kreisförmig abzirkelt) – das Symbolhafte der Choreographie wird recht schnell deutlich.
Es sind vier starke Tänzerpersönlichkeiten in "Kaikou" auf der Bühne, keine Frage – was sie aber wirklich antreibt in ihrem mysteriösen Tun, welche Kraft da in ihnen wirkt, bleibt weitgehend im Dunklen. Das ist besonders fatal, weil jede Bewegung aufgeladen wird mit hoheitsvoller Bedeutung, sich alle selbst derart Ernst nehmen und die musikalische Mischung aus Computersound und Auszügen aus Mahlers 5. Sinfonie spannungsreiche Dramatik evoziert. Doch läuft genau die Mischung aus Bedeutungsschwere und Rätselhaftem ins Leere, ja wirkt sogar an einigen Stellen wie von einem Fantasymovie inspiriert und damit unfreiwillig komisch. Susanne Linke hat in ihren mehr als vierzig Bühnenjahren viele ernsthafte Stücke erarbeitet, darin aber auch immer wieder Leichtigkeit und feine Selbstironie bewiesen – eine große Qualität, die ihr in "Kaikou" vollkommen verloren gegangen ist.
Schade, denn das eher durchwachsene Programm des diesjährigen Tanz-im-August-Festivals hätte nach seinem atemberaubenden Auftakt mit der Lucinda Childs Dance Company in dieser Woche einen weiteren mitreißenden Höhepunkt gebrauchen können. Doch der Eindruck der kleineren Arbeiten reicht nur von annehmbar bis vollkommen unakzeptabel. War das Duett zum Thema Prostitution von Perinne Valli und Jennifer Bonn zwar brav und vage, aber immerhin in seiner Bildlichkeit noch aussagekräftig, verwechselten sich Robert Steijn und Maria Hassabi in ihrer nach ihnen selbst benannten Performance wohl mit Marina Abramovic und Ulay, dem kongenialen Peformancekünstlerpaar der siebziger Jahre: eine Stunde lang schauten sie sich tief in die Augen und waren dabei so interessant wie ein weltfernes, wild knutschendes Paar, nämlich gar nicht.
Eine Ausnahme unter den Produktionen, die den Beweis, warum man sie anschauen sollte, schuldig blieben, war das Gruppenstück "Brilliant Corners" von Emanuel Gat. Zu seinem sicherlich komplexesten Werk, hat der israelische Choreograf gleich auch die Musik geliefert: inspiriert vom Jazz-Musiker Thelonious Monk hat er seine Bühnenmusik aus unzähligen verschiedenen experimentellen, klassischen unjazzigen Samples zusammengesetzt – nur unterbrochen von längeren Passagen der Stille.
(Ein höchst durchkomponiertes Sammelsurium an Bewegungen und Bezügen ist auch die Choreografie) zehn hervorragende Tänzer in ausgesuchter Alltagskleidung bilden zu Beginn eine heterogene Gruppe, die sich zusammen über die Bühne bewegt und in der jeder doch ganz individuell verschieden bleibt. (Ihre Bewegungssprache kommt ganz aus der Mitte und hat etwas sehr geerdetes – die weite Grätsche der Beine, der Bezug der Körpermitte zum Boden, ist noch immer ein hervortretendes Merkmal des Gat'schen Vokabulars.) Die Bewegungssequenzen fließen durch und arbeiten doch mit Oppositionen: von Richtungen, Kräften, Spannung und Entspannung, schneller, fließender Dynamik und plötzlichen Stopps, bedeutungsvollen Blicken und völliger Abstraktion, die die kurze Anmutung des Szenischen schnell wieder auflöst. (Wie die Musik ist auch die einstündige Choreografie geprägt von Heterogenitäten –) wie sich aus der großen Gruppenbewegung Einzelne herauslösen, in eine zweite, kleinere Gruppensequenz fallen, die im nächsten Moment endgültig in verschiedene Soli zerstäubt – das ist bei der gebotenen Lässigkeit verblüffend und überrascht immer wieder. Dennoch fragt man sich: was wird im Gedächtnis bleiben von dieser Choreografie? Und dann fällt auf, dass das Ganze, trotz der kunstvollen Komposition und der tänzerischen Schönheit etwas Unspezifisches hat oder besser: Das Charakteristische, Eigenwillige fehlt. Es scheint, als hätte Gat das Explosive, Kraftvolle seiner Bewegungssprache abgemildert und durch etwas Geordneteres, Kultivierteres ersetzt – genommen hat er ihr damit aber auch das, was dem Betrachter nachhaltig in Erinnerung bleiben könnte.
