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Gewalt gegen Frauen
"Sexualisierte Gewalt als Waffe"

Die Hilfsorganisation Medica Mondiale beklagt ein hohes Maß an sexualisierter Gewalt gegen Frauen in Kriegs- und Konfliktsituationen. Dies habe für Frauen massive soziale Auswirkungen, sagte die Vorsitzende der Organisation, Monika Hauser, im Deutschlandfunk.

Monika Hauser im Gespräch mit Christiane Kaess |
    Trägerin des alternativen Nobelpreises Monika Hauser bei der Sendung "Kölner Treff" (Foto vom 10.10.2008) in Köln.
    Monika Hauser sieht Gewalt gegen Frauen als Kriegsinstrument. (dpa / Horst Galuschka)
    Die Betroffenen seien etwa nach Vergewaltigungen schwer traumatisiert und würden in patriarchal geprägten Gesellschaften ausgegrenzt, sagte Hauser. "Wir sehen weltweit sexualisierte Gewalt, im Krieg und Frieden." Auch in hoch entwickelten Staaten gebe es sexualisierte Gewalt, das habe jüngst eine Studie der EU gezeigt.
    Hauser beklagte zudem, dass ihre Mitarbeiterinnen in Krisenländern wie dem Kongo eingeschüchtert werden sollen. Die Einschüchterungsversuche sind in den vergangenen Jahren schon sehr massiv geworden", sagte Hauser. Ihre Kolleginnen erhielten in manchen Regionen unter anderem bedrohende SMS. Auf der anderen Seite gebe es aber auch Unterstützung von Behörden. In Afghanistan habe sich ein Beamter im Justizministerium für Medica Mondiale eingesetzt, weil er verhindern wollte, dass irgendwann seinen eigenen Töchtern Leid angetan werde.
    Medica Mondiale arbeitet zum Beispiel in Ländern wie Liberia und Afghanistan, und zwar stets mit einheimischem Fachpersonal, das Sprache und Kultur kennt.

    Das vollständige Interview mit Monika Hauser:
    Christiane Kaess: Der Fall in Nigeria ist nur ein Beispiel für Gewalt, die in Krisen- und Kriegsgebieten oft in sexualisierte Gewalt umschlägt, und dann trifft sie in erster Linie Frauen und Mädchen. Die Organisation Medica Mondiale versucht, den Betroffenen in Kriegs- und Krisenregionen zu helfen, mit gesundheitlicher, psychosozialer und rechtlicher Beratung, außerdem mit Ausbildungsangeboten, um eine Basis für ein unabhängiges Leben zu schaffen. Kosovo, Afghanistan, Albanien oder Liberia gehören zu den Ländern mit Projekten vor Ort.
    Monika Hauser ist die Gründerin der Organisation Medica Mondiale. Sie ist mehrfach ausgezeichnet worden für ihr Engagement, unter anderem mit dem Alternativen Nobelpreis, und sie ist jetzt für uns am Telefon. Guten Morgen!
    Monika Hauser: Ja, guten Morgen.
    Kaess: Frau Hauser, wie sind Sie selbst zu diesem Thema gekommen?
    Hauser: Ja. Solange ich denken kann, waren frauenpolitische Themen für mich sehr, sehr wesentlich. Ich habe schon als sehr, sehr junge angehende Gynäkologin in allen Kliniken in Deutschland, wo ich gearbeitet habe, immer wieder festgestellt, dass das Thema sexualisierte Gewalt gegen Frauen ein sehr massives ist. Habe mich aber immer gewundert und war sehr irritiert darüber, dass meine männlichen und leider sehr oft auch weiblichen Kolleginnen und Kollegen dieses Thema überhaupt nicht gesehen haben. Und das hat mich natürlich sehr wütend gemacht, weil mir klar wurde, dass es da eine hohe Ignoranz, ein hohes Verleugnen auch in unserer Gesellschaft gibt, und erst sehr viel später habe ich verstanden, dass die Botschaft meiner Großmutter damals in Südtirol, dass sie selbst auch Gewalt erlebt hat, eine war, die letztendlich lebensprägend für mich war. Und dann war, diesen gynäkologischen Weg zu gehen, den frauenrechtlichen Weg, einen, mich als Feministin zu verstehen, Solidarität mit Frauen als mein Lebensmotto auch zu entwickeln. Das war dann der Weg, warum ich mich entschieden habe, 93 nach Bosnien zu gehen, um bosnische Frauen zu unterstützen.
    Kaess: Sie sind dann auf die Krisengebiete gestoßen?
