Der Weg zum spektakulärsten Fund von Theresienstadt führt auf einen Dachboden. Eine Holztreppe mit ausgetretenen Stufen; oben direkt unter den Dachziegeln brennt nur eine schwache Glühlampe, auf dem Boden sind die tragenden Balken offengelegt.
"Hier bitte aufpassen auf das Loch, wir haben ein Stück vom Boden rausnehmen müssen."
Jolana Tothová geht voran, eine junge Frau; sie hat vor ein paar Jahren das Haus gekauft. Als sie nun mit ihrem das Dach renoviert hat, entdeckten die beiden unter den Dielenbrettern einen Koffer. Er gehörte einem Gettobewohner. Der Inhalt liegt jetzt feinsäuberlich sortiert auf dem Dachboden. Jolana Tothova:
"Wir lassen die Sachen bewusst hier oben wegen des Klimas; unter diesen Bedingungen haben sie sich sieben Jahrzehnte gehalten, wir wollen sie sicherheitshalber nirgendwo anders hinbringen. Schauen Sie: Hier liegen Strumpfhosen, Handschuhe, sehr viele Schuhe, der ganze Stapel da. Und hier auf dem Papier ist ein Theater gemalt: Man sieht da einen Ritter und eine Prinzessin auf der Bühne stehen."
Dachbodenfunde aus Juden-Sammelunterkünften
Einen anderen Schatz hat die Hausbesitzerin nicht mehr auf dem Dachboden gelassen: eine kleine Schachtel mit einem aufgerollten Gebetsriemen. Es ist ein extrem seltenes Zeugnis: Ein Hinweis darauf, wie die jüdischen Bewohner des einstigen Lagers Theresienstadt ihren Glauben gelebt haben – selbst hier, unter den furchtbaren Bedingungen des Gettos. Was hier oben verborgen war, ist ein Mosaikstein, der hilft, das Bild zusammenzusetzen vom Leben hier im Theresienstädter Getto. Auf den Dachboden von Jolana Tothova ist auch Uta Fischer mitgekommen; die Historikerin aus Berlin leitet das Projekt "Gettospuren", das diese Mosaiksteine dokumentiert. Fischer zeigt auf einen Zettel, der beim Gepäck liegt - auf ihm ist der Name des Mannes notiert, dem einst der Koffer gehörte.
"Hier steht drauf: Hausrat, Kriegsbeschädigung, Georg Israel Motulski aus Leipzig, Färberstraße 11. Das habe ich schon recherchiert, das war die letzte Adresse vor der Deportation, das waren schon sogenannte Juden-Sammelunterkünfte."
Der Koffer von Georg Motulski, in dem auch einige Papierfetzen mit Thora-Übersetzungen liegen, ist seit langer Zeit der erste Fund, in dem auch religiöse Gegenstände aufgetaucht sind. Vor einigen Jahren ist durch Zufall eine Gebetstafel entdeckt worden - auch sie lag auf einem Dachboden. Der stärkste bisher bekannte Beleg für religiöses Leben in Theresienstadt ist eine kleine jüdische Betstube: Sie liegt versteckt neben dem Stall im Hinterhof eines Wohnhauses, ein paar Quadratmeter nur, ausgestattet mit Wandmalereien. Ende der 80er Jahre wurde die Betstube gefunden, seit den 90er Jahren ist sie öffentlich zugänglich. Was alle diese Funde über das religiöse Leben in Theresienstadt aussagen? Darüber rätseln die Forscher noch. Institutionalisierte Gottesdienste jedenfalls, sagt Uta Fischer, habe es nicht gegeben.
"Die Betstube war ja auch nicht bekannt, selbst der berühmte Gettochronist H.G. Adler hat davon keine Kenntnis gehabt, und der hat ja nach dem Krieg alles gesammelt, was es gab. Es war bekannt, das schreibt er auch, dass es mehrere sogenannte Tempel gab, aber dieser war ihm nicht bekannt."
Selbst Bilder gibt es, die religiöse Zeremonien im Getto zeigen: Ein Bild von Helga Weiß etwa, die als Kind interniert war, zeigt eine Gebetsszene auf dem Dachboden, bei der ein Chanukkaleuchter angezündet wird. Andere Bilder stellen auch christliche Gebetsrituale dar.
Mehr als 140.000 Häftlinge
Das Theresienstadt von heute ist eine einzige Baustelle. Schon immer musste sich die Stadt, die eine Stunde von Prag entfernt liegt, ihrer Zeit anpassen: Im 18. Jahrhundert ist sie als Festung gebaut worden, als Garnisonsstadt der österreichisch-ungarischen Armee. Tiefe Gräben und martialische Festungsmauern umgeben die Stadt, in ihrem Innern stehen riesige Kasernen. Es gibt einen Hauptplatz mit Rathaus und einer Garnisonskirche, dazu schachbrettartig angeordnete Straßenzüge mit Wohnhäusern. Während des Zweiten Weltkriegs machten sich die Nazis die schweren Befestigungsanlagen zunutze und richteten das Getto ein, in das Juden aus Tschechien, Österreich, Deutschland und weiteren Ländern interniert wurden; eine Zwischenstation auf dem Weg in die Vernichtungslager. Ein Block der Befestigungsanlage diente als besonders brutales Gestapo-Gefängnis. Mehr als 140.000 Häftlinge durchliefen bis 1945 die Hölle von Theresienstadt; heute leben hier nicht einmal 3.000 Einwohner, umgeben von Zeugnissen aus mehr als zwei Jahrhunderten.
Derzeit wird wieder einmal renoviert; Handwerker arbeiten an einigen der alten Kasernen. Auf der Großbaustelle ist Uta Fischer mit ihrem Kollegen Roland Wildberg unterwegs; die beiden haben von Arbeitern den Hinweis bekommen, dass in einem der Gewölbekeller alte Inschriften aufgetaucht sind. Fischer und Wildberg steigen mit ihrer kiloschweren Fotoausrüstung hinab. Ein paar Buchstaben sieht man dort an der Decke, jemand muss sie mit dem Ruß einer Kerze angebracht haben.
"1942, hier haben wir was!"
Stumme Zeugnisse aus der Zeit des Gettos.