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Gewalt gegen Repräsentanten des Staates
Bedroht, geschlagen und verhöhnt

Der Ton gegen Rettungskräfte, Polizisten und Lokalpolitiker wird rauer. Sie werden bedroht, verhöhnt oder gar angegriffen, obwohl sie eigentlich helfen wollen. Verbandsvertreter kritisieren, die Bürger hätten zu hohe Ansprüche an die staatlichen Repräsentanten. Aber es geht auch um einen grundsätzlichen Verlust an Respekt.

Von Catalina Schröder |
    Polizisten bewachen eine Gruppe festgesetzter junger Männer in Darmstadt.
    Beleidigungen, Hetze im Netz, Bedrohungen, Prügel- oder sogar Messerattacken: Polizisten, Rettungskräfte und Lokalpolitiker sind zunehmend Zielscheibe von Gewalt. (pa/dpa/Rumpenhorst)
    "Wir werden angegangen, weil wir zu langsam sind, weil wir zu spät kommen, auch wenn wir nur drei Minuten zum Einsatzort gebraucht haben - nachweislich."
    Werner Nölken arbeitet seit 38 Jahren bei der Hamburger Feuerwehr.
    "Auch, wenn wir nur drei Minuten zum Einsatzort gebraucht haben, nachweislich. Vor Ort werden wir bespuckt, bepöbelt. Es gab vor kurzer Zeit, gerade auch am vorletzten Wochenende, eine Bedrohung mit einer Schusswaffe. Wenn es auch nur eine Softair-Pistole war. Trotzdem ist das ein absolutes No Go und wir verurteilen das natürlich aufs Schärfste, solche Übergriffe, auch wenn bei uns viele Mitarbeiter gerade so im Bereich Kiez, Reeperbahn schon sagen: Das ist doch schon Alltag, wenn da einer, ich sage mal, "Arschloch" zu mir sagt, oder: "wo kommst Du Penner jetzt erst her"? Sowas wird schon als Normalität empfunden, da wird auch gar nichts mehr zu gesagt."
    "Draußen wird es rauer"
    Früher fuhr Werner Nölken selbst als Sanitäter Rettungswageneinsätze. Später bildete er Rettungsassistenten aus. Allein im letzten halben Jahr, sagt der heutige Feuerwehrsprecher, gab es zahlreiche Angriffe gegen Kollegen seiner Wache:
    "So aus dem Kopf heraus weiß ich, dass eine Notfallsanitäterin getreten wurde - in den Unterleib. Es ist ein Kollege mit einem Faustschlag im Gesicht getroffen worden. Ein Tritt vor die Brust und natürlich auch Bespucken und so weiter und so weiter. Es sind Fahrzeuge von uns beschädigt worden durch Fußtritte. Das sind auch Übergriffe, die einfach nicht nötig tun, und da stellen wir schon fest, dass das Ganze rauer wird draußen, wirklich rauer wird."
    Ein Rettungswagen mit Blaulicht in schneller Fahrt
    Rettungskräfte beklagen fehlenden Respekt. (PA/dpa/Marcel Kusch)
    Was Nölken mit "rauer" beschreibt, widerfährt heute immer mehr Menschen, die in Uniform oder qua Amt den Staat repräsentieren: Politikern, Notärzten, Feuerwehrleuten, Sanitätern und Polizisten – viele von ihnen werden immer wieder Opfer von Beleidigungen, Hetze im Netz, von Bedrohungen, Prügel- oder sogar Messerattacken. Dies geht auch aus den Kriminalstatistiken der Polizei und einer aktuellen Studie der Ruhr-Universität Bochum zum Thema Gewalt gegen Rettungskräfte hervor.
    Drei Beispiele von vielen
    Anfang Juni soll eine Gruppe von mehr als 100 Menschen auf einem Musikfestival in Darmstadt Polizisten angegriffen und sie mit Flaschen und Steinen beworfen haben. 15 Beamte wurden verletzt.
    Vor einigen Monaten beschädigte ein Mann in Berlin einen Rettungswagen, der ihm beim Ausparken im Weg stand, und bedrohte die Sanitäter, die gerade ein bewusstloses Kleinkind behandelten.
