Es ist erstaunlich, was für eine Karriere der Begriff "Kreuzzug" in den vergangenen 900 Jahren gemacht hat. Seit Langem gehört er zum gängigen Wortschatz. Der frühere US-Präsident George W. Bush etwa rief nach dem 11. September 2001 den "Krieg gegen den Terror" aus und bezeichnete ihn als "Kreuzzug". Seine Wortwahl zeugt von wenig Geschichtswissen. Denn wer sich die Kriege der Kreuzritterarmeen genauer anschaut, wird schnell zweierlei feststellen: Erstens, dass die Kreuzzüge für die christlichen Europäer insgesamt ziemlich erfolglos verliefen; und zweitens, dass sie häufig in Gewaltexzesse gegen Andersgläubige ausarteten. Als Vorbild für heute taugen sie kaum.
Sehr genau beschreibt das der in London lehrende Historiker Jonathan Phillips in seinem Buch "Heiliger Krieg". Auf knapp 350 Seiten erzählt er von den vielen Versuchen der christlichen Armeen im Mittelalter, den Muslimen im Auftrag der katholischen Kirche das Heilige Land zu entreißen. Etliche Schlachten schlugen beide Seiten vom 11. bis zum 13. Jahrhundert – oft endeten sie im Blutbad. Als die Christen zum Abschluss des ersten Kreuzzuges 1099 Jerusalem einnahmen, verschonten sie nicht einmal muslimische Frauen und Kinder. Phillips lässt einen damaligen Chronisten die Gewalt beschreiben:
"Einige Heiden wurden gnädig enthauptet, andere von Pfeilen durchbohrt, die von den Türmen herabsausten, und wieder andere, die man lange gefoltert hatte, wurden von sengenden Flammen verbrannt. Stapel von Köpfen, Händen und Füßen lagen in den Häusern und auf den Straßen, und es trampelten die Männer und Ritter unablässig auf den Leichnamen herum."
Phillips erinnert eindringlich daran, wie sehr das Christentum im Mittelalter anfällig war für Gewalt im Namen Gottes. Unverkennbar sind Parallelen zur Gewalt, die extremistische Muslime heute mit dem Koran legitimieren wollen. Bei vielen Christen entluden sich damals nach langen Kriegen Frust und Rachegelüste. Vor allem aber ging es für sie um ihr eigenes Seelenheil, um ihre eigene Rettung. Wer sich im Kampf gegen die Ungläubigen bewährte, dem versprach die Kirche die Vergebung aller Sünden – eine Aussicht, die die Ritter in dieser religiös aufgeheizten Zeit noch mehr lockte als die Hoffnung auf eine ordentliche Beute. So wurden die Kreuzzüge zu einer Massenbewegung, der sich selbst Könige anschlossen.
"Aus heutiger, westlicher Sicht wird extremer religiöser Eifer häufig mit dem Fanatismus von Minderheiten gleichgesetzt, aber im Europa des Hochmittelalters wurde ein Kreuzzug als ein tugendhaftes und positives Unterfangen angesehen. Die damalige Gesellschaft war stark religiös geprägt, der Glaube setzte die Gebote und die Grenzen für so gut wie jeden Aspekt des alltäglichen Lebens, und die Anerkennung des göttlichen Willens sowie die Sorge um ein Leben nach dem Tod waren allgemein verbreitet. Der Kampf gegen die Feinde Gottes bot den Menschen einen Weg, den Qualen der Hölle zu entrinnen."
Phillips berichtet sehr lebendig aus der Vergangenheit. Für den historischen Laien ist seine Geschichte der Kreuzzüge so immer sehr nachvollziehbar und anschaulich – auch wenn sich manche Passagen allzu sehr lesen wie das Drehbuch für eine historische TV-Dokumentation. Zum Beispiel, wenn Phillips die Krönung von Fulko und Melisende beschreibt, die 1131 als Paar die Herrschaft des Königreiches Jerusalem übernahmen:
"Sie trugen besondere Festkleider, wunderschön bestickte Dalmatiken – Obergewänder mit weiten Ärmeln, die an beiden Seiten offen waren – und Stolen. Fulko und Melisende bestiegen ihre eigens für den Anlass herausgeputzten Pferde, und der Schatzmeister wies dem königlichen Schwert den Weg."
Überhaupt hat der Historiker ein Buch für ein breites Publikum geschrieben: Ihn interessieren vor allem die Personen, die die Kreuzzüge prägten. Das sind in aller erster Linie Männer wie der britische König Richard Löwenherz und sein muslimischer Kontrahent Salah ad-Din, besser bekannt als Saladin. Sie bekommen ebenso sehr breiten Raum wie der Stauferkaiser Friedrich II., ein ausgesprochener Freund der Muslime, den Phillips mit viel Sympathie als positiven Helden beschreibt. Allerdings bleibt die Analyse so unvollständig. Wer die Strukturen vernachlässigt, kann Geschichte nicht vollends erklären – es sind schließlich nicht nur die großen Männer, die die Ereignisse bestimmen. Phillips gleicht diese Schwäche aus, indem er zumindest in Ansätzen die Milieus beschreibt, in denen die Kreuzzüge zur Massenbewegung werden konnten.
