Ein Vereinsraum in Berlin Neukölln. Um einen großen Tisch verteilt sitzen etwa 20 Männer, trinken Tee aus schmalen türkischen Gläsern und reden. Wie jeden Montagabend trifft sich beim Verein „Aufbruch Neukölln“ die Väter- und Männergruppe. Thema des Abends: Die Krawalle in der Silvesternacht. Kazim Erdogan leitet die Gruppe. „Was haben wir gedacht, wie planen wir das kommende Silvester damit und was können wir dagegen tun – Prävention, so.“
Die Männer sind zwischen Mitte 30 und 80 Jahre alt. Das Gespräch wechselt immer wieder zwischen türkisch und deutsch. Alle hier am Tisch haben einen türkischen Migrationshintergrund, die Ältesten sind in den 70ern als Gastarbeiter nach Deutschland gekommen, die Jüngeren hier geboren und aufgewachsen. „Mehmet bitte. Als ich in der Silvesternacht das gesehen habe, habe ich mich sehr geschämt. Ich denke, die Jugendlichen sind nicht gebildet und haben das gemacht, weil alle sich zusammengeschlossen haben und sie sich stark gefühlt haben.“
Die Männer sind zwischen Mitte 30 und 80 Jahre alt. Das Gespräch wechselt immer wieder zwischen türkisch und deutsch. Alle hier am Tisch haben einen türkischen Migrationshintergrund, die Ältesten sind in den 70ern als Gastarbeiter nach Deutschland gekommen, die Jüngeren hier geboren und aufgewachsen. „Mehmet bitte. Als ich in der Silvesternacht das gesehen habe, habe ich mich sehr geschämt. Ich denke, die Jugendlichen sind nicht gebildet und haben das gemacht, weil alle sich zusammengeschlossen haben und sie sich stark gefühlt haben.“
Dass an Silvester Jugendliche vor allem in Neukölln, aber auch anderen Berliner Bezirken Polizei- und Rettungskräfte angegriffen haben, Autos und einen Reisebus in Brand gesetzt haben, ärgert die Männer hier maßlos. Die Krawalle würden nicht nur ein schlechtes Licht auf ihren Kiez werfen, sagt Mehmet Sipek. Er ist selbst Vater von drei jugendlichen Söhnen: „Ich habe auch Angst, dass auch andere Menschen mit Migrationshintergrund über einen Kamm geschert werden.“
Die Männer diskutieren an diesem Abend darüber, inwieweit autoritäre Erziehung, patriarchalische Rollenmuster, Grund und Auslöser sind für das, was an Silvester in Berlin passiert ist: „Ich bin der Meinung, dass es auf jeden Fall damit zu tun hat, weil diese Aggression, die diese Jugendlichen auf die Sicherheitskräfte gerichtet haben, entsteht meiner Meinung nach aus der Aggression, die sie eigentlich gegenüber einer anderen Autorität in der Familie entwickelt haben und zwar gegen den Vater.“
Erziehungsmethoden auf dem Prüfstand
Berkai Cinoglu ist Teil der Männerrunde und arbeitet selbst in der Jugendhilfe in Neukölln. Er kennt einige der jungen Männer, die am Silvesterabend Böller auf Menschen und Autos geworfen haben sollen: „Wenn ein Jugendlicher, ein junger Mensch, ein Kind vom Vater Gewalt erfährt, aber sich nicht verteidigen kann, weil er sonst noch mehr Gewalt erfahren würde oder von der elterlichen Wohnung verdrängt würde, dann entwickelt sich diese Aggression im Laufe der Zeit und wird sich auf eine andere Autoritätsfigur richten. Also da ist eigentlich keine Verachtung oder Aggression gegenüber dem Staat, sondern ursprünglich eine Aggression gegen die gewalttätige, handgreifliche Autoritätsfigur in der Familie.“
Mehr Männer in ein gewaltfreies Leben führen, das hat sich die Väter- und Männergruppe hier im Verein Aufbruch Neukölln grundsätzlich zum Ziel gesetzt, erzählt Gruppenleiter Kazim Erdogan. Sie sprechen regelmäßig über das Thema, nicht nur wegen der Silvesterkrawalle im Kiez: „Ich habe einmal in meiner türkischen Vätergruppe gefragt: 'Wer hat in seiner Kindheit Gewalt erfahren?' 22 haben sich gemeldet, dann habe ich gefragt: 'Wer von euch setzt als Vater Gewalt ein?' Immerhin 17 Leute haben sich gemeldet. Wenn wir enttäuscht, gekränkt, verzweifelt sind, dann überschreiten wir die Grenze.“
