Västra Hamnen, ein neu hochgezogener Stadtteil von Malmö. Im ehemaligen Hafenviertel im Westen der Stadt, direkt am Meer. Hier flanieren Touristen und Geschäftsleute, der Turning Torso, das berühmte weiße gewundene Hochhaus, wacht über dem Viertel.
Der Außenbereich eines Cafés. Hier sitzt ein Mann mit schwarzem Kapuzenpullover, schwarzer Kappe, dunkler Sonnenbrille. Der Getarnte ist Murtada Youssef, 35, Ex-Bandenkrimineller. Er traut sich nur noch selten nach Malmö. Deshalb wollte er sich hier treffen: in einem Viertel, in dem er kein Bekannter ist.
"Alle Probleme begannen, als ich elf Jahre alt war. Ich hatte Ärger mit meinen Eltern. In der Schule konnte ich mich nicht konzentrieren. So bin ich draußen gelandet, ich begann in Kellern und Treppenhäusern zu schlafen, weil ich nicht nach Hause wollte. Und dann ging es los mit Raub, Körperverletzung."
Bandenmitglieder wurden zur Ersatzfamilie
Seine Familie kam Anfang der Neunziger aus dem Irak nach Malmö. Sein Vater habe Probleme gehabt, Arbeit zu finden. Wenn er mal einen Job hatte, sei er nach sechs Monaten wieder rausgeflogen.
"Ich trank ein paar Gläser Alkohol und dann habe ich jemanden geschlagen und ihn ausgeraubt. Und ich habe nicht so richtig kapiert, wieso ich das gemacht habe. Mir ging es nicht gut, ich war noch ein Kind. Im Winter haben wir Autos geklaut, um es etwas wärmer zu haben und darin schlafen zu können. Dann war ich in einer Bande, dann in der nächsten und so weiter."
Die Bandenmitglieder wurden zu seiner Ersatzfamilie. Doch vor dem Gefängnis konnten sie ihn nicht beschützen, im Gegenteil – Youssef hat mehrere kürzere Aufenthalte hinter Gittern hinter sich.
"Ich saß einmal wegen Gewalt an einem Türsteher. Und einmal wegen Waffenbesitzes. Ich hatte eine Pistole daheim."
Youssef zieht an seiner Zigarette. Hat er die Pistole mal benutzt, um auf jemanden zu schießen?
"Tatsächlich nie."
Rückfall nicht ausgeschlossen
Wenig Geld, mangelnder Rückhalt daheim, fehlende Zukunftsperspektiven – das ist der Nährboden, der kriminelle Banden in Malmö florieren lässt. 2014 zog Murtada Youssef einen Schlussstrich.
"Der Tag, an dem ich entschieden habe, auszusteigen, war der Tag, an dem ich die Möglichkeit bekam, eine Freizeiteinrichtung für Jugendliche in Rosengård zu eröffnen. An diesem Tag gab ich meine Kutte zurück. Weil ich dafür brenne, anderen zu helfen. Weil ich selbst keine Hilfe bekam, als ich jünger war."
Doch das Jugendzentrum schloss bald wieder. Und Youssef verlor seine Arbeit. Eine Neue ist nicht in Sicht. Seine drei Kinder sollen es einmal besser haben als er. Aber der 35-Jährige spürt den Sog der Kriminalität noch immer.
"Ich will wirklich nicht zurück. Aber es ist sehr mühsam. Seit drei Jahren sitze ich herum und habe keine Möglichkeit, etwas anderes zu tun. Ich will Menschen helfen, Jugendlichen und Kindern. Ich hoffe, ich kann mich weiter zusammenreißen, das ist nicht leicht."
Der schwedischen Politik macht er schwere Vorwürfe.
"Man nimmt die ganze Zeit Zuwanderer auf und übernimmt dann keine Verantwortung für sie. Nehmt nur zehn Familien im Jahr auf, aber habt einen Plan für sie. Wenn eine Familie nach Schweden kommt, soll sie im ersten Jahr Schwedisch lernen. Es muss eine Grenze geben: ein Jahr – that’s it, dann heißt es arbeiten. Dann ist die finanzielle Lage der Familie gut, Arbeit für Vater und Mutter, das hilft auch den Kindern."
Härtere Strafen lehnt er ab. Er wünscht sich mehr Herzlichkeit. Mit Jugendlichen arbeiten, seine eigenen Erfahrungen einbringen, das ist Murtada Youssefs größter Wunsch.
Zwischen Raub, Euphorie und Freiheitsstrafen
Einen solchen Job hat Mohammed Elsaka. Auch er hat eine kriminelle Vergangenheit. Elsaka, 29, einen Meter 85 groß, hat ein breites Kreuz, kurzgeschorene Haare und trägt einen Kinnbart. Seit einem Jahr berät er im Jugendzentrum Fryshuset junge Menschen. Früher sah sein Leben ganz anders aus.
"Man kann sagen, ich war ziemlich ungezogen. Ich war nicht super-super-super-kriminell. Ich habe nie jemanden umgebracht, nie eine Frau vergewaltigt. Ich war eben ungezogen."
Mit 13 beging er seinen ersten Raub.
"Ich und mein Kumpel haben einem alkoholisierten älteren Mann die Kreditkarte weggenommen, er gab uns seinen Pincode und wir haben Geld abgehoben und uns alles gekauft, was wir brauchten. Ich fühlte einen Kick, diese Sachen zu haben."
Dieser Kick führte Elsaka in fünf verschiedene Gefängnisse, erzählt er und lässt die Finger knacken.
"Ich war in Norrtälje, Tidaholm, Mariefred, Hällby und Fosie. Ich war in Tidaholm und Fosie in Isolationshaft. Insgesamt habe ich ungefähr vier, fünf Jahre im System verbracht. Kürzere Strafen, hintereinander."
Ein Hin und Her zwischen Raub, Euphorie und Freiheitsstrafen.
"Eines Morgens bin ich aufgewacht. Ich habe gemerkt, dass zu viele Freunde draufgegangen sind. Auch ein Familienmitglied ist gestorben. Alles im selben Jahr. Und da dachte ich mir, es ist vielleicht besser, für etwas anderes zu kämpfen. Denn das, wofür ich gerade kämpfe, hat zu nichts Gutem geführt."
Beim Ausstieg aus der Kriminalität geholfen haben ihm unter anderem verschiedene Sozialarbeiter und ein Imam, erzählt er. Elsaka wünscht sich höhere Strafen für Mord, Mordversuch und Waffenbesitz. Zur Abschreckung.
"Alle Kriminellen wissen ja, was sie riskieren, wenn sie in der Branche tätig sind. Mitgehangen, mitgefangen."
* Anmerkung: Auf Bitten der Protagonisten haben wir Bilder von ihnen aus dem Beitrag entfernt.