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Gewalt gegen Frauen
Streit um die Istanbul-Konvention

Um Frauen vor Gewalt zu schützen, haben viele EU-Mitgliedstaaten die sogenannte Istanbul-Konvention des Europarates unterzeichnet. In Polen jedoch gibt es Überlegungen, aus diesem Abkommen wieder auszusteigen. Auch andere osteuropäische Staaten wehren sich gegen die Vereinbarung.

Von Peter Kapern |
Krakau: Demonstrierende gegen den Austritt Polens aus der Istanbul-Konvention
Krakau: Demonstrierende gegen den Austritt Polens aus der Istanbul-Konvention (picture alliance/ NurPhoto)
Wenn Marián Kuffa in seinen Predigten auf die Istanbul-Konvention zu sprechen kommt, dann packt der populäre slowakische Priester den ganz dicken, rhetorischen Hammer aus: Dieses Dokument sei wie ein trojanisches Pferd, das von Brüssel vor die Mauern der slowakischen Demokratie geschoben worden sei, sagt er dann zum Beispiel.
Das Ziel der Konvention sei es, so ereifert sich der katholische Priester dann weiter, "uns zu zerstören". Kuffa ist in der Slowakei für sein soziales Engagement genauso bekannt wie für seine aggressive Homophobie. Die in der Konvention verborgene Gender-Agenda, sagt er, die sei eine gegen die Menschen, die Familie, gegen Europa, die Welt und gegen Gott geworfene Granate.
Nicht alle kirchlichen Würdenträger in Osteuropa wüten derart gegen die Istanbul-Konvention wie Marian Kuffa. Aber vom Priester bis zum Erzbischof stemmen sie sich gegen dieses Dokument.
Verpflichtung, Frauen vor Gewalt zu schützen
Die Istanbul-Konvention wurde 2011 von 13 Mitgliedstaaten des Europarats angenommen. Nach und nach unterzeichneten alle Mitgliedstaaten das Papier, außer Russland und Aserbaidschan. Die Konvention verpflichtet die Unterzeichnerstaaten, durch Gesetze und politische Programme sicherzustellen, dass Frauen vor Gewalt geschützt werden und ganz allgemein häusliche Gewalt unterbunden wird. 34 der 46 Unterzeichnerstaaten haben die Konvention mittlerweile auch ratifiziert.
Nicht ratifiziert hingegen haben etliche osteuropäische Staaten. Und das vor allem wegen des Widerstands der katholischen Kirche, die gegen die Istanbul Konvention mobilmacht. Weil die angeblich eine verborgene Gender-Agenda verfolge, durch die das natürliche Verhältnis von Mann und Frau zerstört werden solle.
Erschütterung über Ausstiegspläne Polen
Dass ausgerechnet die polnische Regierung, die das Dokument bereits ratifiziert hatte, jetzt wieder aussteigen will, macht die grüne Europaabgeordnete Terry Reintke fassungslos: "Das ist Teil eines Angriffs auf Frauen- und Minderheitenrechte, der schon lange von der polnischen Regierung vorangetrieben wird."
Auf einem Mund klebt ein Kreuz. Im Gesicht sind aufgemalte Wunden zu sehen. Das Bild ist ein Symbolbild für die Folgen von Homophobie in Polen.
Polen: Angriff auf die Frauenrechte
Im rechten Regierungslager würde Kritik aus der EU "als erwartbare linke" Reaktion eher abgetan, erläutert Jan Pallokat im Dlf. Polens Justizminister gehe schon seit längerem gegen die Istanbuler Konvention vor.
Und genauso drastisch kommentiert die CDU-Europaabgeordnete Lena Düpont die Ankündigung aus Warschau: "Ich bin erschüttert, dass Polen sich aus der Istanbul-Konvention zurückziehen will. Frauenrechte haben dort in den letzten Jahren empfindliche Rückschläge erlitten, die wir auch mit großer Sorge verfolgt haben. Es ist ein weiterer Schritt. Mit dem wir Vertrauen in die Rechtsstaatlichkeit Polens verlieren."
EU soll als Organisation die Istanbuler Konvention ratifizieren
Nicht nur die EU-Mitgliedstaaten haben die Istanbul Konvention unterzeichnet. Sondern auch die EU selbst, als Organisation. Die Ratifizierung kommt aber nicht voran. Es gibt einen institutionellen Streit um das Verfahren. Der Rat beharrt darauf, dass Einstimmigkeit unter den Mitgliedstaaten notwendig sei. Womit eine Ratifizierung angesichts des Widerstands in Osteuropa unmöglich wäre.
Das Europaparlament hingegen glaubt, dass für eine Ratifizierung nur eine qualifizierte Mehrheit der Mitgliedsstaaten nötig sei. Um den Streit zu entscheiden, hat das Parlament 2019 beim Europäischen Gerichtshof eine Stellungnahme angefordert, die im nächsten Jahr vorliegen dürfte.
Internationaler Tag gegen Gewalt an Frauen am 25. November. Plakat in der Fußgängerzone Königstraße in Stuttgart weist darauf hin, dass an jedem dritten Tag in Deutschland eine Frau von ihrem (Ex-)Partner getötet wird.
Wenn das Geschlecht Gefahr bedeutet
Wenn Frauen ermordet werden, weil sie Frauen sind, heißt das Femizid. Gewalt gegen Frauen gehört in Deutschland und Europa zum traurigen Alltag. Häufig geht sie vom Partner oder von Familienangehörigen aus. Das hat auch mit der gesellschaftlichen Stellung von Frauen zu tun.
Schließen sich die Luxemburger Richter der Auffassung der Straßburger Abgeordneten an, dann könnte die Istanbul-Konvention auf dem Umweg über Brüssel auch für jene EU-Mitgliedstaaten rechtsverbindlich werden, die sich einer Ratifikation verweigern.
Die EU dürfe nach der Ankündigung Warschaus, aus dem internationalen Abkommen wieder auszusteigen, aber jetzt nicht einfach abwarten, wie der EuGH entscheidet, meint Terry Reintke: "Die Angriffe auf Frauenrechte müssen endlich Teil des Artikel-7-Verfahrens gegen Polen werden. Wir brauen mehr Unterstützung für feministische und Frauenrechts-Organisationen in Polen."
Weil sonst die Erosion des polnischen Rechtsstaates immer weiter fortgesetzt würde.