"Das war an einem Sonntagnachmittag, da hat eine Band bei uns geprobt, mit offenem Fenster: Dann hat eine Person aus der Band festgestellt, dass irgendetwas an seinem Gesicht vorbeigeflogen ist. Daraufhin sind Leute aus dem Haus raus und haben gesehen, wie sich aus der Germania gegenüber eine Person erst versteckt hat und dann weg ist. Dann hat sich rausgestellt, dass es Softairkugeln waren, 60 Kugeln im Garten verstreut und einige auch im Zimmer gelandet sind."
Pet will ihren richtigen Namen in dem Radiointerview nicht preisgeben. Sie wohnt in der Wohngemeinschaft, die von dem Angriff aus dem Haus der Burschenschaft Germania betroffen ist. Die Polizei ermittelt wegen versuchter gefährlicher Körperverletzung.
"Es war wohl so, dass sich da zwei Männer ans Fenster gestellt haben und mit den Softairs, die der Pumpgun tatsächlich gezielt über hundert Meter Luftlinie auf unsere Haus geschossen haben, in das Zimmer rein, um die Leute dort zu treffen. Das ist schon krass, bewusst auf Menschen zu zielen, nicht nur für unser Haus, auch für alle Menschen, die auf der Straße da lang gehen."
Für ein Interview standen Vertreter der Burschenschaft Germania nicht zur Verfügung, aber in einem Brief an die Bewohner der Hausgemeinschaft schreibt ihr Sprecher Senior Simeon Atkinson:
"Gewaltsames Verhalten und die Missachtung fremden Eigentums dürfen nicht toleriert werden. Als unmittelbare Maßnahme wurden daher die Mietverträge der Beteiligten außerordentlich gekündigt. Wir distanzieren uns von den an der Tat Beteiligten und möchten zudem darauf hinweisen, dass diese zum Zeitpunkt der Tat nicht Mitglied der Burschenschaft Germania waren. Wir versichern, dass nach dem Auszug der beiden Verantwortlichen mit weiteren Vorfällen dieser Art nicht zu rechnen ist."
Pöbeleien in der Innenstadt
Die Bewohner der Hausgemeinschaft akzeptieren dieses Schreiben zwar als Entschuldigung, allerdings rufen sie jetzt gemeinsam mit einem breiten Göttinger Bündnis für den 10. August zu einer Demonstration gegen die Burschenschaften und Verbindungshäuser in der Unistadt auf, sagt Stefan Seifer. Denn nur eine Woche vorher wurde der Pressesprecher der Göttinger Wohnrauminitiative von zwei Verbindungsstudenten der Landsmannschaft Verdensia angegriffen und vom Fahrrad geschubst. Er musste mit Knieverletzungen ins Krankenhaus. Grund: Vor dem Angriff hatte der Sprecher der Wohnrauminitative von der gegenüberliegenden Straßenseite mit seinem Handy Reinigungsarbeiten an der Fassade des Verbindungshauses dokumentiert.
Stefan Seifer ist studierter Politologe. Der 31-jährige spricht für "subway", eine Gruppe aus Politikwissenschaftlern und Historikern, die sich seit sieben Jahren mit den Strukturen in Verbindungshäusern auseinandersetzt. Für Seifer hat sich das Verhalten der Verbindungsstudenten in den vergangenen Jahren stark verändert:
"Meinem Eindruck nach erleben reaktionäre Weltbilder generell in Deutschland eine Konjunktur und das drückt sich dann in einem verstärkten Selbstbewusstsein in den rechten Studentenverbindungen hier in Göttingen aus. Das hängt meines Erachtens mit der Krisenpolitik Deutschlands zusammen, mit der Migrationspolitik vonseiten der Bundesregierung, mit den Pegida-Protesten im Winter."
Zufällig befragte Göttinger regen sich über das Verhalten der Burschenschaftler und Verbindungsstudenten auf. Immer öfter käme es in der Innenstadt zu Pöbeleien und unangenehmen Begegnungen. Zwei Stimmen dazu:
"Dass sie jetzt hier offensiver auftreten hier, hat eher was damit zu tun, dass sie vielleicht nicht genug Gegenwind bekommen. Ich denke, da ist unsere Zivilgesellschaft gefordert, dass sie auf allen Ebenen auch genügend Kontra bekommen. Inhaltlich, aber auch in Nachbarschaften, dass ihnen immer wieder klargemacht wird, dass ihr Verhalten absolut unmöglich ist."
"Die Burschenschaften hatten im 19. Jahrhundert ja eine wichtige Rolle als studentische Bewegung: Einigkeit, Recht und Freiheit. Aber ich denke sie verlieren diese Tradition hier in Göttingen gerade aus den Augen, und da kann man schon an der Echtheit ihrer Traditionsverbundenheit zweifeln."
Studentenverbindungen von der Uni-Webseite genommen
Das Argument rechts gegen links, dass sich also beide Seiten gegenseitig hochschaukeln könnten, lässt Politologe Seifer nicht gelten:
"Das ist ja auch so allgemein die Meinung in Göttingen, dass sich das gegenseitig hochschaukelt. Man muss sicherlich differenzieren zwischen den einzelnen Verbindungen. Gleichwohl ist es uns wichtig, dass sich die meisten Studentenverbindungen als Männerbünde begreifen. Auf dem Campus erkennt man sie schon, weil sie ein eigenes kulturelles Milieu darstellen, in der Stadt ist es so, dass sie zwar nicht Farben tragen, aber dass sie in größeren Männergruppen unterwegs sind, oft auch sehr stark angetrunken, kann das zu unangenehmen Dynamiken kommen."
Auf Drängen der Grünen Jugend hat die Universitätsleitung die Liste der Studentenverbindungen jetzt von der Uni-Webseite genommen.