Kaikou, so der Titel der knapp einstündigen Uraufführung, bedeutet im Japanischen Seelenwanderung. Neben dem ewigen Zyklus von Werden und Vergehen, Tod und Wiedergeburt ist hier damit vor allem der Kreislauf von Sieg und Niederlage gemeint, gefasst im archaischen Bild des Jägers. Drei Männer sollen die verschiedenen Urtypen im beständigen Kampf ums Überleben personifizieren: Urs Dietrich, Henry Montes, Brice Desault – der eine herausfordernd-kämpferisch, der andere vorsichtig-lauernd, der dritte animalisch-instinkthaft. Treffen sie aufeinander, könnten sie Brüder im Überlebenskampf, Partner, aber auch Gegner und Konkurrenten sein. Als choreografisches Muster taucht der Kreis immer wieder auf: ob die Männer sich selbst lauernd umkreisen oder wie aufgezogen auf einer gebogenen Bahn über die Bühne laufen (– oder ein Laserstrahl von der Decke gleichsam als göttliches Auge auf den Boden trifft und dort den Radius kreisförmig abzirkelt) – das Symbolhafte der Choreographie wird recht schnell deutlich.
Es sind vier starke Tänzerpersönlichkeiten in "Kaikou" auf der Bühne, keine Frage – was sie aber wirklich antreibt in ihrem mysteriösen Tun, welche Kraft da in ihnen wirkt, bleibt weitgehend im Dunklen. Das ist besonders fatal, weil jede Bewegung aufgeladen wird mit hoheitsvoller Bedeutung, sich alle selbst derart Ernst nehmen und die musikalische Mischung aus Computersound und Auszügen aus Mahlers 5. Sinfonie spannungsreiche Dramatik evoziert. Doch läuft genau die Mischung aus Bedeutungsschwere und Rätselhaftem ins Leere, ja wirkt sogar an einigen Stellen wie von einem Fantasymovie inspiriert und damit unfreiwillig komisch. Susanne Linke hat in ihren mehr als vierzig Bühnenjahren viele ernsthafte Stücke erarbeitet, darin aber auch immer wieder Leichtigkeit und feine Selbstironie bewiesen – eine große Qualität, die ihr in "Kaikou" vollkommen verloren gegangen ist.
Schade, denn das eher durchwachsene Programm des diesjährigen Tanz-im-August-Festivals hätte nach seinem atemberaubenden Auftakt mit der Lucinda Childs Dance Company in dieser Woche einen weiteren mitreißenden Höhepunkt gebrauchen können. Doch der Eindruck der kleineren Arbeiten reicht nur von annehmbar bis vollkommen unakzeptabel. War das Duett zum Thema Prostitution von Perinne Valli und Jennifer Bonn zwar brav und vage, aber immerhin in seiner Bildlichkeit noch aussagekräftig, verwechselten sich Robert Steijn und Maria Hassabi in ihrer nach ihnen selbst benannten Performance wohl mit Marina Abramovic und Ulay, dem kongenialen Peformancekünstlerpaar der siebziger Jahre: eine Stunde lang schauten sie sich tief in die Augen und waren dabei so interessant wie ein weltfernes, wild knutschendes Paar, nämlich gar nicht.
Eine Ausnahme unter den Produktionen, die den Beweis, warum man sie anschauen sollte, schuldig blieben, war das Gruppenstück "Brilliant Corners" von Emanuel Gat. Zu seinem sicherlich komplexesten Werk, hat der israelische Choreograf gleich auch die Musik geliefert: inspiriert vom Jazz-Musiker Thelonious Monk hat er seine Bühnenmusik aus unzähligen verschiedenen experimentellen, klassischen unjazzigen Samples zusammengesetzt – nur unterbrochen von längeren Passagen der Stille.
(Ein höchst durchkomponiertes Sammelsurium an Bewegungen und Bezügen ist auch die Choreografie) zehn hervorragende Tänzer in ausgesuchter Alltagskleidung bilden zu Beginn eine heterogene Gruppe, die sich zusammen über die Bühne bewegt und in der jeder doch ganz individuell verschieden bleibt. (Ihre Bewegungssprache kommt ganz aus der Mitte und hat etwas sehr geerdetes – die weite Grätsche der Beine, der Bezug der Körpermitte zum Boden, ist noch immer ein hervortretendes Merkmal des Gat'schen Vokabulars.) Die Bewegungssequenzen fließen durch und arbeiten doch mit Oppositionen: von Richtungen, Kräften, Spannung und Entspannung, schneller, fließender Dynamik und plötzlichen Stopps, bedeutungsvollen Blicken und völliger Abstraktion, die die kurze Anmutung des Szenischen schnell wieder auflöst. (Wie die Musik ist auch die einstündige Choreografie geprägt von Heterogenitäten –) wie sich aus der großen Gruppenbewegung Einzelne herauslösen, in eine zweite, kleinere Gruppensequenz fallen, die im nächsten Moment endgültig in verschiedene Soli zerstäubt – das ist bei der gebotenen Lässigkeit verblüffend und überrascht immer wieder. Dennoch fragt man sich: was wird im Gedächtnis bleiben von dieser Choreografie? Und dann fällt auf, dass das Ganze, trotz der kunstvollen Komposition und der tänzerischen Schönheit etwas Unspezifisches hat oder besser: Das Charakteristische, Eigenwillige fehlt. Es scheint, als hätte Gat das Explosive, Kraftvolle seiner Bewegungssprache abgemildert und durch etwas Geordneteres, Kultivierteres ersetzt – genommen hat er ihr damit aber auch das, was dem Betrachter nachhaltig in Erinnerung bleiben könnte.