Neu und sehr zu loben ist sein Ansatz, auch die muslimische Sicht der Dinge darzustellen. Dabei kommt er zu einem bislang im Westen selten gelesenen Ergebnis: Dass bei der Gegenwehr der Muslime religiöse Motive zunächst eine untergeordnete Rolle spielen. Das Konzept des Dschihad, des Heiligen Krieges, war in den Hintergrund getreten, auch weil der Kalif in Bagdad als geistliches Oberhaupt damals kaum politische Macht besaß:
"Zur Zeit der Kreuzzüge sind kaum Predigten und Hetzreden überliefert, die die Muslime zur Erfüllung ihrer religiösen Pflicht aufriefen. Privatfehden und Uneinigkeit waren weit verbreitet – ideale Voraussetzungen für die von ihrem hehren Ziel getriebenen Westeuropäer, bis nach Jerusalem zu gelangen. Ohne Orientierung durch ihr geistliches Oberhaupt in Bagdad zeigten die weltlichen Führer des Nahen Ostens wenig Begeisterung für einen Dschihad. In der islamischen Welt sollte es Jahrzehnte dauern, bis sich auf diesem Weg eine gemeinsame Agenda herausbildete, aufgrund derer sich die Muslime zusammenschlossen, um die Christen zu vertreiben."
Phillips Buch ist auch deshalb ein sehr gelungenes Werk, weil er einerseits in flottem Stil schreibt, andererseits aber als Wissenschaftler seriös arbeitet. Pauschalurteile vermeidet er und blickt stattdessen differenziert auf die Ereignisse. So schildert er auch all die Widersprüche und Vielschichtigkeiten der Kreuzzüge. Hier kämpften nicht nur Christen gegen Muslime. Wenn es die Lage erforderte, schlossen Christen mit Muslimen Bündnisse, um gegen andere Christen zu kämpfen. Der vierte Kreuzzug endete gar damit, dass das Heer der lateinischen Christen das christlich-orthodoxe Konstantinopel einnahm und plünderte. All das ist heute oft in Vergessenheit geraten, wenn der Begriff "Kreuzzug" verwendet wird. Nicht nur bei Georg W. Bush.
Eine Begriffsklärung: Zu finden im Buch von Jonathan Phillips.
Der Titel "Heiliger Krieg – Eine neue Geschichte der Kreuzzüge" ist bei DVA erschienen. 640 Seiten kosten 29,99 Euro. Jan Kuhlmann war unser Rezensent.
Sehr genau beschreibt das der in London lehrende Historiker Jonathan Phillips in seinem Buch "Heiliger Krieg". Auf knapp 350 Seiten erzählt er von den vielen Versuchen der christlichen Armeen im Mittelalter, den Muslimen im Auftrag der katholischen Kirche das Heilige Land zu entreißen. Etliche Schlachten schlugen beide Seiten vom 11. bis zum 13. Jahrhundert – oft endeten sie im Blutbad. Als die Christen zum Abschluss des ersten Kreuzzuges 1099 Jerusalem einnahmen, verschonten sie nicht einmal muslimische Frauen und Kinder. Phillips lässt einen damaligen Chronisten die Gewalt beschreiben:
"Einige Heiden wurden gnädig enthauptet, andere von Pfeilen durchbohrt, die von den Türmen herabsausten, und wieder andere, die man lange gefoltert hatte, wurden von sengenden Flammen verbrannt. Stapel von Köpfen, Händen und Füßen lagen in den Häusern und auf den Straßen, und es trampelten die Männer und Ritter unablässig auf den Leichnamen herum."
Phillips erinnert eindringlich daran, wie sehr das Christentum im Mittelalter anfällig war für Gewalt im Namen Gottes. Unverkennbar sind Parallelen zur Gewalt, die extremistische Muslime heute mit dem Koran legitimieren wollen. Bei vielen Christen entluden sich damals nach langen Kriegen Frust und Rachegelüste. Vor allem aber ging es für sie um ihr eigenes Seelenheil, um ihre eigene Rettung. Wer sich im Kampf gegen die Ungläubigen bewährte, dem versprach die Kirche die Vergebung aller Sünden – eine Aussicht, die die Ritter in dieser religiös aufgeheizten Zeit noch mehr lockte als die Hoffnung auf eine ordentliche Beute. So wurden die Kreuzzüge zu einer Massenbewegung, der sich selbst Könige anschlossen.
