Archiv


Gewaltiger Wortdonner auf 12 CDs

Von den Feuilletons der großen Zeitungen ist er bisher kaum gewürdigt worden, dennoch hat Uwe Dick seine Fans. Bekannt wurde er durch seine 1976 erschienene und seither immer wieder ergänzte "Sauwaldprosa". Diese ist nun als Hörbuch erschienen - ein eindrucksvoller Mix aus Sprache, Gesang und Gedankensplittern.

Von Florian Felix Weyh |
    Manches Pferd muss man von hinten aufzäumen.

    "Uwe Dick: Aus! Vorbei! Aufbruch. Distanzierte Grüße: "Matte Sache heute!", "Nicht mal ne Schlusspointe!" - "War früher witziger, der Dick!"

    Stimmt nicht, der Witz ist es, der einen mehr als zehn Stunden Wortdonnerwetter auf zwölf CDs durchhalten lässt. Nicht am Stück, versteht sich, ohne eine Deformation des Sprachzentrums wäre das kaum möglich.

    "Sprachfraß, Hirnfraß!"

    Und so gilt es, hier über eine gedehnte Hörzeit zu berichten. Drei Wochen "Sauwaldprosa", gut dosierte dreißig Minuten am Tag, hinterlassen ihre Spuren.

    "Unmögliche Literatur, ja. Aber so spielerisch wie nur möglich dargeboten. Und wenn sie dich für einen Kabarettisten anschauen, nicht schlecht! Sichert den Zulauf. Hinterher, spätestens überm Buche, dürften sie merken, dass nicht einfach ist, was ihnen "einfach umwerfend, einfach absurd, einfach toll!" schien."

    Nein, ganz ehrlich: Gedruckt möchte man das nicht auf Hunderten vonseiten nachlesen. Wozu auch? So stimmgewaltig kann das innere Theater nie ausfallen, wie es das Äußere in der Regie des ebenfalls dichterisch nicht ganz unbekannten Michael Lenz als akustische Kunst präsentiert. Ein glänzendes Beispiel dafür, wie man kompliziert über Eck gebaute und anspruchsvolle Literatur so aufbereitet.

    "Ich sehe nicht ab, warum ein Gedanke das erste Mal deutlich sein soll."

    Dass sie bei aller Widerborstigkeit fast gefällig wirkt. Zum Beispiel durch fröhlichen, volkstümlichen Gesang:

    "Dann kaff ma uns a Negerweib. / Was mach ma mit dem Negerweib, Negerweib? / Wir gründen einen Negerstamm. / Was mach ma mit dem Negerstamm, Negerstamm? / Wir schnetzeln ihn zu Büchsenfleisch."

    Aber bevor der Stammtisch – vornehmlich bayrischer Provinienz – gründlich demaskiert wird, was zugegebenermaßen mittels seines Liedguts prächtig funktioniert ...

    "Gestern Abend zielt ich ganz genau / und es reicht auch noch für eine andre Sau. Falleri, fallera!"

    Sollten wir ein paar Informationen zur Kenntnis nehmen. Übrigens sind singende Autoren wie hier Uwe Dick in der deutschen Lesekultur eine echte Rarität. Doch zurück zur "Sauwaldprosa". Sie ist – ja was? – ein über Jahrzehnte gestricktes, "indoeurobayrisches" Großfabulierwerk, gegen das "Ulysses" von James Joyce wie irisches Gesäusel wirkt, auch wenn der Autor bescheidenere Vergleiche vorzieht:

    "Warum sollte einer "Taschenkosmogonie" Queneaus kein "Dickscher Taschenkosmos" folgen? Omnea mea mecum. Porto zahlt Empfänger!"

    Womit wir schon beim System der Kalauer gelenkten Erkenntnisvermittlung angelangt wären. Das ist die Quintessenz bajuwarischer Dickschusterei: Man schüttelt die Worte so lange, bis sie ihren von aller Oberflächlichkeit entkleideten Tiefsinn freigeben.

    "A Quintessenz is a Essenz, die ma gwinnt, wenn ma lang gnua nachdenkt!"

    Noch mal angesetzt zum Informationsblock, ohne sich vom vorwitzigen Autor unter-brechen zu lassen.

