Mitten durch die historische Altstadt von Nikosia verläuft die Grenze, aufgetürmte Barrikaden versperren den Zutritt zur anderen Seite: Der Inselstaat Zypern ist seit 1974 geteilt - in die international anerkannte Republik Zypern im Süden und die "Türkische Republik Nordzypern", die allerdings nur von der Türkei anerkannt wird.
Die Vereinten Nationen bemühen sich seit Langem um eine Lösung des Zypernkonfliktes. Vom 27. bis 29. April 2021 finden erneut Gespräche statt. Viele Zyprer hoffen auf mehr Nähe zwischen den beiden Teilen der Insel, doch die Spannungen wachsen.
Seit der Antike befindet sich Zypern wegen seiner strategisch guten Lage als zugleich östliche und südlichste Mittelmeerinsel unter wechselnder Herrschaft. Die Insel liegt 50 Kilometer von der türkischen und 800 Kilometer von der griechischen Küste entfernt. Seit 1570 gehörte Zypern zum Osmanischen Reich. Ende des 19. Jahrhunderts interessierten sich die europäischen Kolonialmächte für die Insel.
- 1935: Großbritannien macht die Insel offiziell zu einer ihrer Kolonien. Auf Zypern formen sich zwei Unabhängigkeits-Bewegungen: Eine will die Einheit Zyperns mit Griechenland, die andere eine Teilung der Insel in einen türkischen und einen griechischen Teil.
- 16. August 1960: Zypern wird unabhängige Republik. Großbritannien, Griechenland und die Türkei behalten als Garantiemächte das Recht, zu intervenieren und Militärstützpunkte zu errichten. Der inner-zyprische Konflikt schwelt weiter.
- 20. September 1960: Zypern wird Mitglied der Vereinten Nationen.
- 1964: Die UN entsenden eine Friedenstruppe, weil es immer wieder zu bürgerkriegsähnlichen Spannungen auf der Insel kommt.
- 1974: Griechisch-zyprische Offiziere putschen, unterstützt von der Militärjunta Griechenlands, gegen die zyprische Regierung. Am 20. Juli schickt die türkische Regierung Truppen, die den Norden Zyperns besetzen und beruft sich auf ihr Interventionsrecht als Grantiemacht. Griechische Zyprer aus dem Norden fliehen in den Süden, türkische Zyprer in den Norden. Hunderte Menschen sterben bei den Kämpfen.
- 1974: Im Waffenstillstandsabkommen wird eine 180 Kilometer lange "Green line" festgelegt, eine "Verbotene Zone", die die Insel seither in einen zyprisch-türkischen und einen zyprisch-griechischen Bereich teilt und von der UN überwacht wird.
- 15. November 1983: Die "Türkische Republik Nordzypern" wird ausgerufen, allerdings nur von der Türkei als eigenständiger Staat anerkannt.
- 2004: EU-Beitritt des griechischen Teils Zyperns. Damit gilt das EU-Recht nur im griechisch-zyprischen Süden. Die griechischen Zyprer lehnen einen vom damaligen UN-Generalsekretär Kofi Annan ausgearbeiteten Plan zur Wiedervereinigung ab.
- 2017: Erneute Verhandlungen über eine Wiedervereinigung Zyperns scheitern.
- 2020: Spannungen um Erdgasreserven vor der Küste der Insel
Seit 2003 gibt es Checkpoints, an denen die Grenze überquert werden kann. Dennoch sind mehrere Verhandlungen - zuletzt 2003 und 2017 - über eine mögliche Wiedervereinigung gescheitert. 2017 konnte man sich zum Beispiel hauptsächlich nicht auf den Abzug von rund 35.000 türkischen Soldaten aus dem Norden der Insel einigen. Beide Lager stehen sich zudem bei Territorial- und Eigentumsfragen und hinsichtlich der politischen Machtverteilung unversöhnlich gegenüber.
Die griechischen Zyprer verstehen Zypern als eigenständigen Staat, dessen Norden von der Türkei besetzt ist. Nordzypern ist weder Mitglied in einer internationalen Organisation noch gibt es direkte Flugverbindungen in andere Staaten als die Türkei und es darf keinen internationalen Handel betreiben. Zehntausende Türken sind vom Festland nach Nordzypern umgesiedelt worden, die Abhängigkeit von Ankara ist groß. Auch der im Oktober 2020 von den Menschen in Nordzypern gewählte Präsident Ersin Tatar von der konservativen Nationalen Einheitspartei (UBP) wird von Ankara unterstützt und ist klarer Verfechter der Zweistaaten-Lösung mit zwei unabhängigen Regierungen.
