In Paris, gleich neben dem Orsay-Museum, residiert die protestantische Buchhandlung '7 ICI'. Neben theologischen und religionshistorischen Schriften finden sich auch mehrere Werke zum Thema häusliche Gewalt. Der Renner ist eine Broschüre, 48 Seiten stark im Din-A-4-Format, betitelt: "Gemeinsam gegen alle Formen von Partnerschaftsgewalt". Der Untertitel erklärt, worum es darin geht: diese Gewalt zu identifizieren, damit die Kirchen diesbezüglich besser agieren können.
Entstanden ist das Werk im vergangenen Mai, auf Initiative einer Arbeitsgruppe der Baptisten-Kirche in Frankreich, sagt Margaux Dimitrov von der protestantischen Buchhandlung.
"Anfangs wurde die Broschüre nur von Pastoren oder sonstigen Seelsorge-Verantwortlichen erstanden. Seit dem Protestmarsch der Frauenvereine gegen Partnerschaftsgewalt aber fragen neuerdings immer mehr Bürger bei mir nach Werken zum Thema. Sie greifen gerne zu der institutionellen Broschüre, weil die auch Notrufnummern und Adressen von Hilfsangeboten auflistet. Mir scheint, die Leute wollen die Informationen nun griffbereit zur Hand haben."
Zwei Morde in der Baptisten-Gemeinde
Die Broschüre gilt als vorbildlich. Sie listet die unterschiedlichen Formen von Partnerschaftsgewalt auf, von physischen Attacken über psychologische Angriffe bis hin zu sexueller Gewalt. Sie beschreibt den Gewaltzyklus, die Signale, die darauf hinweisen, dass jemand Opfer ist und sie verweist auch jene in der Täterrolle auf Hilfsangebote. Die Broschüre behauptet, dass die Bibel häusliche Gewalt strikt ablehnt. Und sie enthält ein Gebet, das Opfer ermutigen soll, sich aus der Gewaltspirale zu befreien. Ein Ratgeber, zugeschnitten auf christliche Gemeinden – eine Premiere, sagt Valérie Duval-Poujol. Der Pastorin der Baptisten-Kirche im südwestfranzösischen Bordeaux ist die Broschüre ein Herzensanliegen.
Sie erzählt: "Wir haben sie erarbeitet, nachdem innerhalb von zwei Jahren zwei Frauen aus unseren Kirchengemeinden von ihren Männern ermordet worden waren. Angesichts der geringen Zahl der Protestanten in Frankreich war das statistisch gesehen so erschreckend, dass die Morde auch unsere Kirchenleitung wachgerüttelt hat. Ja, auch in unseren Gemeinden gibt es Fälle von Partnerschaftsgewalt."
Mit der Broschüre wurde auch eine Charta ins Leben gerufen: Kirchen sagen 'Stopp der Partnerschaftsgewalt'. Derzeit arbeiten Valérie Duval-Poujol und ihre Mitstreiter an pädagogischen Werkzeugen, Beistand für Kirchengemeinden, die gegen häusliche Gewalt agieren wollen. Auch die Geistlichen sollen geschult werden.
"Ohne diese Schulung mag ein Pastor, dem eine Frau gebeichtet hat, Opfer häuslicher Gewalt zu sein, geneigt sein, ihren Mann zum Gespräch zu bitten. Das ist eine Katastrophe, denn im Fall von häuslicher Gewalt darf keine Mediation stattfinden", sagt die Pastorin.
Talmud: Der Mann muss seiner Frau Respekt entgegenbringen
Die protestantische Broschüre zum Thema Partnerschaftsgewalt findet Nachahmer: Vergangene Woche gab eine Frauenkommission des Crif, des repräsentativen Rats jüdischer Institutionen in Frankreich, einen eigenen Ratgeber heraus. Schon seit über einem Jahrzehnt betreibt ein Kollektiv jüdischer Frauenvereine ein Notruftelefon für Opfer von Partnerschaftsgewalt.
