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Getroffene Slowakei (2/5)
Kuciaks Kollegen lassen nicht locker

Journalisten machen in der Slowakei seit Jahren auf Skandale der Politik aufmerksam. Trotzdem passiert nichts. Keine Strafverfolgung, keine Verurteilung. Die Redaktion, für die der ermordete Investigativ-Journalist Jan Kuciak gearbeitet hat, will das nicht mehr hinnehmen.

Von Kilian Kirchgeßner |
    In den Redaktionsräumen des slowakischen Nachrichtenportals "Aktuality.sk" hängt ein Plakat, das die Silhouetten von Jan Kuciak und seiner Verlobten zeigt - darunter der Hashtag #AllForJan, der in der Slowakei allgegenwärtig geworden ist
    In den Redaktionsräumen des slowakischen Nachrichtenportals "Aktuality.sk" ist das Gedenken an Jan Kuciak allgegenwärtig (Deutschlandradio/ Kilian Kirchgeßner)
    Seinen Platz hat Chefredakteur Peter Bardy mitten im Großraumbüro, so wie alle anderen Redakteure auch. Eine ganze Etage voller Schreibtische, dicht aneinandergerückt. Wenn Peter Bardy einen Witz reißt, ist er bis in den hintersten Winkel zu hören:
    "Die Schreibtische dort gehören zu einem anderen Magazin, uns gehört dieser Bereich hier vorne."
    Dieser Beitrag gehört zur fünfteiligen Reportagereihe "Getroffene Slowakei - Ein Land kämpft für mehr Anstand" in der Sendung "Gesichter Europas".
    Peter Bardy trägt Glatze und eine schwarze Designerbrille. Bis zum Mord an Jan Kuciak war er dessen Chef. "Janko" nennt er ihn bis heute, die slowakische Koseform von Jan. Mitten in der Redaktion haben sie ein riesiges Plakat aufgehängt, es zeigt die Silhouetten von Kuciak und seiner Verlobten, darunter der Hashtag #AllForJan, der in der Slowakei allgegenwärtig geworden ist. Bardy zeigt auf einen der Schreibtische am Rand des Großraumbüros – dort war sein Platz.
    "Aktuality"-Chefredakteur Peter Bardy sitzt vor einer Wand mit Fotos von Politikern, die in den Skandal verwickelt sind, an dem sein ermordeter Mitarbeiter Jan Kuciak zuletzt gearbeitet hatte
    "Aktuality"-Chefredakteur Peter Bardy vor einer Wand mit Fotos von Politikern, die in den Skandal verwickelt sind, an dem sein ermordeter Mitarbeiter Jan Kuciak zuletzt gearbeitet hatte (Deutschlandradio/ Kilian Kirchgeßner)
    "Das Land gehört nicht mehr uns Bürgern"
    Peter Bardy geht voran in den Konferenzraum, in dem sich nachher alle Redakteure zur Wochenplanung treffen. Er setzt sich an den Tisch, durch die Tür klingt das konzentrierte Stimmengewirr aus der Redaktion herüber.
    "Es dauerte eine Weile, bis wir nach dem Mord verstanden haben, worum es geht. Erstmal haben wir es als Angriff auf Jan verstanden. Und da wir aber wussten, woran er gearbeitet hatte, haben wir die Sache bald in einem anderen Licht gesehen. Als wir erkannt haben, wie eng die Verbindung von Mafia-Leuten in die politische Elite ist, haben wir angefangen zu verstehen, dass wir unser Land verloren haben. Das Land gehört nicht mehr uns Bürgern, es gehört der organisierten Kriminalität und der Korruption. Da war uns klar, dass sie ihn nicht ermordet haben, weil er Jan Kuciak ist, sondern weil er ihnen gefährlich wurde. Jan war ein Soldat der Demokratie im Kampf gegen undemokratische Praktiken."