Der Soziologe und Psychologe Kazim Erdogan hat den Verein ‚Aufbruch Neukölln‘ vor 30 Jahren gegründet. In Erdogans Gruppe reden die Männer offen über den Umgang mit Trennung und Scheidung, über Suchtprobleme. Sie reflektieren Erziehungsmethoden, vor allem aber das gewaltfreie Lösen von Problemen in der Familie. Schließlich gingen 99 Prozent der Gewalt von Männern aus, sagt Erdogan: „Männer, die eine Zuwanderungsgeschichte haben, wenn man denen keine Angebote macht, gruppenmäßige Angebote, sie gehen in Männercafés und betrinken sich und schmieden ihre meist negativen Pläne, oder aber sie gehen fünf Mal beten in die Moschee und Allah möge die Problem lösen. Beides führt zu keinem Erfolg: Deshalb müssen wir uns um diese Menschen kümmern, und denen Angebote machen.“
Erniedrigende Erziehung schafft Minderwertigkeitskomplexe
Patriarchale, autoritäre Strukturen, kommen keineswegs nur in konservativen muslimischen oder migrantischen Familien vor. Gewalt in der Erziehung, toxische Männlichkeit - all dies ist freilich auch in Familien ohne Migrationshintergrund ein Problem: „Wir dürfen das nicht ethnisieren, aber wir müssen das Kind beim Namen nennen: Wenn in manchen Familien das teuflische Viereck entstanden ist, dann wird Gewalt manchmal zunehmen: Was heißt das: fundamentalistische religiöse Einstellung, starker Nationalismus, tradierte Lebensart- und Weisen plus Druck der Familie, der Verwandtschaft, Druck von außen. Wenn diese vier Komponenten aufeinanderprallen, dann können sich die Menschen aus diesem Joch nicht befreien, dann setzten sie Gewalt ein.“
In seinen Gesprächsgruppen öffnen sich die Männer, weil eine familiäre Atmosphäre herrsche, erzählt Erdogan. „In der Familie fühlt man sich wohl, und wenn man sich wohl fühlt, dann kommt man jeden Montag hier her.“
In seinen Gesprächsgruppen öffnen sich die Männer, weil eine familiäre Atmosphäre herrsche, erzählt Erdogan. „In der Familie fühlt man sich wohl, und wenn man sich wohl fühlt, dann kommt man jeden Montag hier her.“
Der Psychologe Ahmad Mansour arbeitet auf einem ähnlichen Gebiet wie Kazim Erdogan. Auch er beschäftigt sich mit patriarchalischen Rollenmustern in migrantischen Familien. Vor allem mit den Folgen einer autoritären Erziehung: „Eine autoritäre Vaterfigur, die mit Erniedrigung arbeitet, mit Fertigmachen arbeitet, der Gewalt auch anwendet als legitimes Mittel, schafft keine selbstbewussten Menschen, sondern Menschen, die sich unterordnen, die in ihrer individuellen Entwicklung beeinträchtigt werden, Minderwertigkeitskomplexe entwickeln. Die zu kompensieren, bedeutet auf die Straße zu gehen und eine toxische Männlichkeit zu zeigen, um das Gefühl zu haben, ich bin nicht minderwertig, sondern ich habe was anzubieten.“
Psychologe: Gewalt bleibt nicht zu Hause
In patriarchalen Strukturen, wo Gewalt alltäglich sei, entstünde nicht die Möglichkeit, sich vom Elternhaus zu emanzipieren. Kinder hätten so auch nicht die Chance, gegen die eigenen Eltern zu rebellieren, sagt der Psychologe. „Was enorm gesund ist für Menschen mit 13, 14 Jahren, das ist nicht vorgesehen in patriarchalischen Strukturen. Wenn ich die Rebellion nicht Zuhause haben kann, muss ich sie woanders ausleben. Draußen, gegen andere Autoritäten.“
Ein weiter Punkt: Gewalt als Kommunikationsmittel bleibe nie zu Hause. Wenn Kinder zu Hause lernen, Probleme löse ich wie meine Eltern, indem ich schreie und Gewalt anwende, wenden sie das auch außerhalb des familiären Rahmens an, sagt Mansour. Und umgekehrt: „Wenn ich zu Hause aber lerne, deeskalierend zu arbeiten, wenn ich sehe, dass meine Eltern sich auch mal streiten, aber auf eine Weise, die liebevoll ist, wo sie Argumente austauschen, wo sie sich auch umarmen können, dann gehe ich nicht auf die Straße und greife Leute an, weil sie mich schief angeschaut haben.“
Mansour hat vor einigen Jahren eine Stiftung für Demokratieförderung und Extremismusprävention gegründet. Er arbeitet in unterschiedlichen Sozialarbeits-Projekten sowohl mit Lehrkräften, mit Eltern als auch mit Jugendlichen selbst. Unter anderem mit jugendlichen Straftätern mit migrantischem oder Fluchthintergrund. Bei seinen Workshops in Jugendgefängnissen ist die Auseinandersetzung mit den Vätern entscheidend, erzählt er. Er macht mit den Jugendlichen Rollenspiele. Immer gibt es dabei eine autoritäre Vaterfigur.