NOA, Oser le dire, nennt sich die Einrichtung – den Mut haben, darüber zu sprechen. Deren Mitarbeiterinnen beraten die Betroffene. Und bestreiten gleichfalls monatlich eine Halbstundensendung im jüdischen Privatsender Radio J. Dort war schon Moshé Lewin zu Gast, Rabbiner im Pariser Vorort Raincy und Vize-Präsident des Verbands europäischer Rabbiner. Lewin gab zu: Partnerschaftsgewalt sei auch trauriger Alltag in den jüdischen Gemeinden. Doch er stellte klar:
"Der Talmud enthält einen sehr schönen Text, der besagt: Der Mann muss seiner Frau mehr Respekt entgegenbringen als seinem eigenen Körper. Solche Texte müssen einfach viel mehr verbreitet werden."
Oranne de Mautort, bei der katholischen Bischofskonferenz Frankreichs zuständig für soziale Fragen, zitiert den Papst. In seinem Apolostischen Schreiben von 2016, 'Die Freude der Liebe', spricht sich Franziskus gegen jede Form von Partnerschaftsgewalt aus. Und er gibt vor: Wenn eine Ehe zum Ort der Gewalt geworden wäre, sei die Scheidung, "eine moralische Notwendigkeit." Eine Botschaft, die sich bei den französischen Katholiken verbreiten solle, wünscht sich Oranne de Mautort. Zum Beispiel mittels der Schulung von Priestern - oder auch Laien, die in Schulen Sexualkundeunterricht anbieten.
Sie sagt: "Da geht es um Präventionsarbeit. Die Katholiken, die die Kurse abhalten, legen sehr viel Wert darauf, den Jugendlichen zu helfen, eine gewisse Selbstliebe aufzubauen. Natürlich geht es ebenso um das Thema Gleichberechtigung der Geschlechter. Und darum, Gewalt abzulehnen. Ebenso liegt ihnen am Herzen, den Jugendlichen beizubringen, ihre Gefühle in Worten auszudrücken. Und nicht mit körperlicher Gewalt."
Täterschutz in der Familie
Gerade bei gläubigen Christen sei die Scham groß, über Gewalt in der Ehe zu sprechen, sagt Oranne de Mautort:
"Eine Mitarbeiterin, die in der Aufklärung tätig ist, erzählte, dass sie mit einem Mädchen konfrontiert war, deren Mutter vom Mann geschlagen wurde. Das Mädchen tat alles dafür, dass die Mutter nicht darüber spricht. Um den Vater nicht zu belasten. So endet manches Beratungsgespräch unvermittelt."
Häusliche Gewalt ist auch ein Thema für Muslime in Frankreich: Auf Youtube gibt es zahlreiche Videos muslimischer Blogger, die mit Hilfe von Korantexten gegen Partnerschaftsgewalt zu Felde ziehen.
Der Einsatz der Religionsgemeinschaften bei der Begleitung von Betroffenen oder auch der Prävention von Partnerschaftsgewalt ist der Öffentlichkeit in Frankreich zumeist unbekannt - und auch der Politik. Vergangene Woche hat die Frauenrechts-Delegation im Pariser Senat ein Roundtable-Gespräch veranstaltet, geladen waren Vertreter aller Religionen, auch die unterschiedlichen Freimaurer-Logen nahmen teil. Eine absolute Premiere. Eine Notwendigkeit, sagt Delegationspräsidentin Annick Billon:
"Natürlich sind in Frankreich Staat und Kirchen strikt getrennt. Aber dennoch haben die Kirchen eine gesellschaftliche Rolle zu spielen. Seit Jahresbeginn sind über 130 Frauen von ihren Männern oder Ex-Gefährten umgebracht worden. Das zeigt, dass vielfach eine Frau noch als Objekt gilt. Als unterjocht, wie es in den Religionen lange Zeit interpretiert wurde. Es ist an den Theologen und Theologinnen aufzudecken, dass es sich um falsche Interpretationen handelt, wenn es heißt, eine Frau sei Eigentum ihres Mannes."
Für die Vertreter der unterschiedlichen Religionen war das Roundtable-Treffen im Senat die erste Gelegenheit, sich untereinander auszutauschen. Und neue Ideen zu entwickeln, verstärkt in ihrer Welt gegen Partnerschaftsgewalt vorzugehen.