Jugendkriminalität
Mehr Gewalt an Schulen

Die Gewalt an Schulen nimmt zu. Das bestätigen nicht nur Umfragen unter Schulleitern, sondern auch Statistiken der Polizei. Allerdings fehlt immer noch eine bundesweit einheitliche Erfassung der Fälle.

    Ein Mann steht vor der eingezäunten der Offenburger Waldbachschule mit Kerzen und Blumen.
    Im November 2023 tötete ein 15-Jähriger an der Offenburger Waldbachschule einen Mitschüler mit einer Schusswaffe. (IMAGO / Einsatz-Report24 / IMAGO / Einsatz-Report24)

    Inhalt

    Wie viele Gewaltdelikte an Schulen gab es zuletzt?

    Laut einer Umfrage der Deutschen Presse-Agentur (dpa) kam es in mehreren Bundesländern zu mehr Gewaltdelikten an Schulen im Vergleich zum Jahr vor der Pandemie. Dabei wurden überwiegend die Zahlen von 2019 mit denen von 2022 verglichen, da Statistiken aus 2023 meist noch nicht vorliegen.
    In Nordrhein-Westfalen stieg die Zahl der Fälle um mehr als die Hälfte an auf 5.400, während die Zahl der Schüler an allgemeinbildenden und beruflichen Schulen sowie an Schulen des Gesundheitswesens nur um etwa ein Prozent stieg (zwischen Schuljahr 2019/20 und 2022/23).
    In Bayern gab es vor der Pandemie 1.422 Fälle und 1.674 Fälle im Jahr 2022. 744 Schüler und 43 Lehrer wurden verletzt. Bei der Gewaltkriminalität wird von 554 Fällen berichtet, drei Jahre zuvor sollen es nur 424 gewesen sein. Auch in Baden-Württemberg, Brandenburg, Sachsen und Schleswig-Holstein stiegen die Zahlen.
    In Berlin gibt es der dpa zufolge an jedem Schultag im Durchschnitt mindestens fünf Polizei-Einsätze. 2022 waren es laut Polizei 2.344 Fälle von Körperverletzung. Für 2023 sei eine „erneute deutliche Steigerung der Fallzahlen“ zu verzeichnen.

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    Neuere Zahlen liegen für Thüringen und Niedersachsen vor. In Thüringen gab es laut Bildungsministerium in Erfurt von 561 Körperverletzungen im vergangenen Jahr (2022: 321). In Niedersachsen stieg die Gesamtzahl der Opfer im Schulkontext von rund 2.630 im Jahr 2022 auf etwa 3.270 im Jahr 2023.
    Nur wenig Auskunft geben die Landesstatistiken darüber, ob Polizisten zum Beispiel Waffen sichergestellt haben. In Sachsen sind es 2022 insgesamt 15 Waffen gewesen: 42 Messer, 43 Steine und 19 Mal Pyrotechnik. In vielen Fällen seien auch Feuerzeuge eingesetzt worden. In Thüringen wurde laut Bildungsministerium im vergangenen Jahr fünfmal eine Waffe eingesetzt - ebenso oft wurden Softair-Waffen oder waffenähnliche Gegenstände gebraucht - mehr als 2022. 

    Welche Erfahrungen machen die Lehrer und Schulleitungen mit Gewalt?

    Seit 2016 führt die Pädagogen-Gewerkschaft Verband Bildung und Erziehung (VBE) repräsentative Umfragen unter Lehrkräften und Schulleitungen durch. Auch hier nehmen die Schulleiter einen Anstieg von Gewalt gegenüber Lehrern wahr. Im Jahr 2018 berichteten 48 Prozent, dass Lehrkräfte in den letzten fünf Jahren „beschimpft, bedroht, beleidigt, gemobbt oder belästigt“ worden seien. 2022 waren es 62 Prozent. Auch die Zahl der Angriffe über das Internet stieg von 20 auf 34 Prozent. Körperliche Angriffe nahmen laut dieser Umfrage von 26 auf 32 Prozent zu.
    „Rechnet man die Prozentangaben auf die Grundgesamtheit der allgemeinbildenden Schulen hoch, bedeutet das, dass es in den letzten fünf Jahren an fast 20.000 Schulen zu psychischer und an jeweils gut 10.000 Schulen zu Cyber-Mobbing oder körperlicher Gewalt kam“, so Udo Beckmann, der damalige Bundesvorsitzende des Verbandes Bildung und Erziehung (VBE) zur Veröffentlichung der Ergebnisse im Jahr 2022. „Dieser Zustand ist unhaltbar. Der Schutz der Lehrkräfte muss dringend auf die politische Agenda.“
    Auch nach Einschätzung des Allgemeinen Schulleitungsverbandes Deutschlands haben viele Lehrkräfte das Gefühl, dass die Bereitschaft zur Gewalt zugenommen hat. „Wir haben bemerkt, dass mehr Waffen zur Schule mitgenommen werden als früher“, sagt Sven Winkler vom Schulleitungsverband. Dabei handele es sich vor allem um Messer und sogenannte Anscheinswaffen. Das sind Waffen, die echten Schusswaffen täuschend ähnlich sehen. Ob Kinder und Jugendliche Waffen dabeihaben, weil sie gewaltbereit sind, oder weil sie Angst haben und diese zur Selbstverteidigung nutzen wollten, sei unklar.