„Wenn wir fertig sind, dann haben wir viele junge Menschen, die sagen, großartig, ihr habt gerade meine Familie gespielt. Oder: So einen Vater hätte ich auch gern, dann wäre ich heute nicht im Gefängnis – obwohl die genauso einen Vater haben. Wir fangen an zu reflektieren, wir fangen an, diesem Vater eine Frage zu stellen, fangen an zu streiten, Denkanstöße zu geben. Irgendwann kommen die auf den Punkt zu sagen, ja eigentlich habt ihr ja recht. Vielleicht wäre ein anderer Vater besser.“ Also ein Vater, der seine Kinder fürsorglich, nicht autoritär erzieht.
„Wenn wir fertig sind, dann haben wir viele junge Menschen, die sagen, großartig, ihr habt gerade meine Familie gespielt. Oder: So einen Vater hätte ich auch gern, dann wäre ich heute nicht im Gefängnis – obwohl die genauso einen Vater haben. Wir fangen an zu reflektieren, wir fangen an, diesem Vater eine Frage zu stellen, fangen an zu streiten, Denkanstöße zu geben. Irgendwann kommen die auf den Punkt zu sagen, ja eigentlich habt ihr ja recht. Vielleicht wäre ein anderer Vater besser.“ Also ein Vater, der seine Kinder fürsorglich, nicht autoritär erzieht.
Den Eltern selbst, die ihre Kinder autoritär erziehen, macht Mansour keine allzu großen Vorwürfe. Sie seien oftmals mit der Erziehung ihrer Kinder überfordert, wüssten es nicht anders – oder wiederholten genau das, was sie bei ihren eigenen Eltern erfahren und erlebt haben: „Wenn ich psychologisch mit diesen Menschen arbeite und anfange, ihnen Zugang zu der Seele des Kindes zu ermöglichen, ihnen klarzumachen, was macht eigentlich Gewalt mit dem Kind, wenn es sowas sogar von den Menschen erfährt, die ihn schützen sollen, die er bedingungslos liebt, von denen er abhängig ist – dann habe ich öfter Eltern, die anfangen zu weinen. Weil ihnen klar wird, was das eigentlich mit dem Kind macht, und was das damals mit ihnen selbst als Kinder gemacht hat.“
Autoritäre Erziehung ist allerdings nur ein Erklärungsansatz für die Gewalt an Silvester. Alkohol, Staatsverachtung, schlechte Vorerfahrungen mit der Polizei oder Spaß an Gewalt sind andere. „Meinen Damen und Herren, wir müssen reden, das ist mehr als deutlich.“
Autoritäre Erziehung ist allerdings nur ein Erklärungsansatz für die Gewalt an Silvester. Alkohol, Staatsverachtung, schlechte Vorerfahrungen mit der Polizei oder Spaß an Gewalt sind andere. „Meinen Damen und Herren, wir müssen reden, das ist mehr als deutlich.“
Franziska Giffey: Keine Vorverurteilung aus der Berliner Politik
Es ist der 11. Januar, ein Mittwoch-Mittag. Berlins Regierende Bürgermeisterin Franziska Giffey hat zum Jugendgewaltgipfel ins Rote Rathaus geladen. Gut zwei Stunden lang hat sie mit Politikern aus den Bezirken, mit Sozialarbeiterinnen, und Vertretern von Polizei und Staatsanwaltschaft debattiert. „Dieser Gipfel ist der Beginn eines Arbeitsprozesses, ist der Beginn einer konzertierten Aktion gegen Jugendgewalt und für mehr Respekt in unserer Stadt. Darauf haben wir uns verständigt.“
Die SPD-Politikerin Giffey ist wegen der Wiederholungswahl in der heißen Phase des Wahlkampfs und präsentiert sich als Kümmerin nach den Krawallen an Silvester. Am Tag zuvor war CDU-Chef Friedrich Merz in einer Talkshow aufgetreten, sprach von Neuköllner Jugendlichen als „kleinen Paschas“, die man doch eigentlich abschieben solle. Giffey reagiert.
