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Geteiltes Zypern
Unterwegs in der Geisterstadt Famagusta

Zypern ist seit 1974 geteilt, etliche Versuche der Wiedervereinigung zwischen dem türkischen Norden und dem griechischen Süden sind gescheitert. Eine Initiative will in der Sperrzone wenigstens die ehemalige Touristenhochburg Famagusta wiederbeleben - mit einer "Wiedervereinigung light".

Von Manfred Götzke |
Ein Schild mit der Aufschrift "Verbotene Zone" vor einer Absperrung am Strand, dahinter sind die verfallenen Hotels des ehemaligen Touristenviertels Varosha in Famagusta zu sehen
Geisterstadt im Norden Zyperns: Varosha, das einstige Touristenviertel von Famagusta wurde zur verbotenen Zone erklärt, als die Insel 1974 geteilt wurde - und verfällt seitdem (Getty Images/ Sean Gallup)
Okan Dagli steuert den besten Platz für das Geisterstadt-Spotting an. Ein Hotel direkt am Strand der türkisch-zyprischen Stadt Famagusta, im Osten der Insel. Zielsicher schreitet der 55-jährige Arzt und Friedensaktivist in Richtung Terrasse, bestellt Cappuccino. Das letzte intakte Hotel vor der verbotenen Zone.
Die Nachmittagssonne hüllt die Bucht von Famagusta in orange-goldenes Licht. Acht Kilometer weit schmiegt sich Hotelburg an Hotelburg. Aus der Ferne betrachtet ein ganz normales Postkartenpanorama. Doch das Leben der einst wichtigsten Touristenhochburg Zyperns ist seit mehr als 40 Jahren erstarrt. Die Hotels – nur noch Gerippe. Auf der Promenade, auf der einst Hollywood-Größen flanierten, wächst mannshohes Gestrüpp. Eine tote Stadt mit einst 14.000 Hotelbetten, umzäunt und besetzt von der türkischen Armee. Ein Trauerspiel, findet Dagli.
"Jeder zweite Zypern-Tourist kam damals hierher, nach Famagusta. Außerdem hatte die Stadt den größten Hafen der Insel. Der wird heute wegen des Embargos kaum mehr angefahren. Famagusta war der Wirtschaftsstandort Zyperns. Das ist alles zusammengebrochen."
Zwei Touristen waten im Oktober 1998 in Strandnähe durch das flache Wasser. Sie nähern sich dabei der durch einen Stacheldrahtzaun markierten Demarkationslinie, die ihren Hotelkomplex (r) in Gazimagusa (ehemals Famagusta) von den leerstehenden Hotelruinen (l) der früheren Touristenstadt Varosha (Vorort von Famagusta) trennt.
Die Hotels im einstigen Touristenviertel Varosha auf Zypern verfallen (picture-alliance / dpa / Brix)
Hotelbesitzer getrennt von seinem Hotel
Als die türkische Armee 1974 den Nordteil der Insel besetzte, erklärte sie das Touristen-Viertel von Famagusta, Varosha, zur Sperrzone – als Faustpfand bei Verhandlungen mit der griechischen Seite. Die meisten Hotels waren in der Hand griechischer Zyprer. Und die 1983 verkündete Unabhängigkeit der "Türkischen Republik Nordzypern" führte zu einem Wirtschaftsembargo, das bis heute in Kraft ist.
Dieser Beitrag gehört zur fünfteiligen Reportagereihe Zypern unter Zugzwang - Eine Insel inmitten internationaler Konflikte.
Dagli tritt an die Terrassenbrüstung, zeigt auf eines der ersten Hotels an der Uferpromenade, direkt hinter dem Grenzzaun.
"Das kleine Gebäude da, direkt am Zaun, vier Stockwerke, Hotel Florida. Der griechische Besitzer des Hotels, Pavlos Jacobus, kommt oft hierher und schießt Fotos davon. Er zieht dann am Stacheldraht, berührt 'sein' Hotel und fährt wieder zurück."
Hotelbesitzer Pavlos Iacovou, griechischer Zyprer, sitzt auf einer Sonnenliege vor dem gesperrten früheren Touristenviertel Varosha im türkisch kontrollierten Famagusta 
Pavlos Jakobus, griechischer Zyprer, sieht noch häufig nach seinem Hotel im gesperrten früheren Touristenviertel Varosha im türkisch kontrollierten Famagusta (AFP/ Birol Bebek)
Zypernlösung light für Famagusta erhofft
Seit fast 20 Jahren kämpft Dagli für die Öffnung des Touristenviertels. Gemeinsam mit türkisch- und griechisch-zyprischen Freunden hat er die "Famagusta Initiative" gegründet. Sie wollen eine "Zypernlösung light" für ihre Stadt, ihre Region: die Öffnung von Varosha. Denn eine Lösung für die gesamte Insel sieht er momentan nicht.
