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Getanztes Requiem für Otfried Preußler

In dem Kinderstück "Krabat" nach Otfried Preußler trifft ein Mühlenknappe auf einen bösen Zauberer und findet die Erlösung durch die Liebe eines Bauernmädchens. Herausgekommen ist leider bloß biederes Provinzhandlungsballett.

Von Wiebke Hüster |
    Es gibt Theaterabende, nach denen ist die Versuchung stark, eine ganze Kunstform für tot zu erklären. Klassischer Tanz? Old School.
    Handlungsballett? Erledigt durch das Kino Quentin Tarantinos - es ist aufregender, den athletisch durch die Luft fliegenden erschossenen Cowboys in "Django Unchained" zuzuschauen als jedem erzählerischen Ballett der letzten Jahre. Der coolste Choreograf der Welt ist der Neoklassiker Hans van Manen, er wurde 2012 80 Jahre alt.

    Doch was hilft's? In der Tanzwelt gilt die Uraufführung als Nonplusultra, im Vergleich zum Schauspiel oder der Oper ist die Anzahl der neuen Ballette unverhältnismäßig hoch. Die Zahl der guten neuen Ballette hingegen ist verschwindend gering. Das gilt nicht nur für Stuttgart, Deutschlands berühmtestes Provinzballett.

    Das neue, dreiaktige Ballett des aus Argentinien stammenden schon lange im Stuttgarter Corps de Ballet beschäftigten Tänzers Demis Volpi trägt die klassischen Zeichen des Provinztheaters mit Geld und festem Willen zur Avantgarde. Keinen Konzertabonnenten kann man noch mit Musik von Philipp Glass erstaunen, mit Krzysztof Penderecki oder Peteris Vasks.

    Aber man kann mit einer geschickten Auswahl aus ihren Kompositionen und deren engagierten Vortrag durch ein Orchester wie das Staatsorchester Stuttgart unter der Leitung von James Tuggle die emotionale Kraft eines braven Tanzabends erstaunlich dopen. Klingt ja nicht nur aufregend, gibt dem Ganzen auch gleich so einen seriösen Hoppla-das-ist-hier-keine Tutu-Mädchen-Unterhaltung-Anstrich. Lässt man diese Musik spielen vor einem Bühnenbild, dass die Mauern aus Kornsäcken mühlenturmartig in den Theaterhimmel ragen lässt, dann ist das doppelt beeindruckend.

    Der Rest ist die liebe brave Nacherzählung von Otfried Preußlers märchenhaftem Roman "Krabat": Junge tritt eine neue Stelle als Mühlenknappe an, bemerkt, dass sein Chef ein böser Zauberer ist, betrauert im ersten Jahr einen toten Freund, im zweiten einen weiteren auf mysteriöse Weise umgekommenen Kollegen und wird im dritten Akt erlöst durch die Liebe eines hübschen Bauernmädchens.

    Das klingt schablonenhaft? Nun, so sah es auch aus.

    Das Beste war Katharina Schlipfs Ausstattung. Die Dorfmädchen etwa erscheinen vor einem herabfallenden Aushang mit einer gemalten Landschaftsidylle wie aus dem 18. Jahrhundert. Ihren schlichten Empire-Kleidern sind Motive des Gemäldes aufgedruckt, Bäume, Blätter, Vögel in der Luft.

    Der Sound stimmt also und die Dekorationen auch. Und die Tänzer sind überdurchschnittlich gut aussehend und von jugendlicher Anmut und Frische. Leider laufen, mimen und springen sie sich durch ein Ballett, das in jedem seiner drei Akte genau einen Tanz enthält.

    Dass Demis Volpi an tänzerischer Einfallslosigkeit leidet, ist das eine. Dass er Kulissen und kulissenträgerhafte Auftritte mit tänzerischem Erzählen verwechselt das andere. Die handwerklichen Fehler lassen sich nicht mit Unerfahrenheit mit dem Genre Handlungsballett wegerklären.

    Mehrfach wiederholen die Müllerburschen heiteres Herumwerfen und Kreistragen von Kornsäcken. Hasch mich, ich bin dein Jutesack. Bloß dass sie so mit diesen Säcken hantieren, als wären es federleichte Kopfkissen.

    Dreckige Kleider, Hunger, Staub, Kälte, schmerzende Knochen? Das kommt in "Krabat" vor, stimmt. Das ist Literatur. In Stuttgart ist es bloß biederes Provinzhandlungsballett, glatt, frisch gewaschen, proper. Uncool.

    Das Stuttgarter Ballett lebt in einer ganz anderen Welt. Es ist nicht dieselbe, in der es Bücher von Otfried Preußler und Filme von Quentin Tarantino gibt