Die Zahl der Opfer häuslicher Gewalt in Deutschland steigt seit fünf Jahren an. Laut Lagebild „Häusliche Gewalt“ des Bundeskriminalamtes waren allein im vergangenen Jahr 256.276 Menschen betroffen, 6,5 Prozent mehr als im Vorjahr. Die meisten Opfer sind Frauen. Statistisch gesehen wird fast jeden Tag eine Frau oder ein Mädchen in Deutschland getötet.
Schutz bieten rund 400 Frauenhäuser in Deutschland mit 7700 Plätzen. Doch das Hilfsangebot reicht nicht. Der Istanbul-Konvention zufolge braucht es mindestens 13.300 weitere. Laut Frauenhaus-Statistik wurden im Jahr 2023 rund 14.200 Frauen sowie 16.000 Kinder und Jugendliche untergebracht. Allerdings wurden im Jahr 2022 rund 16.300 Frauen aus Platzmangel abgewiesen.
Was steht im Gewalthilfegesetz?
Das Gewalthilfegesetz will ein bundesweites Hilfesystem für Opfer geschlechtsspezifischer und häuslicher Gewalt schaffen. So steht es im Gesetzentwurf. Die Länder sollen das Angebot für Schutz und Beratung ausbauen; ab 2030 soll ein Rechtsanspruch auf kostenfreie Frauenhausplätze bestehen.
Bislang müssen Betroffene, die keinen Anspruch auf Sozialleistungen haben, den Aufenthalt im Frauenhaus zumindest teilweise selbst zahlen. Profitieren sollen nicht nur Frauen - die am häufigsten von Gewalt betroffen sind -, sondern auch Männer sowie trans-, intergeschlechtliche und nichtbinäre Menschen. Für sie gibt es bisher nicht genug Hilfsangebote.
Der Bund soll die Länder vom Jahr 2027 an beim Ausbau des Angebots unterstützen, zunächst mit 112 Millionen Euro, dann sollen die Beträge jedes Jahr steigen, bis auf 195 Millionen Euro im Jahr 2029. In den Jahren 2030 bis 2036 sollen jeweils 306,5 Millionen Euro über den Finanzausgleich bereitgestellt werden.
Was ist das geplante Gewaltschutzgesetz?
Ergänzend zum Gewalthilfegesetz ist ein Gewaltschutzgesetz geplant. Dieses sieht unter anderem verpflichtende Anti-Gewalt-Trainings für Täter sowie die Möglichkeit für elektronische Fußfesseln vor, um Kontaktverbote durchzusetzen. Das Gesetz wird derzeit noch zwischen den Ressorts abgestimmt.
Die Unionsfraktion im Bundestag hat bereits im Juli einen ähnlichen Entwurf vorgelegt. Dieser sieht ein höheres Strafmaß bei Gruppenvergewaltigungen (drei bis fünf Jahre) sowie bei Nachstellung bzw. Stalking vor (bis zu fünf Jahren). Am 4. Dezember soll sich der Rechtsausschuss des Bundestags damit befassen.
Was spricht für das Gewalthilfegesetz?
Für Frauenorganisationen drängt die Zeit, um von Gewalt betroffenen Frauen zu helfen. "Wir brauchen dieses Gesetz und können auch nicht auf eine neue Regierung warten, weil jeden Tag Frauen sterben", sagt Sina Tonk von Terre des Femmes. „Es ist wirklich eine Verpflichtung von allen Parlamentariern, jetzt dafür zu sorgen, dass dieses Gesetz durchkommt."
Auch der Deutsche Frauenrat und UN Women Deutschland fordern in einer Petition ("Brandbrief"), das Gewalthilfegesetz so schnell wie möglich zu verabschieden. "Ohne das Gewalthilfegesetz werden weiterhin Menschen sterben, werden weiterhin Menschenleben zerstört – weil ihnen der Schutz verwehrt bleibt, den sie so dringend brauchen!"
Neben zahlreichen Fachverbänden haben sich auch Prominente dem Appell angeschlossen. Die Schauspielerin Natalia Wörner unterstreicht, nun sei dies "eine historische Chance", das Gesetz durchzusetzen. "Es geht um Schutz für Frauen. Das muss jetzt im Vordergrund stehen und kein parteitaktisches, strategisches Vorgehen", so Wörner.
Welche Kritik gibt es am Gewalthilfegesetz?
Der Verein Frauenhauskoordinierung begrüßt zwar das Gesetz grundsätzlich, kritisiert aber, dass der Zeit- und Finanzplan äußerst spät einsetzt. Außerdem findet der Verein die Finanzierung unzureichend.
Auch die familienpolitische Sprecherin der CDU, Silvia Breher, sagt: "Wir wollen das Gesetz unbedingt". Sie beanstandet aber, dass sich das Familienministerium damit lange Zeit gelassen hat und noch kein finaler Entwurf vorliegt, über den man entscheiden könnte.
Wie sind die Aussichten, dass das Gewalthilfegesetz noch verabschiedet wird?
Der Gesetzentwurf aus dem Familienministerium wurde zunächst vom damaligen Finanzminister Christian Lindner (FDP) blockiert, weil ihm die geplanten Maßnahmen zu teuer waren. Der neue Finanzminister Jörg Kukies (SPD) hat dem Entwurf zugestimmt und am 27. November soll er vom Kabinett beschlossen werden.
Das Familienministerium will das Gewalthilfegesetz noch vor Weihnachten in Bundestag und Bundesrat zur ersten Lesung einbringen und im Februar - noch vor der Wahl - vom Bundesrat verabschieden lassen. Wegen des Bruchs der Ampel-Koalition braucht es die Stimmen der Unionsparteien. Dass das Gesetz in der Legislaturperiode verabschiedet wird, gilt als unwahrscheinlich.
Die Union hat am 12. November einen eigenen Antrag eingebracht. Das Ziel ist ebenfalls, Gewalt gegen Frauen zu bekämpfen; Schutz, Hilfe und Unterstützungsangebote sollen ausgebaut werden. Laut Union soll er bereits beschlossen gewesen sein, als die Ampelregierung zerbrach.
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