„Wir haben hier die Situation, in der Berliner Jugendliche, die hier geboren und aufgewachsen sind, die hier in Stadtteilen leben, wo es eine Häufung von sozialen Problemlagen gibt – wo auch schon deren Eltern hier geboren und aufgewachsen sind, wo Dinge schiefgelaufen sind. Viele von denen haben die deutsche Staatsangehörigkeit. Zu sagen, wer sich hier nicht dranhält, muss irgendwo anders hin, das ist zu simpel. Genauso wie es keine konstruktive Lösung ist, welche Vornamen hatten die denn alle. Das hilft null weiter.“
Die SPD-Politikerin Giffey ist wegen der Wiederholungswahl in der heißen Phase des Wahlkampfs und präsentiert sich als Kümmerin nach den Krawallen an Silvester. Am Tag zuvor war CDU-Chef Friedrich Merz in einer Talkshow aufgetreten, sprach von Neuköllner Jugendlichen als „kleinen Paschas“, die man doch eigentlich abschieben solle. Giffey reagiert.
„Wir haben hier die Situation, in der Berliner Jugendliche, die hier geboren und aufgewachsen sind, die hier in Stadtteilen leben, wo es eine Häufung von sozialen Problemlagen gibt – wo auch schon deren Eltern hier geboren und aufgewachsen sind, wo Dinge schiefgelaufen sind. Viele von denen haben die deutsche Staatsangehörigkeit. Zu sagen, wer sich hier nicht dranhält, muss irgendwo anders hin, das ist zu simpel. Genauso wie es keine konstruktive Lösung ist, welche Vornamen hatten die denn alle. Das hilft null weiter.“
Giffey will Jugendliche mit Migrationshintergrund aus Neukölln oder dem Wedding nicht vorverurteilen. Allein mit Einwanderung lasse sich die Gewalt in der Silvesternacht nicht erklären. Mit den Teilnehmerinnen und Teilnehmern hat Giffey nun einen Plan gegen Jugendgewalt erarbeitet hat – der Auftakt eines langen Prozesses. Ein zweistelliger Millionenbetrag soll dafür bereitgestellt werden, im März soll es einen Senatsbeschluss dazu geben: „Wir haben uns heute darauf verständigt, dass wir vier Arbeitsfelder bilden, in denen es jetzt weitergehen soll. Und dass wir zu diesen vier Arbeitsfeldern Maßnahmen entwickeln, die wir auch anschieben wollen und auch finanziell untersetzen.“
Vier-Punkte-Plan gegen Jugendgewalt
Der Senat will für diesen Vier-Punkte-Plan das Rad nicht neu erfinden. Stattdessen will man etwa die außerschulische Jugendsozialarbeit ausbauen. In der Stadt gibt es bereits zahlreiche Angebote, von Streetworkern bis hin zu mobilen Teams. Giffey zufolge will der Senat nun prüfen, welche Projekte in der Stadt noch weiter aufgestockt werden können. Ein weiterer Punkt: neue Orte für Jugendliche. Außerdem soll Strafverfolgung konsequenter erfolgen, Verfahren beschleunigt werden.