    Hauser: Ja! Ich bin in erster Linie auf Bosnien gestoßen. Ich habe 92 die Berichterstattung zu Bosnien verfolgt, damals als junge Gynäkologin, die auch damals an einer Uniklinik in Deutschland sehr viel mit dem Thema Gewalt gegen Frauen zu tun hatte, und da war mir klar, dass ich mich angesichts der Lage in Bosnien dort einmischen möchte und etwas aufbauen will, was wirklich eine sinnvolle, hilfreiche Bedeutung für traumatisierte Frauen hat.
    Massenvergewaltigung als Kriegsmittel
    Kaess: Sie sind mittlerweile in verschiedenen Krisengebieten unterwegs gewesen. Kann man sagen, das sind die gleichen Schemata überall?
    Hauser: Ja wir müssen natürlich unterscheiden und mittlerweile ist da ja auch Gott sei Dank viel Forschung dazu erfolgt und Erklärungsversuche, warum solche extreme Gewalt gegen Frauen, und wir müssen natürlich unterscheiden zu unterschiedlichen Situationen. Es sind nicht immer alles die gleichen Beweggründe. Aber wir können schon auf jeden Fall sehen, dass im Kontext zu Konflikten, von kriegerischen Auseinandersetzungen, speziell auch von ethnischen Vertreibungen sexualisierte Gewalt, Massenvergewaltigungen an Frauen und Mädchen als eine Waffe, als ein Mittel eingesetzt wird und auf jeden Fall immer auch massive soziale Auswirkungen auf die Frauen hat. Die Gesellschaften sind danach andere. Mädchen und Frauen, die vergewaltigt wurden, können nicht mehr in das Leben zurückkehren, sie sind schwer traumatisiert, sie brauchen spezifische Unterstützung. Sie werden aber auch in ihren patriarchalen Gesellschaften ausgegrenzt, stigmatisiert. Das heißt, wir müssen immer auch auf die Individuen schauen, sie unterstützen, aber auch natürlich gesellschaftliche Aufklärung betreiben, dass die Gesellschaft versteht, dass sie mit die Tat der Täter sozusagen ausführt, wenn sie die Mädchen ausgrenzt und sie nicht in die Mitte ihrer Gesellschaft zurückholt.
    Kaess: Sie haben gerade von patriarchalischen Gesellschaften gesprochen. Würden Sie sagen, es gibt Regionen, die prädestiniert sind für diese Form von Gewalt?
    Hauser: Ich würde erst mal sagen, wir sehen weltweit sexualisierte Gewalt, sei es im Krieg, sei es aber auch im Frieden. Die EU-Studie zu Gewalt gegen Frauen, die vor kurzem ja vorgestellt wurde, hat ja deutlich gemacht, dass all unsere hochentwickelten europäischen Länder ein hohes Maß an Gewalt gegen Frauen aufzeigen. Es ist ein weltweites Problem. Wir alle leben in patriarchalischen Gesellschaften, da kann sich keine oder kaum eine ausnehmen. Aber natürlich: In Kriegs- und Konfliktsituationen wird diese extreme Form der Diskriminierung gegen Frauen, der Frauenverachtung noch mal in einer ganz anderen Weise betrieben, und das heißt, dass auch durch militärische Aktionen, durch Militär und Männlichkeitsmodelle, Männlichkeitsbilder per se Gewalt gegen Frauen gefördert wird.
    Mehrere Frauen stehen mit Sonnenschirmen in einem Dorf im Ostkongo. Sie wurden 2012 Opfer von Massenvergewaltigungen.
    Frauen und Vergewaltungsopfer in Luvungi, Ostkongo. (dpa / Yannick Tylle)
    Durch einheimisches Fachpersonal Zugang zu den Frauen finden
    Kaess: Frau Hauser, wie schwierig ist es in Ihrer Arbeit in den Krisenregionen, an die Frauen heranzukommen?
    Hauser: Von Anfang arbeiteten wir mit einheimischem Fachpersonal. Das ist für uns ganz ein klarer Ansatz. Wir unterstützen und bilden fort eben diese lokalen einheimischen Fachfrauen, die die Sprache der Frauen verstehen, die ihre Kultur verstehen, die wissen, warum es für Frauen in diesen Gesellschaften so schwierig ist, über dieses Thema zu sprechen, und haben je nach Kontext ganz eigene strategische Zugänge entwickelt, um Frauen die Möglichkeit zu bieten, zu unseren Angeboten zu kommen. Für uns, das haben wir erkannt, ist das Wichtigste, wirklich unsere einheimischen Kolleginnen darin zu stärken, dass sie diese schwierige Arbeit langfristig tun können, aber auch eigene Wege finden, auf die Frauen zuzugehen, und in Afghanistan sieht das natürlich anders aus als zum Beispiel in Liberia.
    Kaess: Sie haben gesagt, es ist schwierig für die betroffenen Frauen zu sprechen. Gibt es dennoch ein Bedürfnis zu sprechen?
