Das Viertel Möllevången in Malmö. Straßen, gesäumt mit Altbauten, aus roten Backsteinen oder in Pastellgelb gestrichen. Mittendrin ein Kreisel, der im Volksmund "Knarkrondellen" heißt. Der Drogenkreisel. Diese Bezeichnung ist so beliebt, dass die Verkehrsinsel auch auf Google Maps zeitweise so hieß. Der offene Drogenhandel und Drohungen gegen Eltern veranlassten die Stadt, rund um die benachbarte Kindertagesstätte Kameras aufzustellen – in Schweden höchst ungewöhnlich. Jetzt sind die Dealer weitergezogen – die Kinder spielen wieder draußen.
Anna, 30, lange blonde Haare, Ingenieurin, lebt seit zwei Jahren in einer der Straßen, die auf den Drogenkreisel zuführen. Mit ihrer Kindheitsfreundin Isabel sitzt sie in einer Kaffeebar und trinkt typisch schwedisch schon den dritten Kaffee, obwohl es erst 10 Uhr morgens ist.
"Letztes Jahr wurde ein Mann am Kreisel angeschossen. In meiner Straße wurde ein Mann erstochen."
"Die Polizei ist ziemlich überlastet"
Anna wurde in der Nachbarschaft auch selbst schon einmal überfallen. Sie konnte dem Täter aber mit der Hilfe von Freunden den Personalausweis abnehmen. Trotzdem sei die Ermittlung nach zwei Wochen eingestellt worden.
"Die Polizei ist ziemlich überlastet. Da fühlt man sich schon ein wenig rechtelos. Wenn einem in Malmö etwas passiert, gibt es keine Garantie, dass die Polizei die Sache dann auch löst."
Annas Freundin Isabel schüttet massenhaft Honig in ihren Tee. Sie ist Ärztin und spürt in ihrem Job die Auswirkungen der Kriminalität.
"Ich habe sechs Monate im Krankenhaus in Malmö gearbeitet. Oft kommen junge Menschen rein, die angeschossen wurden. Manchmal schwer verletzt, manchmal nicht lebensgefährlich. Aber das verursacht große Traumata und es beansprucht uns im Krankenhaus schon sehr. Aber ich selbst habe keine Angst, bin immer alleine auf der Straße unterwegs."
Beide sind in der benachbarten Unistadt Lund aufgewachsen. Mit den Problemen in Malmö haben sie sich abgefunden. Sie werben fast trotzig für ihre Wahlheimat.
"Als ich nach Malmö gezogen bin, habe ich immer gesagt: Ich will ein entspanntes Leben. Und das hat man hier wirklich. Alle Freunde sind nah, und innerhalb einer halben Stunde kann man überall hinradeln, und man ist viel draußen und spaziert."
Nur ein paar Hundert Meter weiter ist Wochenmarkt auf dem Möllevångstorget, dem zentralen Platz des Viertels. Auch hier wurde im Februar ein Mann erschossen, direkt vor einem Thai-Restaurant, um 7 Uhr abends. Davon ist heute nichts zu spüren. An den offenen Marktständen werben die Verkäufer um Kunden für ihre Waren. Menschen unterhalten sich auf Schwedisch, Dänisch, Arabisch.
Ein Mann Mitte 50 in einem blauen Overall kommt auf das Mikro zu. Abdulaziz heiße er, sei im Irak geboren. Seit fast 13 Jahren lebt er in der Stadt, verkauft Obst und Gemüse.
"Probleme gibt es überall. Wenn viele Völker in einem Gebiet zusammenleben, denken sie nicht das gleiche. Sie haben unterschiedliche Kulturen. Manchmal dauert es etwas, bis man sich versteht. Das geht nicht an einem Tag, das dauert 10, 15, 20 Jahre."
"Es ist gefährlich. Es hat sich sehr verändert. Sehr!"
32 Prozent der 330.000 Malmöer sind im Ausland geboren, weitere zwölf Prozent haben Eltern, die nicht in Schweden geboren sind. 178 Nationen sind vertreten. Am benachbarten Blumenstand stehen zwei grauhaarige Damen und unterhalten sich, es sind die Standbesitzerin und eine Kundin namens Alli. Seit 63 Jahren lebt sie in Malmö und ihre Geduld ist am Ende:
"Man kann ja gar nicht mehr rausgehen abends. Das traut man sich ja nicht."
Sie steckt sich eine Mandarinenspalte in den Mund.
"Es ist gefährlich. Es hat sich sehr verändert. Sehr! Vorher konnte man raus, Tanzen gehen. Das traut man sich heute nicht mehr. Man wird isolierter."
Ihr sei schon zweimal das Portemonnaie gestohlen worden. Hier, auf dem Platz.
"Überwiegend sind es ja Einwanderer, die sowas machen. Das sehen Sie ja selbst."
Alli ist wütend, aber sie relativiert auf Nachfrage. Nicht alle Einwanderer seien für die neue Unsicherheit verantwortlich:
"Nein, nein, ich habe Kontakt zu vielen Einwanderern, mit denen ich mich auch treffe. Das sind die, die in den 60ern, 70ern kamen. Die haben ja gearbeitet. Es sind keine, die dem Land zur Last liegen."
"Malmö ist für mich die Stadt der Kontraste"
Laut einer Studie aus dem Jahr 2012 waren 76 Prozent der Bandenkriminellen in Schweden Einwanderer erster oder zweiter Generation. Wie genau es in Malmö aussieht, ist nicht bekannt – dazu gibt die Stadt keine konkrete Auskunft. Seit die Polizei in Südschweden unerlaubterweise die Daten von 4.000 Roma sammelte, ist dieses Thema extra sensibel.
Eine andere Statistik gibt die Stadt hingegen gerne preis: Ältere Damen in Malmö wie Alli gehören zur Gruppe, die am wenigsten von Gewalt bedroht ist. Besonders gefährdet: junge, angetrunkene Männer.
Malmö, drittgrößte Stadt Schwedens, Schmelztiegel an der Grenze zum europäischen Kontinent. Die meisten Bewohner genießen das Leben hier. Aber eben nicht alle. Anna, die Ingenieurin, fasst es so zusammen:
"Malmö ist für mich die Stadt der Kontraste. Es passiert wirklich viel Mist, aber es gibt auch viele tolle Initiativen und viel Zuneigung in der Stadt. Wir als Einwohner müssen immer dafür kämpfen, das Bild von Malmö aufrechtzuerhalten. Es ist eine Stadt, die man im Alltag verteidigen muss."