    Ende vergangenen Jahres griff ein Mann Andreas Hollstein, den Bürgermeister der nordrhein-westfälischen Kleinstadt Altena, in einem Dönerimbiss an und verletzte ihn mit einem Messer am Hals.
    Drei Beispiele, die nur eine kleine Auswahl dessen zeigen, was immer mehr Uniform- und Mandatsträger in ihrem Alltag erleben.
    Gerd Landsberg, Hauptgeschäftsführer des Deutschen Städte- und Gemeindebundes, hat eine Vermutung, warum derartige Übergriffe zugenommen haben:
    "Wir haben einen Verlust von Anerkennung. Dass das die sind, die sich für mich von morgens bis abends einsetzen, das wird in der Öffentlichkeit wenig kommuniziert, und das führt dann auch dazu, dass man eine Erwartungshaltung hat. Man sieht den Staat als Dienstleister. Der soll gefälligst dafür sorgen, dass es mir gut geht, möglichst besser, und das muss auch ganz schnell gehen. Und wenn das nicht so ist, dann werde ich eben wütend. Das ist eine Struktur, die wir leider haben."
    Der Verlust von Anerkennung, der Verlust von Respekt – das sind Stichworte, die in diesem Zusammenhang häufig fallen. Marco König vom Deutschen Berufsverband Rettungsdienst, beschreibt exemplarisch eine Gewissheit, die seiner Meinung nach früher für Uniform- und Mandatsträger galt – und die heute häufig nicht mehr zu existieren scheint:
    "Naja, wenn wir in der Rettungsdienstbekleidung da reinkommen, dann wird man uns schon nichts tun."
    Stattdessen…
    "… haben wir schon das Gefühl, dass der Respekt abnimmt. Wir sehen das auch im Straßenverkehr, wenn es darum geht, uns freien Weg zu verschaffen. Weil einige Verkehrsteilnehmer doch sehr rücksichtslos sind und die Sonderrechte so nicht wahrnehmen wollen, die das Rettungsdienstfahrzeug hat."
    Der Bürgermeister von Altena, Andreas Hollstein (CDU), gibt am Tag nach dem Messerangriff eine Pressekonferenz.
    Der Bürgermeister von Altena, Andreas Hollstein (CDU), wurde mit einem Messer angegriffen. (dpa / Oliver Berg)
    Der Bundesvorsitzende der Deutschen Polizeigewerkschaft, Rainer Wendt, beklagte in der Neuen Osnabrücker Zeitung im vergangenen Jahr sogar eine "Verachtung gegenüber öffentlich Beschäftigten insgesamt".
    Über die Gründe hinter dieser Verachtung, dem Verlust von Respekt und Anerkennung, lässt sich nur mutmaßen. Werner Nölken glaubt…
    "…dass eine Verrohung da ist, dass die Leute einfach viele Dinge von sich selber anders einstufen, auch mit andern Wertprofilen in vielen Dingen rumlaufen."
    Angriff auf das Amt oder die Person?
    Die Hemmschwelle scheint heute niedriger: Wem etwas nicht passt, der bringt seinen Unmut schneller zum Ausdruck. Durch Beleidigungen oder gar Gewalt. Überspitzt formuliert könnte man sagen, dass sich etwas verschoben hat. Vom Respekt vor dem Amt oder der Funktion und der oft schwierigen Arbeit, die damit verbunden ist, hin zu der Haltung: wenn Polizei, Feuerwehr, Politiker, Notärzte oder Rettungssanitäter nicht so handeln, wie es mir passt, bekommen sie meinen Unmut direkt zu spüren. Dabei – so der Eindruck vieler Betroffener - richtet sich ein Angriff selten gegen sie persönlich, sondern meist gegen das Amt oder die Funktion, die er oder sie ausüben.
