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Gewalt gegen Journalistinnen in Belarus
"Sie schlug mich auf den Rücken und mit dem Knie in den Bauch"

Seit der mutmaßlich manipulierten Wahl im Sommer dauern in Belarus die Proteste gegen Machthaber Lukaschenko an. Die Situation für unabhängige Medien hat sich seitdem noch weiter verschärft. Journalistinnen und Journalisten berichten von körperlicher Gewalt gegen sich und von anderen Misshandlungen.

Von Inga Lizengevic |
Mehrere Demonstrantinnen und Demonstranten, eine Frau hält ein Schilder in die Höhe, auf dem steht: "Gebt Journalisten Freiheit"
"Gebt Journalisten Freiheit" fordern die Demonstrantinnen und Demonstranten von Belarus - hier bei Protesten Anfang September (Sputnik)
Zwölfte Etage eines Hotels in Warschau. Hier hat sich der oppositionelle Belarussische Koordinierungsrat eingemietet. Er will gerade eine Ansprache an die Menschen in der Heimat schicken. In der Bildgestaltung hilft Tatiana Borodkina. Noch bis vor Kurzem hatte sie eine eigene Koch-Show im Vormittagsprogramm des belarussischen Staatsfernsehens: "Ich wusste ganz genau, was man sagen darf und was nicht. Alle arbeiten für den einen Zuschauer. Die Texte werden für ihn abgenommen, für den Präsidenten, den ehemaligen Präsidenten Alexander Lukashenko."
Tatiana war 16 Jahre lang für staatliche Medien tätig. In ihrer Kochshow trat sie gemeinsam mit ihren kleinen Töchtern auf – sie war die belarussische Supermom. Von politischen Inhalten hat sie sich stets ferngehalten. Doch im Vorfeld der Präsidentschaftswahl hat sich etwas an ihrer Haltung geändert. "Zwei Wochen vor der Wahl hat der Abteilungsleiter uns Moderatoren erklärt, was wir in den sozialen Netzwerken liken dürfen und was nicht. Dann kam es zu Gewalt. Die Menschen haben das kommentiert, auch Freunde von mir, die nichts mit dem Journalismus zu tun haben. Hätte ich das geliket, wäre das ein Kündigungsgrund gewesen. Moderatorenkollegen wurde gekündigt, weil sie sich privat gegen Gewalt geäußert haben. Offiziell hieß es ‚im gegenseitigen Einvernehmen‘."
Medien in Belarus und der Protest
Die Massenproteste kamen für das Regime offenbar so überraschend wie für die meisten Medien im Land. Nach und nach versucht Machthaber Lukaschenko nun aufzuholen. Doch die Staatsmedien haben es vor allem im Netz schwer.
Die ehemalige Star-Moderatorin flieht aus ihrer Heimat
Nach der Wahl konnte sich auch Tatiana nicht länger zurückhalten. Sie hat bei Facebook Stellung bezogen. "Ich habe geschrieben, dass ich nicht mehr mit meinen Kindern vorm Bildschirm lächeln kann. Ich habe geschrieben, dass ich die Wahlfälschung nicht hinnehmen kann, dass diese Wahl unsere Zukunft geraubt hat. Dass unseren Kindern die Zukunft geraubt wurde. Ich habe dazu aufgerufen, keine Angst zu haben."
Wie zu erwarten war, blieb Tatianas Post nicht folgenlos. Es gab Interviewanfragen von den unabhängigen Medien im Land, und auch von der BBC. Dann bekam sie Besuch. "Er kam reingerannt, und hat mich an die Wand gedrückt. Die Kinder waren dabei. Er hat mich angebrüllt: ‚Tanja, was machst du denn? Es ist doch schön, in unserem Land zu leben. Belarus ist ein tolles Land. Du hast doch alles. Denk nicht einmal daran, das Interview zu geben. Wenn du redest, war‘s das.‘ Dann hat er meine kleine Tochter auf den Arm genommen und gesagt ‚Hast du mich verstanden? Sonst kommt morgen jemand anders. Dein Haus könnte brennen, dein Auto auch. Man wird dir die Kinder wegnehmen, verstehst du?‘" Am nächsten Tag bekam auch Tatianas Mann Drohungen. Daraufhin floh die Familie über die Ukraine nach Polen.
Alltag für Journalisten der unabhängigen Medien
Was für die ehemalige Moderatorin des staatlichen Fernsehsenders neu war, ist für Journalisten der unabhängigen Medien in Belarus Alltag. Auch die TV-Journalistin und dreifache Mutter Aljona Dubovik hat Angst vor Gewalt gegen ihre Familie. Dubovik ist für den Exil-Sender Belsat-TV tätig. Sie hat bereits verschiedene Repressionen erlebt, zum Beispiel Geldstrafen.
"Bisher wurden gegen mich Geldstrafen in Höhe von 5000 belarussischen Rubeln verhängt, umgerechnet sind es das ca. 2500 US-Dollar. Für meine Arbeit, für meine Streams. Wenn man sieht, welcher Druck auf uns Journalisten ausgeübt wird, versteht man, dass wir es richtigmachen. Wenn unsere Arbeit die Machthaber nicht so treffen würde, würden sie nicht so einen Druck ausüben. Da sie uns festnehmen, schlagen, wegsperren, unsere Technik beschlagnahmen, machen wir wohl alles richtig."
Aljona Dubovik wurde seit Anfang Juni bereits dreimal in Belarus bei der Arbeit festgenommen, unter anderem weil sie Gewalttaten der Sicherheitskräfte dokumentiert hat. In der Haft wurde sie auch misshandelt. "Den ersten Schlag habe ich bekommen, als ich in die Zelle geführt wurde. Die Wärterin wollte, dass ich mich noch weiter runter beuge. Sie schlug mich auf den Rücken, und dann mit dem Knie in den Bauch. Sie meinte: ‚Runter, Schlampe!‘ In der Zelle verstand ich dann, dass mein Bauch sehr weh tut."
Am nächsten Tag wird Aljona noch mehrfach von der gleichen Person misshandelt. Nach der Haftentlassung muss sie ins Krankenhaus. "Die Diagnose lautete Blasen- und Unterleibsprellung. Ich habe sechs Tage in der Klinik verbracht."
Wo sich der Protest organisiert
Für unabhängige Medien ist es schwer, über die Gewalt gegen Demonstranten in Belarus zu berichten. Deshalb ist der Messengerdienst Telegram, sonst auch bekannt als digitale Heimat von Rechten, in den Fokus gerückt.
"Prügel, Misshandlungen und sogar Morde"
Auch der Journalist Ihar Karnei von Radio Free Europe wurde erst kürzlich aus der Haft entlassen. Auch er wurde während einer Kundgebung festgenommen. "Die Kameras der Journalisten halten die Gewalttaten der Sicherheitskräfte fest: brutale Prügel, Misshandlungen und sogar Morde. Die Sicherheitskräfte haben Angst vor diesen dokumentarischen Beweisen. So sind wir Journalisten zu ihren Feinden geworden, und die blauen Westen mit der Aufschrift Presse zu Zielscheiben."
Der Druck auf die Journalisten wird immer größer, aber Kollegen wie Ihar und Aljona lassen sich nicht unterkriegen. Aljona Dubovik: "Ich habe Angst. Ich lebe in ständiger Angst. Ich wollte schon alles hinzuschmeißen, nicht mehr arbeiten, das Land verlassen. Die Kinder wegbringen. Panik. Aber dann habe ich mir gesagt: du musst weitermachen. Das ist dein Job."