"Aus heutiger, westlicher Sicht wird extremer religiöser Eifer häufig mit dem Fanatismus von Minderheiten gleichgesetzt, aber im Europa des Hochmittelalters wurde ein Kreuzzug als ein tugendhaftes und positives Unterfangen angesehen. Die damalige Gesellschaft war stark religiös geprägt, der Glaube setzte die Gebote und die Grenzen für so gut wie jeden Aspekt des alltäglichen Lebens, und die Anerkennung des göttlichen Willens sowie die Sorge um ein Leben nach dem Tod waren allgemein verbreitet. Der Kampf gegen die Feinde Gottes bot den Menschen einen Weg, den Qualen der Hölle zu entrinnen."
Phillips berichtet sehr lebendig aus der Vergangenheit. Für den historischen Laien ist seine Geschichte der Kreuzzüge so immer sehr nachvollziehbar und anschaulich – auch wenn sich manche Passagen allzu sehr lesen wie das Drehbuch für eine historische TV-Dokumentation. Zum Beispiel, wenn Phillips die Krönung von Fulko und Melisende beschreibt, die 1131 als Paar die Herrschaft des Königreiches Jerusalem übernahmen:
"Sie trugen besondere Festkleider, wunderschön bestickte Dalmatiken – Obergewänder mit weiten Ärmeln, die an beiden Seiten offen waren – und Stolen. Fulko und Melisende bestiegen ihre eigens für den Anlass herausgeputzten Pferde, und der Schatzmeister wies dem königlichen Schwert den Weg."
Überhaupt hat der Historiker ein Buch für ein breites Publikum geschrieben: Ihn interessieren vor allem die Personen, die die Kreuzzüge prägten. Das sind in aller erster Linie Männer wie der britische König Richard Löwenherz und sein muslimischer Kontrahent Salah ad-Din, besser bekannt als Saladin. Sie bekommen ebenso sehr breiten Raum wie der Stauferkaiser Friedrich II., ein ausgesprochener Freund der Muslime, den Phillips mit viel Sympathie als positiven Helden beschreibt. Allerdings bleibt die Analyse so unvollständig. Wer die Strukturen vernachlässigt, kann Geschichte nicht vollends erklären – es sind schließlich nicht nur die großen Männer, die die Ereignisse bestimmen. Phillips gleicht diese Schwäche aus, indem er zumindest in Ansätzen die Milieus beschreibt, in denen die Kreuzzüge zur Massenbewegung werden konnten.
Neu und sehr zu loben ist sein Ansatz, auch die muslimische Sicht der Dinge darzustellen. Dabei kommt er zu einem bislang im Westen selten gelesenen Ergebnis: Dass bei der Gegenwehr der Muslime religiöse Motive zunächst eine untergeordnete Rolle spielen. Das Konzept des Dschihad, des Heiligen Krieges, war in den Hintergrund getreten, auch weil der Kalif in Bagdad als geistliches Oberhaupt damals kaum politische Macht besaß:
"Zur Zeit der Kreuzzüge sind kaum Predigten und Hetzreden überliefert, die die Muslime zur Erfüllung ihrer religiösen Pflicht aufriefen. Privatfehden und Uneinigkeit waren weit verbreitet – ideale Voraussetzungen für die von ihrem hehren Ziel getriebenen Westeuropäer, bis nach Jerusalem zu gelangen. Ohne Orientierung durch ihr geistliches Oberhaupt in Bagdad zeigten die weltlichen Führer des Nahen Ostens wenig Begeisterung für einen Dschihad. In der islamischen Welt sollte es Jahrzehnte dauern, bis sich auf diesem Weg eine gemeinsame Agenda herausbildete, aufgrund derer sich die Muslime zusammenschlossen, um die Christen zu vertreiben."
Phillips Buch ist auch deshalb ein sehr gelungenes Werk, weil er einerseits in flottem Stil schreibt, andererseits aber als Wissenschaftler seriös arbeitet. Pauschalurteile vermeidet er und blickt stattdessen differenziert auf die Ereignisse. So schildert er auch all die Widersprüche und Vielschichtigkeiten der Kreuzzüge. Hier kämpften nicht nur Christen gegen Muslime. Wenn es die Lage erforderte, schlossen Christen mit Muslimen Bündnisse, um gegen andere Christen zu kämpfen. Der vierte Kreuzzug endete gar damit, dass das Heer der lateinischen Christen das christlich-orthodoxe Konstantinopel einnahm und plünderte. All das ist heute oft in Vergessenheit geraten, wenn der Begriff "Kreuzzug" verwendet wird. Nicht nur bei Georg W. Bush.
Eine Begriffsklärung: Zu finden im Buch von Jonathan Phillips.
Der Titel "Heiliger Krieg – Eine neue Geschichte der Kreuzzüge" ist bei DVA erschienen. 640 Seiten kosten 29,99 Euro. Jan Kuhlmann war unser Rezensent.