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Gewalt gegen Lehrer
"Wir wollen das Thema aus der Verbotszone holen"

Gewalt gegen Lehrkräfte nimmt zu - das ist das Ergebnis einer bundesweiten Befragung, die der Verband Bildung und Erziehung (VBE) in Auftrag gegeben hat. Dennoch werde das Thema noch viel zu oft tabuisiert, sagte VBE-Chef Udo Beckmann im DLF. "Es muss verstärkt Bestandteil der Lehreraus- und Fortbildung sein, wie man mit solchen Situationen umgeht."

Udo Beckmann im Gespräch mit Benedikt Schulze |
    Formeln stehen auf einer schlecht gewischten Tafel am 29.10.2012 in Berlin in einer Vorlesung "Mathematik für Chemiker" im Walter-Nernst-Haus auf dem Campus Adlershof der Humboldt-Universität.
    Gewalt gegen Lehrer sollte öffentlich thematisiert werden, fordert Udo Beckmann, der Bundesvorsitzende des Lehrer-Verbandes Bildung und Erziehung (VBE). (picture-allicance / dpa / Jens Kalaene)
    Benedikt Schulz: Gewalt in der Schule – das ist ein Reizthema, egal ob es sich um physische oder psychische Gewalt handelt. Wenn es aber um Gewalt geht, die sich gegen Lehrerinnen und Lehrer richtet, wird darüber bislang offenbar selten gesprochen.
    Das ist ein Ergebnis einer bundesweiten Befragung unter Lehrkräften, die der Verband Bildung und Erziehung in Auftrag gegeben hat. 57 Prozent der Befragten gaben an, es handele sich dabei um ein tabuisiertes Thema. Ein anderes Ergebnis: die Gewalt gegen Lehrkräfte nimmt zu. Fragen dazu an den Chef des Verbands Bildung und Erziehung, Udo Beckmann. Also die Gewalt nimmt zu, was heißt das konkret?
    Udo Beckmann: 59 Prozent der Lehrkräfte, die befragt worden sind, sagen, dass es an ihrer Schule in den letzten fünf Jahren Fälle gab, in denen beschimpft, bedroht, beleidigt, gemobbt oder belästigt wurde. Selbst von psychischer Gewalt betroffen war ein Viertel. 25 Prozent der Lehrkräfte berichten darüber, dass in den letzten Jahren Lehrkräfte körperlich angegriffen wurden.
    Selbsterfahrung mit körperlicher Misshandlung – zum Beispiel schlagen, schütteln, stoßen, treten, boxen, mit Gegenständen werfen – haben bundesweit sechs Prozent gemacht, und hier kann man nicht mehr von Einzelfällen sprechen. Wenn man das auf die Beschäftigtenzahl, auf die Lehrerzahl im Bundesgebiet hochrechnet, sind das 45.000 Fälle.
    "Lehrer wissen, dass sie nicht die nötige Unterstützung bekommen"
    Schulz: Haben Sie Erklärungen für so etwas?
    Beckmann: Wir haben eine Veränderung auch im Umgang mit Gewaltanwendung in der Gesellschaft insgesamt zu tun, und davon ist natürlich auch Schule nicht ausgenommen.
    Wir haben auf einer Tagung im Frühjahr diesen Jahres mit dem Deutschen Beamtenbund und mit dem Bundesinnenminister festgestellt, dass es in vielen Bereichen – in Bereichen der Polizei, in Bereichen der Arbeitsagenturen – eine deutliche Zunahme von Aggressivität gegenüber den Beschäftigten gibt, und es gab auf Nachfrage natürlich keine Zahlen für den Schulbereich. Das war dann Auslöser von uns, mal diese Zahlen zu erheben.
    Schulz: Jetzt haben Sie gesagt, dass Gewalt gegen Lehrerinnen und Lehrer offenbar ein Tabuthema ist. Warum ist das denn ein Tabuthema, warum wird da offenbar nicht gerne drüber gesprochen?
    Beckmann: Dies hat sicherlich unterschiedliche Gründe. Wir erfahren in unseren Beratungen, dass, wenn es solche Vorfälle gibt, sich Lehrkräfte an den Arbeitgeber beziehungsweise an den Dienstherren wenden, in der Regel versucht wird, dies kleinzureden.
    Das heißt, Lehrer wissen, dass sie nicht die nötige Unterstützung bekommen, die sie dann eigentlich brauchen, und von daher drückt man das Thema lieber weg, es sei denn, man hat die Möglichkeit zum Beispiel über eine Gewerkschaft Rechtsberatung zu bekommen, die einen dann unterstützt, aber Tatsache ist ja, diese Vorfälle passieren während des Dienstes, also ist es keine Privatangelegenheit, und von daher wollen wir dieses Thema auch aus der Verbotszone herausholen, damit Lehrkräfte sich trauen, es öffentlich zu thematisieren.
    Schulz: Wer sich in ein Klassenzimmer stellt als Lehrerin oder Lehrer, hat sich den Job ja bewusst ausgesucht. Müssen zukünftige Lehrer darüber aufgeklärt werden, wie – ich sage jetzt einfach mal – gefährlich ihr Job ist?
    Beckmann: Ich glaube, es muss vor allen Dingen verstärkt Bestandteil auch der Lehreraus- und fortbildung sein, wie man mit solchen Situationen umgeht, wie man selbst deeskalierend wirken kann, auch in schwierigen Situationen.
    Es gehört schon immer zum Erziehungsauftrag, natürlich auch mit schwierigen Schülerinnen und Schülern umzugehen, ihnen klare Strukturen und Regeln zu geben, aber wir reden ja hier über Vorfälle, die darüber hinaus gehen, die mit dem Alltäglichen, was ein Lehrer erlebt in dieser Hinsicht, nicht mehr zu beschreiben ist.
    "Die Lehrkraft sollte es auf jeden Fall nicht mit sich selbst ausmachen"
    Schulz: Bis es spezielle Fortbildungen für Lehrerinnen und Lehrer gibt, haben Sie einen Ratschlag, was kann eine Lehrerin, ein Lehrer konkret tun, wenn man ihm Gewalt verübt wird?
    Beckmann: Die Lehrkraft sollte es auf jeden Fall nicht mit sich selbst ausmachen, sie sollte zuallererst den Schulleiter ansprechen und auf die Schulaufsicht zugehen. Wenn es hier keine Unterstützung gibt, die Personalvertretung ansprechen, und man sollte vor allen Dingen organisiert sein, damit man Anspruch auf Rechtsberatung hat.
    Schulz: Die Gewalt gegen Lehrkräfte nimmt offenbar zu: Das ist das Ergebnis einer Befragung des Verbands Bildung und Erziehung. Dessen Chef, Udo Beckmann, hatte ich soeben am Telefon. Herzlichen Dank!
    Beckmann: Ich danke auch!
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.