Claudia Hennen: Der Vorwurf wiegt schwer. Fünf Frankfurter Polizisten sollen per Chat rechtsextreme Bilder, Videos und Texte ausgetauscht haben. Womöglich haben diese Beamten auch mit einem Drohschreiben zu tun, das die türkische Rechtsanwältin Seda Basay-Yildiz im August erhalten hat. Die Frage, ob es ein rechtsextremes Netzwerk in der Frankfurter Polizei gibt, beschäftigt längst nicht nur Ermittler, sondern auch die Politik.
Heute Vormittag hat sich der Innenausschuss des hessischen Landtags mit dem Fall befasst. Die politische Einstellung von Polizeibeamten indes ist bislang wenig erforscht. Ich habe vorhin mit dem Hamburger Kriminologen Rafael Behr gesprochen und wollte von ihm wissen: Wie rechts ist denn nun die deutsche Polizei?
Rafael Behr: Dieser Vorwurf liegt immer latent auf dem gesamten Polizeiapparat, obrigkeitshörig, autoritär, rechtsgerichtet zu sein. Was wir wirklich gut wissen, was wir auch empirisch gut belegen können, ist, dass die allermeisten Polizistinnen und Polizisten tatsächlich ein Ordnungsschema im Kopf haben, ein Schema, in dem es auch Hierarchien gibt, in dem auch Autoritäten was zählen, und eine Tendenz zum wertkonservativen Denkmuster. Das können wir sagen – mehr allerdings nicht.
Kein schwarzes Schaf
Hennen: Das heißt in der Konsequenz: Der Fall in Hessen, der dort nun vermutet wird, ist ein Einzelfall? Oder ist er durchaus symptomatisch?
Behr: Das ist jetzt die Schwierigkeit zu unterscheiden, denn Einzelfall ist es auch nicht. Wir wissen natürlich, dass es Milieus in der Polizei gibt, die gewaltaffin sind, die auch empfänglich sind für Autoritätsmissbrauch, auch für rechtsextreme Positionen. Das ist kein Einzelfall; es ist auch kein schwarzes Schaf, sondern tatsächlich gibt es immer wieder Gruppen, die sich in der Regel dann auch abschotten von anderen, die solche Haltungen pflegen. Wir wissen nicht genau, warum.
Hennen: Sie sprechen von Milieus, von bestimmten Gruppen. Können Sie das näher beschreiben?
Behr: Manchmal gibt es Arbeitszusammenhänge, in denen besonders viele junge Männer beispielsweise zusammen sind, die ausschließlich repressiv unterwegs sind, strafverfolgend, die auch keine Bürgerkontakte haben, sondern quasi, wenn ich das Drogenmilieu mal als Beispiel nehme, immer nur mit Klienten zu tun haben, die verdächtigt werden, Drogen zu nehmen oder zu dealen, was auch immer.
Hennen: …, die in Hotspots unterwegs sind?
Behr: Genau. Die in Hotspots unterwegs sind, mit wenig Abwechslung und immer ein Feindbild vor Augen haben und auch selbst als Feind gesehen werden. Dort können sich solche Positionen verdichten und auch herausbilden, wenn zum Beispiel immer klar wird, dass die Verdächtigen, die sie dann behandeln, immer wieder freigesprochen werden. Das ist ein Klassiker an Frustrationspotenzial in der Polizei, dass das Strafbedürfnis von den Gerichten nicht erfüllt wird und dann solche Positionen entstehen, da müsste mal jemand härter durchgreifen.
Ressentiments entstünden im Laufe des Polizei-Dienstes
Hennen: Das heißt, dass im Polizeialltag, im harten Polizeialltag, sage ich mal, bestimmte Ressentiments aktiviert werden können?
Behr: Genau. Die entstehen in der Regel im Verlauf des Polizeidienstes, der Tätigkeit und – da haben Sie ganz recht – nicht überall gleich. Diejenigen, die in der Jugendverkehrsschule Verkehrsunterricht machen, sind weniger gefährdet, solche Ressentiments zu entwickeln, wie diejenigen, die tatsächlich nur mit Menschen zu tun haben, die sie strafrechtlich verfolgen müssen.
