Die Vorfälle beim Niedersachsen-Derby in Hannover, als Fans unter anderem Leuchtraketen aufs Spielfeld schossen und Blockstürmen der Polizei in Frankfurt und St. Pauli haben das bereits angespannte Verhältnis zwischen Ultras und der Polizei weiter verschärft.
Oliver Wiebe vom Dachverband der Fanhilfen kritisiert im Sportgespräch die Polizei für eskalierende Einsätze, insbesondere seit dem Ende der Zugangsbeschränkungen durch die Corona-Pandemie. Fanhilfen stellen ehrenamtlich Fans an Spieltagen rechtliche Beratung zur Verfügung, die bei Konflikten mit der Polizei unterstützen und vermitteln soll.
"Wir haben schon 17 Fußballspiele gezählt, wo die Polizei aus unserer Sicht bewusst Einsätze eskaliert hat, Konflikte eskaliert hat und wo Kleinigkeiten zu Massenaktionen der Polizei gegen die Fans geführt haben." Der Dachverband der Fanhilfen fordert in diesem Zusammenhang unter anderem ein Verbot von Pfefferspray im Stadion. Wiebe sieht zudem die Gefahr, dass die Polizei Fans als Spielball für die bevorstehende Fußball-Europameisterschaft im eigenen Land benutzt.
Polizeigewerkschaft: Gewalt nimmt zu
Jochen Kopelke von der Polizeigewerkschaft betont hingegen die Notwendigkeit der Polizeieinsätze, besonders bei Hochrisikospielen. Er sieht die Ursachen für die Unruhe vor allem bei den organisierten Strukturen der Fans. "Im Moment nehmen wir als Gewerkschaft der Polizei an mehreren Orten in der Bundesrepublik wahr, dass wir Unruhe im Fußballeinsatz haben, dass die Gewalt zunimmt und wir mit immer mehr eingesetzten Polizistinnen und Polizisten diese Einsätze begleiten müssen."
Er berichtet unter anderem davon, dass Menschen ohne Ticket die Absperrung überspringen, um in der Masse der Stadionbesucher unterzugehen. Diese Personen seien schwer zu identifizieren, da sie mit Tricks wie Sturmhauben-Vermummung und Jackentausch arbeiten.
Den Vorwurf, die Bundesliga als Trainingsfeld für die EURO 2024 zu nutzen, weist Kopelke zurück. "Es gibt nicht das eine Konzept für die gesamte EM, sondern der Föderalismus erlaubt regionale Zuständigkeit. Der Kernaspekt der EM ist aber ganz anderer Art. Wir erleben, dass bei Europameisterschaften und Weltmeisterschaften ganz andere Zuschauer in den Stadien sitzen als im Alltagsgeschäft der ersten und zweiten Bundesliga."
Fanforscher: fehlende Selbstkritik auf beiden Seiten
Fanforscher Harald Lange hat ebenfalls eine "allgemeine Unruhe" beobachtet. Die Kommunikation zwischen organisierten Fans und Polizei sei verloren gegangen. Lange kritisiert, dass beide Seiten selbstkritischer sein sollten. Er weist zudem auf die unterschiedlichen Fan-Gruppierungen hin, darunter Ultras und Hooligans, und betont daher die Notwendigkeit einer differenzierten Betrachtung.
"Und deshalb würde ich ganz grundsätzlich infrage stellen wollen, ob ein quantitatives Vorgehen, also ein 'Mehr an Polizei', ein 'Härter der Polizei' - ob das die Lösung im aktuellen Konflikt sein kann? Ein differenzierteres, qualitatives Vorgehen, was auf Kommunikation und Differenzierung setzt, das ist der Schlüssel für die Lösung dieses Konflikts."