    Hauser: Ja selbstverständlich gibt es dieses Bedürfnis. Schwer traumatisierte Frauen und Frauen, die solche Gewalt erlebt haben, die wissen, egal in welcher Gesellschaft sie leben, dass da zutiefst etwas falsch gelaufen ist, dass sie schwere Menschenrechtsverletzungen erlebt haben, selbst wenn sie diese Worte nicht dafür haben, und haben natürlich das Bedürfnis, sich anderen mitzuteilen. Aber je länger der Abstand zur Tat ist, desto mehr sind sie natürlich von ihrer eigenen Gesellschaft ausgegrenzt, desto chronischer wird auch das Traumata, desto schwieriger ist es, sie zu erreichen. Also es ist für uns wichtig, immer relativ schnell, nachdem es so einen sogenannten Frieden gibt und wir die Möglichkeit haben, die Frauen zu erreichen, mit solchen Angeboten auf Frauen zuzugehen.
    Sexualisierte Gewalt gegen Männer mehr in den Fokus nehmen
    Kaess: Es gibt auch männliche Opfer von sexualisierter Gewalt. Spielen die in Ihrer Arbeit eine Rolle?
    Hauser: Ja, das ist ein Thema, was zunehmend durch Dokumentationen auch untermauert wird, dass Männer auch Opfer von sexualisierter Gewalt werden. Das haben wir ja immer geahnt, aber es war ein noch größeres Tabuthema. Gott sei Dank fängt hier endlich mal auch ein Denken an, dass sozusagen Männer auch durch Männer vergewaltigt werden und natürlich auch vergewaltigbar sind. Das widerspricht ja komplett diesem männlichen Bild von allzeit stark, widerspricht auch diesem Bild, was das Militär und die Rebellengruppen vor Ort immer wieder aufbauen wollen, und wir vermuten auch, dass Männer so extreme Gewalt ausüben, um diese Verwundbarkeit von sich selber psychisch auch fernzuhalten. In unserer Arbeit spielt es insofern eine Rolle, als dass wir immer wieder internationale Organisationen auffordern, sich natürlich auch mit Angeboten an Männer zu richten, weil das sehr, sehr wichtig ist, denn schwer traumatisierte Männer verüben auch wieder Gewalt und dann werden erneut Frauen zu Opfern. Wir selber sind eine Frauenorganisation, sind ganz klar auf Seiten der Frauen, fördern aber, dass weltweit dieses Denken endlich kommt, dass auch verstanden wird, dass Männer vergewaltigt werden können und dass Männer spezifische Unterstützungsangebote natürlich auch brauchen.
    Immer wieder massive Einschüchterungsversuche
    Kaess: Noch kurz zum Schluss: Wie wird Ihre Arbeit generell in diesen Krisenländern aufgenommen? Wird auch versucht, Sie zu blockieren oder zu behindern?
    Hauser: Ja, das ist sehr unterschiedlich. In Afghanistan zum Beispiel denke ich an einen Mann im Justizministerium. Nachdem meine Kolleginnen vor Ort mit ihm darüber gesprochen haben, was denn mit seinen Töchtern ist, saß er weinend da und hat gesagt, ich werde eure Arbeit unterstützen, weil ich nicht möchte, dass in einigen Jahren meinen Töchtern so schreckliche Dinge passieren, und ich will, dass sie ein eigenes Leben führen können. Wir haben natürlich auch immer wieder in all diesen Gesellschaften verständnisvolle Männer, die genau wissen, um was es geht. Aber auf der anderen Seite haben wir natürlich auch sehr viel Abwehr, speziell wenn ich an Afghanistan denke. Die Kolleginnen werden über massive ekelhafte SMS eingeschüchtert, indem ihnen gesagt wird, wir wissen ganz genau, wo Du wohnst, und so weiter. Die Einschüchterungsversuche sind in den letzten Jahren schon sehr massiv geworden.
    Oder wenn wir in den Kongo schauen: Unsere Kolleginnen dort machen sehr mutige Arbeit, indem sie mit betroffenen Frauen zur Polizei gehen, weil die Frauen die Täter anzeigen wollen, und natürlich ist das nicht im Interesse der Täter und hier gibt es immer wieder Einschüchterungsversuche und da erhoffen wir uns natürlich eine ganz andere Unterstützung durch lokale Autoritäten, aber natürlich auch immer wieder durch internationale Politik, die ja mit ihren Lippenbekenntnissen doch sagt, dass sie Gewalt gegen Frauen weltweit eindämmen will, aber an Taten sehen wir leider sehr wenig.
    Kaess: ..., sagt Monika Hauser, Gründerin der Organisation Medica Mondiale, die sich gegen sexualisierte Gewalt einsetzt. Danke für das Gespräch.
    Hauser: Sehr gerne!
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.