    Neben diesem allgemeinen Verlust von Respekt und Anerkennung haben die betroffenen Berufsgruppen für sich noch individuelle Gründe für Hass, Hetze und Attacken ausgemacht. Gerd Landsberg vom Deutschen Städte- und Gemeindebund erklärt:
    "Die Bürger erwarten ja immer, dass irgendwelche Probleme ganz schnell gelöst werden, und das ist nicht immer ganz einfach. Wenn Sie in bestimmte Zeitungen schauen, haben Sie auch immer das Gefühl: Ja, warum machen die das denn nicht? In Wirklichkeit sind die Dinge sehr, sehr viel komplexer. Und das kann man nur verstehen, wenn man die Zusammenhänge versteht. Einfaches Beispiel: Ich bin hier in der Kommunalpolitik in Bonn, wir haben ja auch das Schadstoffproblem. Jetzt geht es um Elektrobusse. Da sagt mir ein Bürger: Ja, dann kauft die doch endlich, Geld habt ihr doch! Ja, die muss ich europaweit ausschreiben. Allein die Ausschreibung dauert ein halbes Jahr. Es gibt gar keinen deutschen Hersteller. Ja, wenn Sie das alles nicht wissen, dann fragen Sie sich natürlich: Ja, warum machen die das nicht mal einfach? Und deswegen gehört Politikunterricht viel mehr verstärkt auch in die Schulen, damit das Kinder schon lernen."
    Für Angriffe auf Rettungskräfte haben Forscher der Ruhr-Universität Bochum noch einen ganz anderen Grund ausgemacht:
    "Alkohol spielt tatsächlich bei der Entstehung von Gewalt im Einsatz eine nicht zu unterschätzende Rolle."
    …erklärt Marvin Weigert, der als Wissenschaftlicher Mitarbeiter am Institut für Kriminologie, Kriminalpolitik und Polizeiwissenschaft der Universität Bochum für die Befragung der Rettungskräfte zuständig war.
    "Also in den Fällen körperlicher Gewalt war es in unserer Erhebung zum Beispiel so, dass 55 Prozent der betroffenen Einsatzkräfte angegeben haben, dass der Täter alkoholisiert war."
    Noch einmal anders sieht es bei der Polizei aus. Dort hat man festgestellt, dass Angriffe auf die Beamten gerade bei Großeinsätzen wie Fußballspielen oder politischen Gipfeltreffen häufig eine Art Ersatzhandlung darstellen. Karsten Becker, früher selbst Polizist und heute polizeipolitischer Sprecher der SPD Niedersachsen, erklärt:
    "Da ist eine Entwicklung in den vergangenen Jahren, dass Polizei auf Grund effizienter, effektiver Einsatztaktiken immer wirkungsvoller dafür sorgt, dass das Objekt, das geschützt werden soll, auch tatsächlich geschützt ist. Und sofern es von Personen angegriffen werden soll, nicht angegriffen werden kann, weil sie gar nicht in die Nähe kommen. Und das führt dann häufig dazu, dass Polizei als – ich benutze mal den Begriff – Ersatzgegner wahrgenommen wird. Das ist natürlich völlig inakzeptabel, aber das ist sicherlich so eine Entwicklung, dass die Menschen ihr eigentliches Ziel nicht mehr erreichen und dann ihre Gewaltanwendung, ihre Gewaltfantasien gegen Polizisten wenden."
    Auch wenn gezielte Angriffe auf Uniform- und Mandatsträger trotz der gestiegenen Tendenz immer nur von einem kleinen Teil der Bevölkerung ausgehen, hat die Politik vor kurzem darauf reagiert: Im vergangenen Jahr hat der Bundestag Paragraph 113 des Strafgesetzbuches verschärft, der das Strafmaß im Fall von Widerstand gegen Vollstreckungsbeamte regelt: Ein Angriff auf einen Polizisten wird im Fall einer Verurteilung nun beispielsweise zwingend mit einer Freiheitsstrafe von mindestens drei Monaten geahndet, während früher auch eine Geldstrafe möglich war. Karsten Becker, der polizeipolitische Sprecher der SPD Niedersachsen, erklärt, wie es zu dieser Verschärfung des Gesetzes kam:
    "Das ist eine Diskussion, die aus den Berufsvertretungen der Polizei hervorgegangen ist, die gesagt haben: es reicht. Wir wollen unsere Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter schützen und suchen nach Möglichkeiten, wie das wirkungsvoll geschehen kann. Es kann nicht sein, dass Polizisten um ihre Gesundheit fürchten müssen, wenn sie sich um die Sicherheit der Bevölkerung kümmern."