Ganz oben auf Giffeys Vier-Punkte-Liste stehen jedoch Elternarbeit und Sozialarbeit. Denn die Regierende Bürgermeisterin hat bei der Prävention von Jugendgewalt vor allem die familiäre Situation der Kinder und Jugendlichen im Blick. „Was können wir mehr tun im Bereich der Elternarbeit, was müssen wir mehr tun im Bereich der Schulsozialarbeit. Dort wo die Kinder und Jugendlichen einen Großteil ihres Tages verbringen, im Elternhaus, in der Schule.“
Im Ergebnis-Papier des Gipfels heißt es, dabei sei aktive und aufsuchende Elternarbeit ein wesentlicher Baustein für erfolgreiche Prävention. Zwar gibt es auch in diesem Bereich bereits viele Projekte wie etwa Stadtteilmütter, die Familien und Eltern ansprechen, oder etwa die Elternberatung der Berliner Polizei. Doch auch diese Angebote sollen geprüft und gegebenenfalls verbessert oder ausgebaut werden. „Wir können die Zustände nicht so lassen, wie wir sie in der Silvesternacht gesehen haben. Wir machen schon viel in Berlin, aber es braucht doch ein Mehr.“
Denn es geht nicht nur um die Silvesternacht: Im vergangenen Jahr hat die Jugendgewalt insgesamt zugenommen. Im Langzeitvergleich gab es laut der Berliner Polizei 2022 die höchste Belastung der letzten Jahre. Gegen etwa 370 Jugendliche wurde wegen Gewaltdelikten ermittelt, im Vorjahr waren es rund 230 Fälle.
Im Ergebnis-Papier des Gipfels heißt es, dabei sei aktive und aufsuchende Elternarbeit ein wesentlicher Baustein für erfolgreiche Prävention. Zwar gibt es auch in diesem Bereich bereits viele Projekte wie etwa Stadtteilmütter, die Familien und Eltern ansprechen, oder etwa die Elternberatung der Berliner Polizei. Doch auch diese Angebote sollen geprüft und gegebenenfalls verbessert oder ausgebaut werden. „Wir können die Zustände nicht so lassen, wie wir sie in der Silvesternacht gesehen haben. Wir machen schon viel in Berlin, aber es braucht doch ein Mehr.“
Denn es geht nicht nur um die Silvesternacht: Im vergangenen Jahr hat die Jugendgewalt insgesamt zugenommen. Im Langzeitvergleich gab es laut der Berliner Polizei 2022 die höchste Belastung der letzten Jahre. Gegen etwa 370 Jugendliche wurde wegen Gewaltdelikten ermittelt, im Vorjahr waren es rund 230 Fälle.
Jugendsozialarbeiterin: Projekte vor Ort ausbauen
Zu Gast im Qube – ein queerer Jugendclub in Berlin Neukölln. Während die Jugendlichen kickern und auf den Sofas chillen, hat Sozialarbeiterin Samira Bekkadour-Hotz Zeit für ein Gespräch. Die Sozialarbeiterin arbeitet seit sieben Jahren mit Jugendlichen in Neukölln. „Jugendliche, mit denen wir schon länger arbeiten, die waren halt größtenteils nicht beteiligt in der Silvesternacht. Weil die Rollenvorbilder haben, die lebensnah mit ihnen arbeiten und ihnen andere Wege zeigen, auch Wege zeigen, wie Männlichkeit gestaltet und gelesen werden kann, abseits des Mainstreams.“
Bekkadour-Hotz ist bei Outreach Berlin angestellt, eine Organisation, die mobile Jugendsozialarbeit in der ganzen Stadt anbietet. Sie kennt die Jugendlichen aus dem Kiez und ihre Probleme – auch jene, die in der Silvesternacht Krawall gemacht haben. Sie ist mit ihnen im Gespräch. „Ganz großes Thema derzeit: was für ein Bild wird gezeichnet von den Jugendlichen. Und da merkt man schon, dass die Jugendlichen sich alle erstens über einen Kamm geschert fühlen, ihnen nicht zugehört wird und immer so ein Bild von: die Gruppe, die jetzt für alles verantwortlich gemacht wird. Darum geht es so gerade – und das ist ein großes Problem.“