    "Solche Folgen konnte sich niemand vorstellen"
    Peter Bardy hat sich diese Gedanken schon oft gemacht, seit Jan Kuciak ermordet wurde. Er spricht konzentriert – es wirkt, als müsse er seine Wut kontrollieren. Wenn Kuciak ein "Soldat der Demokratie" war: Wusste er dann nicht um das Risiko seines Berufs?
    "Uns war bewusst, dass wir uns einem Risiko aussetzen. Auch Jan wusste das, wir haben öfters darüber gesprochen. Wir sprachen darüber, dass sie uns vor Gericht zerren könnten, uns zusammenschlagen, uns diskreditieren könnten. Drohungen gab es schließlich. Aber dass es solche Folgen haben könnte, das konnte sich niemand vorstellen."
    Seit den 1990er-Jahren ist Peter Bardy Journalist, er selbst hat etliche Enthüllungsgeschichten recherchiert. Eins aber, sagt er, ist über die ganzen Jahre gleichgeblieben:
    "Man arbeitet an einem Fall, der wasserdicht dargestellt wird, man deckt einige Skandale in einer solchen Detailschärfe auf, dass die Staatsanwaltschaft unsere Recherchen gleich als Anklageschrift verwenden könnte. Und dann merken Sie auf einmal, dass niemand reagiert. Die Betreffenden ignorieren das Thema einfach oder fangen an, die Dinge zu verharmlosen. Die Frustration, dass sich die Dinge nicht zum Besseren ändern, ist furchtbar groß."
    Jede Woche neue Mosaiksteine
    Es ist Zeit für die Redaktionskonferenz. Durch die Tür kommen Peter Bardys Mitarbeiter, ein gutes Dutzend Leute. Die meisten von ihnen sind jung, in ihren 30ern.
    An der Stirnseite des Konferenzraums haben sie eine Art Beziehungsnetz skizziert. Darin hängen die Fotos von allen, die in den Skandal verwickelt sind, an dem Jan Kuciak zuletzt gearbeitet hatte, dazwischen ihre Verbindungen untereinander. Es ist ein gewaltiges System von Abhängigkeiten und Querverbindungen, die Fotos von etlichen Ministern, von hohen Beamten, von reichen slowakischen Unternehmern und mutmaßlichen italienischen Mafiosi tauchen hier auf. Die Wand ist von der Decke bis zum Fußboden gefüllt.
    Sie haben neue Mosaiksteine gesammelt, so wie jede Woche. Man werde nicht lockerlassen, hat Chefredakteur Peter Bardy geschworen:
    "Wir haben uns komplett verändert, die ganze Zeitung. Wir hatten vorher ein dreiköpfiges Investigativ-Team. Nach Jans Mord sind wir zu einem regelrechten investigativen Knotenpunkt geworden. Die, die vorher für Gesundheitsthemen zuständig waren, für Bildung oder für Wirtschaft – sie alle haben ihre eigenen Themen zur Seite gelegt. Sie lernen, wie man mit offenen Quellen arbeiten kann, wie man Datenbanken analysiert, und wir alle recherchieren zusammen unseren großen Fall."
    Redaktionsübergreifende Zusammenarbeit
    Außerdem arbeiten alle Redaktionen in der Slowakei jetzt enger zusammen: Man sichere sich gegenseitig ab, indem man sich über die jeweiligen Erkenntnisse auf dem Laufenden hält. Und noch einen Verbündeten hätten die Journalisten seit dem Mord gefunden: die Öffentlichkeit.
    "Vom ersten Tag an schreiben uns die Leute, sie rufen uns an, sie geben uns Hinweise. Sie haben verstanden, dass es nötig ist, aktiv zu werden; dass sie reden müssen, wenn sie wollen, dass sich etwas verändert."
    Die Redakteure gehen aus dem Konferenzraum zurück an ihre Schreibtische, vorbei am großen Plakat mit dem Bild ihres ermordeten Kollegen. Sein Werk wollen sie zu Ende bringen – eine größere Motivation, sagen sie, kann es gar nicht geben.