    Die Parlamentarier debattieren im Plenum im Bundestag. Der Deutsche Bundestag berät in seiner Sitzung unter anderem über die Parteienfinanzierung.
    Der Bundestag hat die Gesetzeslage verschärft. (picture alliance/dpa - Michael Kappeler)
    Seit der Verschärfung des Gesetzes stehen zusätzlich auch die Mitarbeiter von Rettungsdiensten, Katastrophenschutz und Feuerwehr unter diesem Schutz. Eine Maßnahme, die auf dem Papier erst einmal gut aussieht. Doch Einsatzkräfte beklagen immer wieder, dass vielen Anzeigen erst gar nicht nachgegangen wird, wie Marco König vom Deutschen Berufsverband Rettungskräfte berichtet:
    "Es wurden eine Zeitlang vermehrt Strafanzeige gestellt. Inzwischen sind die meisten Kolleginnen und Kollegen müde geworden, die Strafanzeigen zu stellen, weil grundsätzlich die Staatsanwaltschaft nach kurzer Zeit die Ermittlungen wieder einstellt, weil kein öffentliches Interesse vorliegt. Und dann bekommen die Kolleginnen und Kollegen den Brief nach Hause und dann sagen sie einem: Naja, dann ist das jetzt nochmal so, als wenn diese Gewalt mir erfahren wird – also es ist eine Doppelbestrafung, und das macht uns große Sorge, und ich kann die Kolleginnen und Kollegen da gut verstehen, dass sie da müde werden."
    Selten Anzeige erstattet
    Denn wird der Anzeige gar nicht erst nachgegangen, helfen auch erhöhte Strafen nicht weiter. Dazu kommt, dass die Betroffenen die Anzeige meist in ihrer Freizeit erstatten müssen, weil während des Dienstes häufig gar keine Zeit dafür bleibt. Auch das empfinden viele als mangelnde Wertschätzung ihrer Arbeit. Karsten Becker von der SPD in Niedersachsen hält die Verschärfung des Gesetzes trotzdem nicht für vergebens:
    "Ich messe eigentlich der Debatte, die darüber geführt worden ist, ein größeres Maß an Einflussnahme auf die künftige Entwicklung zu, als dem bloßen Umstand, dass wir jetzt höhere Strafen haben. Weil sie einerseits deutlich macht, dass die Gesellschaft hinter den Menschen steht und dass die Politik hinter den Menschen steht, die sich für unsere Sicherheit einsetzen. Und ich glaube, dass auch die Debatte dafür sorgt, dass sich vielleicht auch Täter in ihrer langfristigen Auseinandersetzung mit der Thematik vielleicht doch stärker überlegen, ob sie in ihrem Handeln gegen Polizeibeamte oder Rettungskräfte vorgehen."
    Eine optimistische Sichtweise, die den Betroffenen bei einem konkreten Vorfall erstmal wenig bringen dürfte. Dabei gehen die Einsätze an vielen von ihnen nicht spurlos vorüber, wie Marvin Weigert durch seine Studie über Rettungskräfte für die Universität Bochum herausgefunden hat:
    "Bei körperlicher Gewalt war es so, dass etwa 40 Prozent der Betroffenen einen körperlichen Schaden davon getragen haben. Und im Rahmen von Freitextantworten wurde uns eben auch zum Beispiel mitgeteilt, dass man im Rahmen des Einsatzes seine Tätigkeit quasi durchgehend hinterfragt, ob jetzt gleich was passieren könnte , ob man selber vielleicht auch irgendwie was dazu beigetragen hat, oder was dazu beitragen könnte, dass die Situation eskaliert."
    Für die Politik gibt es diesbezüglich zwar keine Studie, aber auch Gerd Landsberg vom Deutschen Städte- und Gemeindebund beobachtet erste Veränderungen bei seinen Kollegen.
