Für ihn habe die Geschichte vor etwa 15 Jahren begonnen, erzählt Anders Opdal. Einige Kollegen des Biologen von der Universität von Bergen untersuchten damals Fjorde an der Westküste Norwegens. "Sie entdeckten in zwei ganz nah beieinander liegenden Fjorden völlig unterschiedliche Ökosysteme. In dem einen Fjord lebten sehr viele Fische. In dem anderen gab es so gut wie keine Fische mehr, aber dafür ganz viele Quallen."
Saubere Luft verursacht braune Seen
In dem Fjord mit den Quallen war das Wasser viel dunkler als in dem anderen Fjord. Die Forschenden machten sich auf die Suche nach der Ursache und entdeckten im Einzugsgebiet sehr viele Seen. Und deren Wasser wird immer brauner.
Verantwortlich dafür ist ein Zusammenspiel von wahrscheinlich drei Faktoren. Zum einen nimmt seit etwa 100 Jahren die Vegetation in Nordeuropa deutlich zu. Ackerland und Weiden wurden aufgegeben, Wälder dehnten sich aus. So gelangt mehr organisches Material in die Seen. Zum zweiten wird die Luft immer sauberer.
"Die Schwefeloxid-Emissionen aus der Industrie sinken seit etwa 40 Jahren", sagt Anders Opdal. "Das führt überraschenderweise dazu, dass das organische Material im Boden mobiler wird, so dass es sich besser löst und das Wasser braun werden lässt." Als dritten Faktor haben die Forschenden den Klimawandel ausgemacht, der mit seinen höheren Temperaturen und stärkeren Regenfällen das Pflanzenwachstum zusätzlich anregt und zu noch mehr organischem Material in den Seen führt.
Vermutlich sind die Seen vor Beginn der Industrialisierung und der großflächigen Rodungen ebenfalls brauner gewesen, aber aktuell verdunkelt sich das Wasser so schnell, dass sich die Ökologin Anne Deininger vom Norwegischen Institut für Wasserforschung NIVA Sorgen um die Ökosysteme in den Seen macht.
Ökosysteme können nicht Schritt halten
"Es sind zwei unterschiedliche Effekte", sagt Anne Deininger. "Das eine ist eine Abnahme des Lichteinfalls in den Seen. Das Phytoplankton, die Algen, alle Pflanzen im Wasser brauchen aber Licht, um Biomasse und Sauerstoff zu produzieren. Gleichzeitig enthält das organische Material viel Kohlenstoff, der Bakterien als Nahrung dient. Sie verbrauchen beim Fressen Sauerstoff und produzieren Kohlendioxid. Beide Effekte zusammen könnten dazu führe, dass in den dunkleren Seen weniger Sauerstoff und mehr Kohlendioxid entsteht. Deshalb ist es auch aus Klimawandelperspektive wichtig, zu verstehen, wie diese Seen und Flüsse auf die zunehmende Verdunklung reagieren."
Darüber hinaus binden die organischen Partikel leicht an Schwermetalle wie Quecksilber. So können sich diese durch das dunkler werdende Wasser in der Nahrungskette anreichern. Bislang ging die Wissenschaft davon aus, dass all diese Probleme nur die Seen selbst betreffen, nicht aber die stromabwärts liegenden Meere.
Seit der Entdeckung des "Quallen-Fjords" aber ist klar, dass auch die Fjorde und Küstengewässer dunkler werden. Und das beunruhigt Anders Opdal, denn jedes Jahr im Frühjahr beginnt im Nordatlantik die für das Ökosystem dort absolut entscheidende Phytoplanktonblüte. Die wiederkehrende Sonne und die steigenden Wassertemperaturen verwandeln den Ozean innerhalb kürzester Zeit in ein Schlaraffenland für die gesamte Nahrungskette, von den kleinsten Pflanzen bis hin zu den größten Tieren.
Phytoplanktonblüte lässt im braunen Wasser auf sich warten
Opdal erklärt: "Wir sehen, dass die zunehmende Verdunklung des Wassers den Zeitpunkt der Phytoplanktonblüte nach hinten verschiebt. Den Organismen fehlt es an Licht, so dass sie etwas länger warten müssen, bis so viel Licht da ist wie vor 50 oder 100 Jahren. Und das liegt am dunkler werdenden Wasser." Der Wissenschaftler hat seine Ergebnisse auf einer Tagung vorgestellt.
Die Phytoplanktonblüte aber ist der Startpunkt für ein ganz fein getaktetes Zusammenspiel des restlichen Ökosystems. Blüht das Phytoplankton zu früh oder zu spät, kann das gesamte Nahrungsnetz durcheinander geraten, etwa indem Fische laichen, ihre Nachkommen aber verhungern, weil ihre Nahrung noch nicht da ist. Um solche Effekte aufzuspüren und die Gefahr des braunen Wassers besser einschätzen zu können, hat Norwegen nun damit begonnen, den Lichteinfall in allen Küstengewässern zu untersuchen.