Was sowohl die Jugendlichen als auch Bekkadour-Hotz für problematisch halten: Patriarchalische Erziehungsmethoden würden in der aktuellen Debatte nur auf eine Gruppe bezogen: Menschen mit Migrationshintergrund islamischer Religionszugehörigkeit. „Wir haben Patriarchat und toxische Männlichkeit in allen Religionen vertreten und das wird von vielen Vätern vorgelebt und von einigen Frauen mitgetragen, weil diese Werte übernommen werden und nicht hinterfragt werden. Das ist ein gesamtgesellschaftliches, strukturelles Problem. Vor allem, was gemeinschaftlich angegangen werden muss. Ja, da hat Jugendsozialarbeit auf jeden Fall den Auftrag dies zu tun.“
Bekkadour-Hotz hält den Vier-Punkte-Plan des Senats grundsätzlich für richtig. Allerdings müsse in all die Projekte auch dauerhaft mehr Geld fließen, fordert sie. Und an manchen Orten brauche es überhaupt mal Sozialarbeit. „Wir sehen zum Beispiel: Wo waren die Eskalationen primär in Neukölln, in der High-Deck-Siedlung, da wohnen fast 7.000 Menschen und was haben wir da an Jugendsozialarbeit – fast nichts. Und das geht halt nicht. Man muss spezifischer in die Kieze in die Gebiete gucken und schauen, wie können wir das nachhaltiger gestalten. Und nicht projektgebunden, sondern regelfinanziert. Und dann kann man eine Beziehung zu den Jugendlichen aufbauen.“
Bekkadour-Hotz ist bei Outreach Berlin angestellt, eine Organisation, die mobile Jugendsozialarbeit in der ganzen Stadt anbietet. Sie kennt die Jugendlichen aus dem Kiez und ihre Probleme – auch jene, die in der Silvesternacht Krawall gemacht haben. Sie ist mit ihnen im Gespräch. „Ganz großes Thema derzeit: was für ein Bild wird gezeichnet von den Jugendlichen. Und da merkt man schon, dass die Jugendlichen sich alle erstens über einen Kamm geschert fühlen, ihnen nicht zugehört wird und immer so ein Bild von: die Gruppe, die jetzt für alles verantwortlich gemacht wird. Darum geht es so gerade – und das ist ein großes Problem.“
Was sowohl die Jugendlichen als auch Bekkadour-Hotz für problematisch halten: Patriarchalische Erziehungsmethoden würden in der aktuellen Debatte nur auf eine Gruppe bezogen: Menschen mit Migrationshintergrund islamischer Religionszugehörigkeit. „Wir haben Patriarchat und toxische Männlichkeit in allen Religionen vertreten und das wird von vielen Vätern vorgelebt und von einigen Frauen mitgetragen, weil diese Werte übernommen werden und nicht hinterfragt werden. Das ist ein gesamtgesellschaftliches, strukturelles Problem. Vor allem, was gemeinschaftlich angegangen werden muss. Ja, da hat Jugendsozialarbeit auf jeden Fall den Auftrag dies zu tun.“
Bekkadour-Hotz hält den Vier-Punkte-Plan des Senats grundsätzlich für richtig. Allerdings müsse in all die Projekte auch dauerhaft mehr Geld fließen, fordert sie. Und an manchen Orten brauche es überhaupt mal Sozialarbeit. „Wir sehen zum Beispiel: Wo waren die Eskalationen primär in Neukölln, in der High-Deck-Siedlung, da wohnen fast 7.000 Menschen und was haben wir da an Jugendsozialarbeit – fast nichts. Und das geht halt nicht. Man muss spezifischer in die Kieze in die Gebiete gucken und schauen, wie können wir das nachhaltiger gestalten. Und nicht projektgebunden, sondern regelfinanziert. Und dann kann man eine Beziehung zu den Jugendlichen aufbauen.“
Familienarbeit, Projekte, die sich gezielt an die Eltern richten – das funktioniere, so meint zumindest die Sozialarbeiterin Bekkadour-Hotz. Und das lässt sich für sie auch ganz konkret an der Silvesternacht festmachen. Direkt an die „High Deck Siedlung“, grenzt die „Weiße Siedlung“, ähnliche 70er-Jahre Architektur, ähnlich ausgeprägte Armut, ähnlich hoher Anteil von Familien türkischer oder arabischer Herkunft.