    "Es hat durchaus schon Fälle gegeben, wo Leute gesagt haben: Nee, also ich kandidiere jetzt nicht nochmal. Das Risiko – insbesondere auch für meine Familie – ist mir zu hoch. Es hat häufig auch psychische Folgen, dass die Leute nach einem erfolgten Angriff natürlich ängstlich werden. Es hat ja Rücktritte gegeben im Main-Kinzig-Kreis. Der damalige Landrat – Pieper hieß er – der ist aus diesem Grund nicht wieder angetreten, hat sich nicht nochmal aufstellen lassen und ist in Pension gegangen, also das gibt es schon."
    Stärker als andere Berufsgruppen werden Politiker häufig auch psychisch enorm unter Druck gesetzt: Beispielsweise durch Hassmails oder Hetze in den sozialen Netzwerken. Gerd Landsberg:
    "Früher haben die Leute gewütet am Stammtisch, naja, aber irgendwann war die Kneipe dann zu, dann sind sie nach Hause gegangen. Heute setzen sie sich vor den Computer und haben dann natürlich gleich eine Gemeinde von tausenden, teilweise von zehntausenden Leuten, und das verstärkt das ebenfalls, und da muss man klar gegen halten: konsequent anzeigen, konsequent verfolgen, eventuell auch Schwerpunktstaatsanwaltschaften bilden."
    Weil Anzeigen, Ermittlungen und gegebenenfalls ein Prozess mühsam und zeitaufwändig sind und längst nicht immer zum Erfolg führen, will man sich bei der Polizei nicht ausschließlich darauf verlassen. Stattdessen werden die Beamten seit einigen Jahren in so genannten De-Eskalationstrainings darin geschult, Konflikt-Situationen zu entschärfen, sodass es im besten Fall gar nicht zu einem Angriff kommt. Karsten Becker, polizeipolitischer Sprecher der SPD-Landtagsfraktion in Niedersachsen, erklärt, wie die Trainings funktionieren:
    "Das sind Rollentrainings, die auf einer Analyse von konkreten Fällen beruhen. Es gibt Phänomene, die führen zu konkreten Gewalttaten. Und es gibt ganz ähnliche, bei denen passiert nichts. Und die schaut man sich an, die hat sich die Polizei angeschaut, und versucht zu analysieren, ob durch unterschiedliches polizeiliches Vorgehen es in dem einen Fall zu einer Gewalteskalation gekommen ist und in einer anderen nicht. Und anhand einer solchen Analyse kann man lernen und das fließt in diese Rollenspiele ganz konkret ein."
    Wie viele Angriffe durch die De-Eskalationstrainings konkret verhindert werden, lässt sich natürlich nur schwer sagen.
    Und manchmal verändern sich auch die Rollen: Polizisten, die eigentlich Situationen entschärfen und für Recht und Ordnung sorgen sollen, werden zu Tätern. In den Medien ist dann die Rede von Polizeigewalt. Von Beamten, die Bürger ungerechtfertigt angreifen oder gar misshandeln. Die Deutsche Polizeigewerkschaft spricht in diesem Zusammenhang von Ausnahmen. Amnesty International beklagt hingegen strukturelle Polizeigewalt in Deutschland. Teil des Problems ist, dass es in solchen Fällen keine unabhängigen Ermittlungen gibt; stattdessen ermitteln Polizisten gegen ihre eigenen Kollegen. Im zuletzt zum Thema Polizeigewalt veröffentlichten Bericht schreibt Amnesty International:
    "Die Recherchen von Amnesty International haben ergeben, dass die Ermittlungsmethoden und -abläufe in Fällen mutmaßlicher polizeilicher Misshandlung beziehungsweise unverhältnismäßiger Gewaltanwendung bedauerlicherweise noch nicht den Grundsätzen entsprechen, die in den von Deutschland unterzeichneten Menschenrechtsabkommen verankert sind."
    Welche Rolle spielt Polizeigewalt?
    Karsten Becker von der SPD Niedersachsen weicht beim Thema Polizeigewalt aus:
    "Ich kenne nicht einen, nicht eine Polizistin, nicht einen Polizisten, der sich in irgendeiner Form darüber freut, im Laufe des Tages in eine gewalttätige Auseinandersetzung einbezogen zu werden. Das Gegenteil ist der Fall, das wünscht sich überhaupt keiner, jeder möchte friedlich seinen ganz normalen Dienstbetrieb und die Anliegen, die an ihn herangetragen werden, abarbeiten können."