Die Stimmung zwischen den Lagern hat sich mit dem Erdgas-Streit weiter verschlechtert. Die griechisch-zyprische Regierung hatte ohne Absprache Bohrrechte an internationale Energiekonzerne verkauft. Wem diese Seegebiete tatsächlich gehören, ist umstritten. Die Türkei sucht in diesen Gebieten, eskortiert von der Kriegsmarine, ebenfalls nach Gas und besteht darauf, dass auch der Türkei als Küstenstaat im Mittelmeer Teile des Gasvorkommens zustehen.
Auf Zypern konzentrieren sich somit gleich mehrere Konflikte der europäischen Peripherie. Neben dem eskalierenden Streit um das Erdgas kamen im Zuge der Flüchtlingskrise immer mehr Geflüchtete nach Zypern, weil viele andere Flüchtlingsrouten geschlossen waren. Allerdings kamen die Menschen selten über das Meer: Sie flogen von der Türkei aus in den Nordteil der Insel und machten sich heimlich auf in den Süden der Insel - und damit in die EU.
Coronakrise verschärft Konflikte
Schon zu Beginn der Coronakrise schloss die griechisch-zyprische Regierung zudem ohne Absprache einige der Checkpoints mit der offiziellen Begründung, die Gesundheit der Bevölkerung zu schützen - der griechischen und der türkischen Zyprer, hieß es aus dem zyprischen Außenministerium. Friedensaktivisten wie Sener Elcil sehen darin allerdings politische Motive: "Nationalismus und Rassismus nehmen auf beiden Seiten zu – was hier passiert, stärkt nur die Leute, die eh für die endgültige Teilung der Insel sind, für eine Zweistaaten-Lösung. Das steckt wirklich dahinter." Elcil engagiert sich in der "Friedensinitiative für ein vereintes Zypern". Es gibt viele Zyprer, die sich die Wiedervereinigung wünschen - und zahlreiche persönliche Schicksale.
Die informellen Gespräche finden unter Schirmherrschaft der Vereinten Nationen statt, mit dabei sind neben den politischen Führern der griechischen und türkischen Zyprer auch Vertreter der drei Garantiemächte Großbritannien, Türkei und Griechenland. "Ziel ist es herauszufinden, ob es eine gemeinsame Grundlage der Teilnehmer gibt, eine dauerhafte Lösung des Zypernproblems mit einem absehbaren Zeithorizont zu finden", teilte das Büro von UN-Generalsekretär António Guterres mit. Er wird am Aufakt der dreitägigen Gesprächen teilnehmen.
Das Ziel der UN ist eine Vereinigung der Insel in Form einer Föderation von zwei politisch gleichberechtigten Teilstaaten: einen türkisch-zyprischen im Norden und einen griechisch-zyprischen im Süden. Ankara und die türkischen Zyprer setzen allerdings auf eine Zweistaaten-Lösung - die zwei unabhängigen Staaten könnten sich eventuell in der Zukunft in einer losen Konföderation verbinden, heißt es. Das jedoch lehnen die griechischen Zyprer ab.
Politologe Hubert Faustmann zweifelt am Verhandlungswillen der zyprischen Regierung. Er leitet das Büro der Friedrich-Ebert-Stiftung in Nikosia. Nikos Anastasiadis, der Präsident der Republik Zyperns, favorisiere statt einer Einigung den Status quo – oder gar auch eine finale Spaltung der Insel,
erklärte Faustmann im Dlf
: "Das bestreitet er aber, wir haben ein offizielles Dementi. Wir haben aber – und Zypern ist ein kleines Dorf – relativ glaubwürdige Aussagen von Leuten, die ihn privat das Gegenteil haben sagen hören. Es ist auch so, dass eine Zweistaaten-Lösung innenpolitisch nicht zu verkaufen ist. Wir sind hier in einem Konflikt, wo alle Auswege politisch so teuer sind, dass man am Status quo festhält als dem am wenigsten tragischen Zustand."
Problematisch ist außerdem der Konflikt um die im militärischen Sperrgebiet liegende Geisterstadt Famagusta im Osten der Insel, die als Sinnbild der Teilung gilt. Türkische Zyprer haben jüngst erste Schritte zur Wiederbesiedelung des Stadtteils Varosha unternommen. Der einstige Touristenort war früher jedoch von griechischen Zyprern bewohnt. Die UN bekräftigte daraufhin in einer mit Hinweis auf frühere den Status Varoshas und forderte die Rückgabe an die ehemaligen Einwohner und ihre Nachkommen.
An den anstehenden Gespräche zum Zypernkonflikt will auch die EU als Beobachter teilnehmen, da Zypern Mitglied der Staatengemeinschaft ist. EU-Außenbeauftragter Josep Borrell hofft auf einen Schritt zur Überwindung der Insel-Teilung. "Es gibt eine echte Chance, die genutzt werden muss", twitterte er.
Quellen: (Dlf, UN, BpB, dpa, og)