Kommentar
Verzögerungen beim Gewalthilfegesetz: Ein echtes Armutszeugnis

Im Bundestag wird über das Gewalthilfegesetz debattiert, aber ob es noch vor der Wahl verabschiedet wird, ist fraglich. Dabei wäre der bessere Schutz von Frauen dringend geboten - genauso wie eine breitere Debatte über die Ursachen der Gewalt.

Ein Kommentar von Katharina Peetz |
    Eine Mutter und ein Kind sitzen im Frauenhaus der Caritas in Bochum vor einem Fenster und blicken nach draußen.
    Es gibt viel zu wenig Plätze in Frauenhäusern in Deutschland - nach der Istanbul-Konvention müssten es dreimal so viele sein. (IMAGO / Funke / Lars Heidrich )
    Es ist ein Armutszeugnis, dass der bessere Schutz von Frauen und Mädchen vor Gewalt weiterhin auf der Kippe steht - und zwar nicht nur für die Ampel-Regierung beziehungsweise die verbliebenen Koalitionsparteien SPD und Grüne.
    Denn Gewalt gegen Frauen ist bei Weitem kein neues Phänomen. Auch wenn die offiziellen Zahlen zuletzt noch einmal gestiegen sind: 2023 sind 360 Frauen und Mädchen in Deutschland aufgrund ihres Geschlechts getötet worden. Mehr als 180.000 Frauen waren Opfer häuslicher Gewalt.
    Seit Jahren klagen Frauenhäuser über Überlastung und unsichere Finanzierung. Schon 2017, also noch unter einer unionsgeführten Bundesregierung, hat Deutschland die Istanbul-Konvention, das Übereinkommen des Europarats zum Schutz vor häuslicher Gewalt, ratifiziert. Und verfehlt seitdem deren Empfehlungen deutlich. In Deutschland gibt es aktuell rund 7000 Frauenhausplätze. Der Istanbul-Konvention zufolge bräuchte es aber dreimal so viele.
    Falls also der Rechtsanspruch auf Schutz und Hilfe, der Ausbau und die Finanzierung von Frauenhäusern mit Beteiligung des Bundes noch vor der Bundestagswahl beschlossen würden, wäre das mehr als überfällig. Falls nicht, müsste die neue Bundesregierung das unbedingt nachholen. Es ist nicht hinnehmbar, dass Mitarbeiterinnen in Frauenhäusern regelmäßig Frauen in Not wegen Platzmangels abweisen müssen. Es ist nicht hinnehmbar, dass Schutzsuchende teils bis zu hundert Euro pro Tag für ihre Unterkunft zahlen müssen.

    Debatte über strukturellen Gründe nötig

    Doch wie so oft kann ein Gesetz zum besseren Schutz von Opfern immer nur Symptome bekämpfen. Eine Debatte über die strukturellen Gründe für geschlechtsspezifische Gewalt findet bislang - wenn überhaupt - nur anlassbezogen oder in bestimmten Kreisen statt.
    Dabei belegen die Zahlen deutlich: Es handelt sich nicht um Einzelfälle. Und öffentlichkeitswirksame Vergewaltigungsprozesse wie der Fall von Gisèle Pelicot in Frankreich zeigen auch: Täter sind oft Männer aus der Mitte der Gesellschaft.

    Gewaltprävention wichtig

    Debattieren müsste man also darüber, warum offenbar Männer immer noch denken, dass sie Frauen besitzen können. Oder wie finanzielle und emotionale Abhängigkeiten dazu beitragen, dass Frauen sich nur schwer aus einer gewaltsamen Beziehung lösen können. Oder warum Gewalt für manche Männer der einzige Ausweg zu sein scheint - und wie bessere emotionale Kommunikation erlernt werden kann. Gewaltprävention ist ebenso wichtig wie akute Hilfe bei Gefahr.
    Das Gewalthilfegesetz ist deshalb ein notwendiger erster Schritt. Aber um nicht weiterhin jedes Jahr mit einer Mischung aus Entsetzen und Erstaunen vor den neuesten Zahlen zu geschlechtsspezifischer Gewalt zu sitzen, braucht es vor allem ein breiteres Problembewusstsein. Und Männer, die den Mund aufmachen, statt die Hand zu erheben.