"Wir wollen, dass Famagusta wieder eine lebendige Stadt wird, eine Stadt für beide Volksgruppen. Wir hoffen, dass das multikulturelle Famagusta wieder auflebt, wenn Varosha geöffnet wird. Das wäre auch für den Tourismus gut. Hier gibt es ja ein unglaubliches Potenzial, wenn die Hotels am Strand wieder öffnen könnten."
Dagli setzt sich seine Sonnenbrille auf, geht zu seinem Auto. Wir fahren durch ein Wohngebiet. Nach einer Kurve stehen wir plötzlich wir vor dem Zaun, der Varosha umschließt: Stacheldraht und Ölfässer, Häuserfronten mit zugemauerten Fenstern.
"Ich war einmal drin in der Sperrzone, als Wehrdienstleistender. 20 Jahre nach der Schließung. Ich war geschockt. In meinen Erinnerungen war alles noch so lebendig, Menschen überall auf den Straßen, auf den Märkten. Jetzt war da überall Tod, Kollaps, Zerstörung."
Kontakte zwischen Nord und Süd
Dagli verlässt die Schlaglochpiste an der Sperrzone, wir biegen in eine frisch planierte größere Straße ein. Nach zwei Kilometern stoppen wir vor einem Checkpoint, das Kontrollgebäude ist neu. Vor zwei Jahren wurde der Übergang zum ersten Mal nach 45 Jahren wieder geöffnet – eine kleine Wiedervereinigung in diesem Teil der Insel. Daglis größter Erfolg.
"Wir haben sehr hart für die Öffnung gearbeitet. Das wirkt sich sehr positiv auf die Wirtschaft hier aus, aber nicht nur. Die ganze Atmosphäre ist jetzt viel besser."
Seit der Öffnung kämen mehr Tagestouristen von der anderen Seite in die Altstadt von Famagusta. Vor allem aber treffen sich die Einheimischen beider Seiten jetzt häufiger.
"Die griechischen Zyprer kamen erst nur zum Einkaufen oder zum Tanken auf diese Seite, wegen des günstigen Lira-Kurses. Aber da sind Freundschaften entstanden. Wenn du alle drei Tage zum Tanken kommst, dann fängst du an, dich zu unterhalten, du schüttelst Hände, machst Witze. Und du bleibst länger hier."
Checkpoint wieder dicht - wegen Corona?
Doch heute passieren nur UN-Jeeps den Checkpoint. Seit Anfang März ist die Grenze wieder dicht. Einseitig geschlossen von der griechischen Seite, angeblich wegen Corona. Der Arzt Dagli schüttelt den Kopf.
"Es ist unglaublich. Die haben den geschlossen, weil es für sie zu viel Austausch gab. Es kamen ihnen zu viele griechische Zyprer und zu viele Touristen hierher – die hier ihr Geld ausgegeben haben. Sie haben unsere Verbindung einfach wieder gekappt. Alles ist jetzt wieder kollabiert. Es macht mich einfach traurig – nur die Nationalisten freuen sich jetzt."
Fundamentalistischer Islam könnte Nordzypern verändern
Dagli fährt zurück in die Altstadt. Vorbei am Stacheldraht-Zaun. In die verlassenen Häuser am Rand der Sperrzone sind Siedler aus der Türkei gezogen, auch auf den einstigen Orangen-Plantagen Famagustas wird eifrig gebaut. Eine neue Moschee reckt ihre weißen Minarette in den Himmel. Überall in Nordzypern werden sie nun mit Geld aus der Türkei errichtet. Dabei sind die türkischen Zyprer nicht besonders religiös, sie gehen lieber in die Bar als in die Moschee. Doch mittlerweile leben mehr als 100.000 Siedler aus Anatolien auf der Insel – außerdem sind 40.000 türkische Soldaten hier stationiert. Die 150.000 türkischen Zyprer könnten bald eine Minderheit sein.
"Früher haben sich die neuen Siedler angepasst. Sie wurden wie wir: lockere Insulaner. Aber seit die türkische Regierung fundamentalistisch-islamische Ideen vertritt, exportiert sie ihre Ideen auch hierher. Die Zugezogenen schicken ihre Kinder jetzt auf islamische Schulen. Wenn wir nicht bald eine Lösung finden, dann wird der fundamentalistische Islam Nordzypern für immer verändern."
Wahlen in Nordzypern
Ende April könnte sich entscheiden, ob der Norden endgültig zu einer türkischen Provinz wird, meint Dagli. Die türkischen Zyprer wählen ihren Präsidenten, neben dem Amtsinhaber Mustafa Akinci, der sich stark für eine Wiedervereinigung einsetzt, tritt unter anderem Ersin Tatar an. Ein Günstling Erdogans, der eine Zweistaatenlösung mit fester Grenze favorisiert. In den Umfragen liegt er nur leicht hinter Akinci zurück.
"Akinci ist der erste Volksgruppenführer, der der türkischen Regierung auch mal widerspricht. Er kritisiert Erdogans Kriege und die Aushöhlung der Demokratie in der Türkei. Ich hoffe, dass er gewinnt. Aber die türkische Führung ist gegen ihn, sie will die Wiederwahl verhindern."