    Marco König vom Deutschen Berufsverband Rettungsdienst gibt hingegen zu, dass auch Rettungskräfte nicht immer unschuldig sind, wenn eine Situation eskaliert:
    "Es ist so, dass wir auch sicherlich an uns arbeiten müssen. Wir können eben nicht mehr immer davon ausgehen, wenn wir in Rettungsdienstkleidung am Einsatzort erscheinen, dass wir immer auf positives Echo stoßen. Das sind ganz verschiedene Einsatzsituationen – zum Beispiel eben halt die alkoholisierten Personen, die unter Drogen stehen. Und wir müssen noch besser lernen, zu kommunizieren."
    Mit dem Schlagstock geht ein Polizist am 14.03.2015 in Wuppertal gegen Demonstranten vor.
    Mit dem Schlagstock geht ein Polizist in Wuppertal gegen Demonstranten vor. (Marius Becker, dpa picture-alliance)
    Auch bei der Behandlung von Menschen aus anderen Kulturen und Religionen, findet König, müssten Rettungskräfte noch viel sensibler werden. Häufig bewegen die Einsatzkräfte sich hier auf einem schmalen Grat: zwischen notwendiger medizinischer Behandlung und Rücksichtnahme auf kulturelle oder religiöse Regeln.
    "Auf der anderen Seite ist es natürlich auch so, wenn wir jetzt mit anderen Kulturen zu tun haben, dass wir das häufig nicht verstehen, weil wir dort einfach nicht die Kenntnisse haben. Und es ist einfach so, wenn wir zu einer Patientin kommen mit islamischem Glauben, dann ist es halt eine andere Untersuchung, andere körperliche Untersuchung, als wenn wir das bei einer Frau machen, die nicht den islamischen Glauben hat. Und da müssen wir Rücksicht drauf nehmen. Wir können nicht sagen: Naja, weil wir jetzt vom Rettungsdienst sind, haben wir alle Freiheiten und der Glaube wird zurückgestellt. Aber da gibt’s halt viele Situationen, wo wir das einfach vielleicht auch nicht wissen."
    Flächendeckende De-Eskalationstrainings wie bei der Polizei gibt es bei den Rettungskräften noch nicht.
    "Wir haben inzwischen ein neues Berufsbild, den Notfallsanitäter, eine dreijährige Ausbildung, wo wir jetzt erstmals in der Ausbildung auch Kommunikation haben mit 200 Stunden, wo wir auch uns ganz viel von versprechen, dass wir nämlich auch de-eskalierend einwirken können, dass wir früh Anzeichen wahrnehmen können: wann ist jemand so aggressiv, dass er uns gefährlich werden kann? Dass wir dann entsprechend auch den Rückzug antreten können."
    Eine Lösung für das Gewaltproblem hat bislang keine der betroffenen Berufsgruppen gefunden. De-Eskalationstrainings können Gewalt abmildern, doch den verloren gegangenen Respekt, den viele Uniform- und Mandatsträger beklagen, können sie nicht wieder herstellen. Werner Nölken von der Hamburger Feuerwehr findet, dass auch viele Medien ihren Anteil daran haben:
    "Es gibt Printmedien, da gibt es eine Telefonnummer, die rufe ich an und schicke denen meine gerade gemachten Bilder. Da gibt es auch noch Geld für. Damit provoziere ich natürlich auch die Menschen draußen, die möglichst heißesten Bilder zu machen, heißt in Form von Flamme und sonstigem. Jetzt hat jeder sein Handy, jeder dreht seinen Film. Auch diese ganze Gafferproblematik zählt für mich mit irgendwo in dieses Ganze hinein. Das gab es vor vier, fünf Jahren nicht."
    Und Gerd Landsberg vom Deutschen Städte- und Gemeindebund ergänzt:
    "Und wenn es eine Talkshow gibt und dann brüllen sich da Politiker an oder auch andere und dann geht einer raus – am nächsten Tag wird nicht über die Sache berichtet, nein, es wird über diesen Vorgang berichtet. Das schafft ein bestimmtes Umfeld, dass Leute glauben: Ja, das ist richtig so."