Hennen: Ihre Einschätzung deckt sich mit einer Studie aus Nordrhein-Westfalen aus diesem Sommer. Diese Studie kommt zu dem Ergebnis, dass rassistische Positionen angehender Beamter im Verlauf der Ausbildung abnehmen und dann aber beim Berufsstart wieder zunehmen. Ist das eine Art Praxisschock?
Behr: Genau. Das kann man ganz gut erklären, weil tatsächlich die Auszubildenden in der Ausbildungsphase umgeben sind von Informationen und von Lehren, die alle der offiziellen Polizeikultur entsprechen. Da gibt es kein abweichendes Verhalten und keine Subkultur. Das ist alles Originaltext, so wie es die Polizei auch vermitteln will, so wie sie auch sein will.
Dann kommt die Praxis. Dann kommen einmal Kollegen, die vielleicht schon zynisch geworden sind, oder die schon ihre eigenen Methoden entwickelt haben, mit den Widrigkeiten dieser Praxis umzugehen. Dann kommen die Klienten, die man möglicherweise nicht versteht. Dann kommen die vielen Eindrücke, die man anders gar nicht verarbeiten kann, als sich zu orientieren an dem, wie es immer gemacht wurde. Und in der Tat verlieren wir dann diese Polizisten aus dem Radar, weil sie dann nicht mehr begleitet werden. Dann sind sie tatsächlich angewiesen auf Kollegen, die diese Praxis gut bewältigen, und manche bewältigen sie auch schlecht.
Reden über Gefühle werde nicht geübt
Hennen: Aber wie kann man vorbeugen?
Behr: Das ist immer ein stumpfes Schwert. Wir können nicht mit drakonischen Strafen oder mit Strafandrohung vorbeugen, sondern lediglich mit Aufklärung, mit Impulssetzung und mit dem Werben um Zivilcourage, und dadurch, dass wir junge Leute instand setzen, auch den Verführungen der Praxis mal zu widersprechen und hier standzuhalten. Hier wäre tatsächlich eine Initiative oder ein Vorschlag, gleich von Anfang an zum Beispiel das Reden über Konflikte beizubringen. Das geschieht sehr wenig. Das Reden über Gefühle beispielsweise, das Äußern eines inneren Befindens, das wird in der Polizei nicht geübt. Da geht es sehr stark um Zielsetzungen, um das Erreichen nachvollziehbarer Ziele. Das muss beweisfähig sein und so weiter.
Aber wie es einem damit geht, wenn man zum Beispiel als Beteiligter zusieht, wie Menschen in der Umgebung, Kollegen sich über andere lustig machen, kann das aber nicht äußern, weil man sonst Gefahr läuft, den Solidaritätskreis zu verlassen und nicht mehr loyal zu gelten, welche Auswege es da gibt, das lernen Polizisten nicht.
"Gewissensproblem der vielen jungen Leute, die eigentlich einen guten Job machen wollen"
Hennen: Sich selbst zu behaupten in der Gruppe.
Behr: Genau. Diese Form von Zivilcourage oder auch von individuellem Auftreten, das ist gebunden an den Solidaritätspakt, das was wir auch "Code of Silence" nennen, dieses Schweigen beim Ansehen von Handlungen von Kollegen, mit denen man selbst nicht einverstanden ist, wo man aber nicht die Größe hat, auszusteigen aus diesem Kontext.
Das ist das Gewissensproblem der vielen jungen Leute, die eigentlich einen guten Job machen wollen, und sie dabei zu unterstützen, da fehlt noch etwas. Ich würde vorschlagen, das in den Unterrichtskontext mit einzubeziehen, nicht nur kognitive Inhalte anzubieten, sondern sehr stark zu üben, zu trainieren, wie gehe ich denn mit solchen Kollegen, auch mit solchen Grenzsituationen gut um.
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