    Was sind die Gründe für Gewalt an Schulen?

    Die Gründe, dass Schüler Gewalt ausübten oder androhten, sind nach Einschätzung des Brandenburger Bildungsministeriums vielschichtig. Dazu zählten Faktoren wie „Defizite in der Selbststeuerung und geringes Selbstwertgefühl, aber auch familiäre und soziale Ursachen wie Gewalterfahrungen in der Familie oder Akzeptanz sowie soziale Normen und Werte und die jeweilige Akzeptanz in der Gruppe der Gleichaltrigen“. Auch Gewaltinhalte in Medien und auf Online-Plattformen könnten aggressives Verhalten begünstigen.

    Was kann man tun, um Gewalt an Schulen zu verhindern?

    Um Gewalt zu verhindern, versuchen nach Angaben von Sven Winkler vom Schulleitungsverband viele Schulen die Sozialarbeit auszubauen. Oft fehle es aber an Personal, Zeit und Geld. Oder Schulen setzen Sicherheitsdienste ein, wie eine Einrichtung in Bremerhaven. Die Jugendlichen schlugen Fenster ein, bedrohten und beleidigten Schüler und Lehrkräfte. Dort kamen fast täglich schulfremde Personen auf das Schulgelände. Sie beschädigten Türen, entriegelten Feuerlöscher und verstopften Toiletten. Mit den Wachleuten beruhigte sich die Lage wieder.
    „Wir sehen allgemein eine Verrohung des Miteinanders und der Umgangsformen“, sagt Tomi Neckov, stellvertretender Bundesvorsitzender des VBE. „Ebenso sehen wir den zunehmenden Rechtsruck und die damit verbundene Gewalt als eine zunehmende Gefahr für unsere Demokratie. All diese gefährlichen Entwicklungen müssen wir in einem gesamtgesellschaftlichen Kraftakt anpacken, anstatt nur auf die Schulen zu zeigen.“  
    Er kritisiert die Politik für ihre mangelnde Initiative gegen Gewalt gegen Lehrkräfte, sie müsse für Sicherheit an Schulen sorgen, etwa mit einem Amokalarm. Gewaltvorfälle an Schulen sollten bundesweit erfasst werden. „Es kann nicht sein, dass 34 beziehungsweise 30 Prozent der Schulleitungen in unserer letzten Umfrage angaben, dass das Schulministerium oder die Schulverwaltung sich des Themas nicht ausreichend annehmen würden und 19 Prozent zurückmeldeten, dass die Meldung von Gewaltvorfällen von den Schulbehörden nicht gewünscht sei.“

    Welche Präventionsprogramme gibt es bereits?

    In mehreren Bundesländern gibt es seit Jahren verschiedene Ansätze, Gewalt von Kindern und Jugendlichen in Schulen zu verhindern. Weit verbreitet ist das Präventionsprogramm PIT (Prävention im Team). Ursprünglich wurde es in Schleswig-Holstein entwickelt, mittlerweile gibt es das auch in Bayern, Hessen, Rheinland-Pfalz und Sachsen. Darin geht es nicht nur um gewaltfreie Konfliktlösung, sondern auch um Themen wie Sucht, Sexualität, riskanten Medienkonsum und Lebenskompetenztraining.
    In Nordrhein-Westfalen wurde 2022 das Präventionsnetzwerk #sicherimDienst gegründet, das Lehrkräften Informationen und Beratung, Austauschmöglichkeiten und Schulungen anbietet. Dazu gibt es einen Präventionsleitfaden mit konkreten Handlungsempfehlungen.
    Auch ergreifen Schulen eigene Initiativen, wie etwa die Gesamtschule Uellendahl-Katernberg Wuppertal. Dort gibt es ein Programm mit dem Namen „FLAIR“. Das steht für: freundlich, leise, aufmerksam, respektvoll und fair. Es handelt sich um ein Training für einen guten Umgang im Klassenverband. Schüler sollen darin soziales Miteinander und gegenseitigen Respekt lernen. An der Schule gibt es auch Elterncafé-Angebote, um die Zusammenarbeit mit den Eltern besser auszubauen.
    leg, dpa