Abstiegsduell der Kölner Kreisliga B, Staffel Zwei: Am letzten Spieltag vor der Winterpause empfängt Köln Mülheim Nord den Gegner Leverkusen Bergfried. Beide müssen punkten. Bei solchen Spielen kochen Emotionen gern hoch - wegen vermeintlicher Fehlentscheidungen, weiß Schiedsrichter Tim Türk. Der 33-Jährige Sozialarbeiter sitzt kurz vor Anpfiff in einer kleinen Eckkabine neben den Mannschaftsumkleiden und checkt die Spielerpässe.
"Das Schlimmste, was mir bisher passiert ist, ist dass ein Spieler mir wirklich an die Wäsche wollte und nur von seinen Mannschaftskameraden zurückgehalten werden konnte. Im Anschluss war es natürlich eine sehr schwere Entscheidung für mich: mach ich weiter, hör ich auf. Ich hab lange darüber nachgedacht und mir im Anschluss auch erst einmal eine kleine Pause genommen."
DFB spielt Problem herunter
Nun pfeift er wieder. Denn die positiven Erfahrungen würden überwiegen. Darauf beruft sich auch immer wieder der Deutsche Fußball-Bund: Laut dessen Lagebericht vom Juli 2019 sei die Zahl der Gewalttaten gegen Schiedsrichter im Amateurbereich nahezu konstant niedrig geblieben. 2906 Fälle bei 1,3 Millionen erfassten Amateurspielen. Für den DFB Ausnahmen. Dagegen nennt das Schiedsrichterfachmann Alexander Feuerherdt ein Alarmzeichen:
"Selbst wenn das prozentual nur ein geringer Anteil ist, dann ist es aber doch so, dass 2906 Schiedsrichter attackiert worden sind. Das beschreibt natürlich einen dramatischen Zustand. Viele Schiedsrichter spiegeln wider, dass es vielleicht nicht unbedingt mehr geworden ist, aber, dass es intensiver geworden ist. Dass die Vorfälle heftiger geworden sind."
"Selbst wenn das prozentual nur ein geringer Anteil ist, dann ist es aber doch so, dass 2906 Schiedsrichter attackiert worden sind. Das beschreibt natürlich einen dramatischen Zustand. Viele Schiedsrichter spiegeln wider, dass es vielleicht nicht unbedingt mehr geworden ist, aber, dass es intensiver geworden ist. Dass die Vorfälle heftiger geworden sind."
Heftig genug, dass Amateur-Schiedsrichter in Streik getreten sind – seit September dieses Jahres allein im Saarland, in Berlin und in Köln. Szenen wie diese gingen durchs Netz: Anfang November wird in Köln ein Schiedsrichter über den Platz gejagt und getreten, in Duisburg ein anderer kurz zuvor krankenhausreif geprügelt, in Münster filmt ein Zuschauer, wie ein Schiri bewusstlos geschlagen wird.
"Umsetzung muss dann auf Landesverbandsebene erfolgen"
Ausnahmen also? Bei ihrer Tagung Anfang Dezember zeigen sich die Innenminister der Länder so besorgt, dass sie für 2020 ein eigenes bundesweites Lagebild in Auftrag geben. Am gleichen Tag veröffentlicht der DFB eine Pressemitteilung, in der es heißt: "Die Landesverbände [streben] eine Ausweitung ihrer Schulungsmaßnahmen für die Schiedsrichter und Schiedsrichterinnen in Form eines Deeskalationstrainings an. Bereits vorhandene Angebote des DFB und seiner Landesverbände sollen gebündelt, bekannter und leichter zugänglich gemacht werden."
Schriftliche Nachfragen beantwortet der DFB zu diesem Zeitpunkt nicht. Einen Monat zuvor, nach einer Schiedsrichter-Attacke, hatte DFB-Vize Ronny Zimmermann im Deutschlandfunk-Interview gesagt, man könne wenig tun: "Da stoßen wir eben an die Grenzen des Föderalismus. Der DFB kann in seiner Rolle als Dachverband den einzelnen Landesverbänden lediglich Vorschläge unterbreiten und die Umsetzung muss dann auf Landesverbandsebene erfolgen. Das passiert auch, aber in - glaub' ich - völlig unterschiedlicher Dimension."
Empört reagiert der Hobby-Schiedsrichter Tim Türk in der Halbzeitpause beim Spiel Köln-Mülheim gegen Leverkusen Bergfried:
"Der DFB möchte, dass jeder was tut, also die Politik, die Polizei, die Vereine. Jeder außer der DFB selbst. Die Verantwortung wird weitergeschoben, und keiner weiß, was wirklich zu tun ist. Wir haben alle einen DFB-Schiedsrichterausweis, aber das scheint nichts zu bedeuten."
"Der DFB möchte, dass jeder was tut, also die Politik, die Polizei, die Vereine. Jeder außer der DFB selbst. Die Verantwortung wird weitergeschoben, und keiner weiß, was wirklich zu tun ist. Wir haben alle einen DFB-Schiedsrichterausweis, aber das scheint nichts zu bedeuten."
In seinem Fußballkreis in Köln diskutieren sie seit den Attacken Anfang November viel über besseren Schutz der Schiedsrichter. Experte Alexander Feuerherdt ist hier auch Lehrwart. Manch gestandener Unparteiischer wolle sich nicht mehr antun, sich jedes Wochenende beschimpfen und beleidigen zu lassen: "Sie kommen am Sportplatz an und haben nicht das Gefühl, wir sind Sportler wie jeder andere auch, sondern höchstens geduldetes Übel. Da muss sich ganz dringend was ändern. Da ist zu wenig getan worden, auch von unserer Seite."
Modellprojekt in Essen als mögliche Problemlösung
Was getan werden könnte, lässt sich an einem Modellprojekt in Essen beobachten. Sportwissenschaftler Ulf Gebken hat von 2015 bis 2018 sieben Problemvereine betreut. Die Zahl der Spielabbrüche ist dadurch deutlich gesunken. Er rät: "Erstens, die Probleme selber lösen, nicht warten, dass der DFB was tut. Zweitens, mit den Vereinen reden und drittens, Übungsleiter qualifizieren. Nicht Menschen an der Seitenlinie, die keine Ahnung haben."
Außerdem passiere bei der Anwesenheit von einem Spielbeobachter deutlich weniger. Und: "Die meisten Konflikte sind von außen geschürt worden. Zuschauer rufen rein und provozieren 19-Jährige. Das heißt auch, dass man Zuschauer ausschließt."
Abpfiff im verregneten Kreisliga-Kellerduell zwischen Köln-Mülheim-Nord und Leverkusen Bergfried. Schiedsrichter Tim Türk freut sich, denn er hatte keine Probleme: "Was Spaß macht ist, dass der Platz voller Matsch ist und ich auch, das gehört irgendwie dazu. Und ich wünsche mir, dass das Miteinander von Spielern, Vereinen, Zuschauern und Schiedsrichtern wieder total entspannt wird, wie das früher mal der Fall war." Damit das Hobby Fußball weiterhin allen Spaß macht - Spielern, als auch Schiedsrichtern.