„Und da ist es nicht eskaliert. Warum? Wir haben einen Jugendclub dort, von Outreach, der macht seit Jahren in der ganzen Siedlung Sozialarbeit. Nicht nur Jugendsozialarbeit. Da geht’s auch darum, alleinerziehende Mütter zu unterstützen, bei Gewalterfahrung in der Familie zu helfen. Das ist so ein ganzes Gefüge von Sozialarbeit, Jugendsozialarbeit und Gesellschaft, das funktioniert und was über Jahre hinweg positive Effekt hat. Und so etwas müssen wir auch in anderen Kiezen aufbauen.“
Man müsse einfach dauerhaft vor Ort sein, sagt Bekkadour-Hotz. Auf diese Weise erreichen die Sozialarbeiter auch jene Eltern, die nicht proaktiv irgendwo hinfahren, um Workshops oder Vätergruppen zu besuchen. „Weil die Community eingebunden ist und weil es eine Stelle gibt, an die man sich wenden kann, wo man aber auch einfach nur chillen kann. Wo es einen Vater-Treff gibt, ein Mütter-Café. Da sind alle eingebunden und es gibt so eine Art soziale Kontrolle und die gibt es an manchen Orten nicht. Und da kann dann schnell mal was passieren, weil man sich unbeobachtet fühlt und anonym unterwegs ist.“
„Und da ist es nicht eskaliert. Warum? Wir haben einen Jugendclub dort, von Outreach, der macht seit Jahren in der ganzen Siedlung Sozialarbeit. Nicht nur Jugendsozialarbeit. Da geht’s auch darum, alleinerziehende Mütter zu unterstützen, bei Gewalterfahrung in der Familie zu helfen. Das ist so ein ganzes Gefüge von Sozialarbeit, Jugendsozialarbeit und Gesellschaft, das funktioniert und was über Jahre hinweg positive Effekt hat. Und so etwas müssen wir auch in anderen Kiezen aufbauen.“
Man müsse einfach dauerhaft vor Ort sein, sagt Bekkadour-Hotz. Auf diese Weise erreichen die Sozialarbeiter auch jene Eltern, die nicht proaktiv irgendwo hinfahren, um Workshops oder Vätergruppen zu besuchen. „Weil die Community eingebunden ist und weil es eine Stelle gibt, an die man sich wenden kann, wo man aber auch einfach nur chillen kann. Wo es einen Vater-Treff gibt, ein Mütter-Café. Da sind alle eingebunden und es gibt so eine Art soziale Kontrolle und die gibt es an manchen Orten nicht. Und da kann dann schnell mal was passieren, weil man sich unbeobachtet fühlt und anonym unterwegs ist.“
Mit Vätern und Müttern reden - ohne abzuwerten
Menschen aus der Community gezielt ansprechen, diesen Ansatz verfolgt auch Kazim Erdogan mit seiner Vätergruppe. Die Männer, die häufiger zu den Treffen kommen, fungieren als Multiplikatoren. Sie laden andere zur Vätergruppe ein, sprechen sie spontan an, in Wettbüros, Shisha-Bars oder arabisch-türkischen Männercafés, erzählt er.
„Überall, wo Männer und Väter sind, überall wo Menschen sich bewegen, sollten wir mal gucken und ohne Fragezeichen, Ausrufezeichen auf gleicher Augenhöhe in einer verständlichen Sprache mit den Menschen kommunizieren. Wie wir das hier im Verein machen, wir sitzen alle zusammen in einem Raum, alle sind gleich, wir unterhalten uns, ohne abzuwerten, ohne auszugrenzen – eine wahre familiäre Atmosphäre.“
Es ist kurz vor acht, knapp zwei Stunden lang haben die Väter geredet, über die Silvesternacht, die fehlenden väterlichen Vorbilder - das Geld vom Senat, das in all die Projekte gesteckt werden soll. „Das Geld alleine wird die Probleme nicht bewältigen, die Frage ist die, bin ich bereit zwei Stunden, drei Stunden in der Woche, mit zwei jungen Menschen zusammen zu kommen, dass ich sage komm, sei vernünftig.“
„Überall, wo Männer und Väter sind, überall wo Menschen sich bewegen, sollten wir mal gucken und ohne Fragezeichen, Ausrufezeichen auf gleicher Augenhöhe in einer verständlichen Sprache mit den Menschen kommunizieren. Wie wir das hier im Verein machen, wir sitzen alle zusammen in einem Raum, alle sind gleich, wir unterhalten uns, ohne abzuwerten, ohne auszugrenzen – eine wahre familiäre Atmosphäre.“
Es ist kurz vor acht, knapp zwei Stunden lang haben die Väter geredet, über die Silvesternacht, die fehlenden väterlichen Vorbilder - das Geld vom Senat, das in all die Projekte gesteckt werden soll. „Das Geld alleine wird die Probleme nicht bewältigen, die Frage ist die, bin ich bereit zwei Stunden, drei Stunden in der Woche, mit zwei jungen Menschen zusammen zu kommen, dass ich sage komm, sei vernünftig.“
Erdogan beendet den Abend – schickt seine Männer in die Nacht – wie ein Trainer seine Spieler auf den Platz. „Jeder kann was. Jeder. Glaubt an Eure Stärke. Wenn wir Neukölln mögen, können wir gemeinsam diesen Bezirk schöner machen.“