    "Sagt, was ihr wollt, denn ich schreibe, was ich will, seit jeher. Wenn es die Welt tadelt, dass ich zu viel über mich rede, so tadle ich, dass diese nicht einmal über sich denkt!"

    Keine Unterbrechung sagte ich, aber das scheint ein frommer Wunsch zu bleiben, denn nach zwanzig Tagen im Dickicht des Sauwalds wird man sie einfach nicht mehr los, die querschießenden Assoziationen, Satzfragmente, Gedankensplitter, Einwände, Suaden und Schimpfkanonaden des wortgewaltigen siebzigjährigen Außenseiters der deutschen Literatur, der schon längst dieselbe Fangemeinde verdiente, die einst Arno Schmidt adorierte. Eine linear gebaute Hörbuchvorstellung erscheint bei diesem Gegenstand vollkommen unmöglich, weil spießig – und Spießertum ist im Dickschen Universum so ziemlich der übelste Vorwurf überhaupt. Gefolgt nur von einem nachgerade biblischen Zorn auf ...

    "... die Phrase, das Gewört, die Retuschmiere, den Auswurg, den Sülz-Rülps!"

    ... der gemeinen Journaille. Da wird Uwe Dick – der selbst als Redakteur arbeitete – zum fanatischen Wiedergänger von Karl Kraus, zum Schriftsteller, der "die Schriften stellt" – die der anderen nämlich, der Sprachverbrecher! Man könnte fast meinen, er läse Zeitungen nur, um etwas wie das hier zu finden:

    ""Wie viele Gehirnzellen funktionieren, wenn einer schreibt: "Die Bienenvölker hinken durch den kalten April der Explosion der Natur durch die Baum¬blüte in diesem Jahr hinter-her." Objektiv blödsinnig, subjektiv unschuldig? Wie viele Zellen arbeiten noch im Hirnkasten des PNP-Redakteurs, der das, Überschrift "Bienenvölker hinken nach" in die Öffentlichkeit entlässt?"

    Nun, wir wollen kein neurologisches Gutachten über Kollegen verfertigen, sondern noch einmal zur Sachlichkeit zurückzukehren versuchen: Was ist die "Sauwaldprosa" nun eigentlich? Ein Mammutprojekt aus zwölf separaten Hörspielen – genauer gesagt Klangbildern, Sprachcollagen, zuweilen verdickte Logorhoe –, die bis auf zwei Schwerpunkte thematisch kaum einzugrenzen sind. Diese beiden Ausnahmen beschäftigen sich nach dem Motto "Des Jägers Ein und Knalles" hohntriefend mit der Jagd und mit dem Verkehrswahnsinn als Ausdruck des deutschen Nationalcharakters.

    "Uwe Dick: "Der Staat!" - Männerstimme 1: "Der für Berufstöter von jeher ein Herz und für Literatur kein Hirn hat." - Uwe Dick: "Der Staat!" - Männerstimme 1: "Dessen ausschließlich gewerbliche und turnerische Maßstäbe." - Männerstimme 2: "Wer sagte das so treffend?" - Uwe Dick: "Der Staat!" - Männerstimme 1: "Diese Exekutive der Besitzenden." - Männerstimme 2: "Und wer besitzt heute nicht? Zumindest ein Auto." - Uwe Dick: "Der Staat!" - Männerstimme 1: "Der das Bildungsmonopol hat." - Männerstimme 2: "Weshalb vier von fünf Bürgern kein Buch lesen." - Uwe Dick: "Der Staaaaaat!" - Männerstimme 1: "Dem die Ehrlosigkeit aus allen Poren stinkt." - Uwe Dick: "Der Staat! Mein Synonym für Tod und Phrase. Der Staat, gerade noch gut genug für Hinz und Kunz und deren Rasewahn. Zeiten zum Davonfahren! Carakiri!"

    Wenn Uwe Dick sich echauffiert, folgt er übrigens einem ziemlich simplen, schwarzweiß gemalten Weltbild à la "Marktführer befiehl, wir folgen". Böse sind der Kapitalismus, die Konsumgesellschaft, Alltagsfaschisten und Waffenlobbyisten, Autofahrer, Umweltzerstörer, die katholische Kirche ...

    "Großer Gott, wir loben dich."

    Und natürlich, wie kann es anders sein, die finsterste aller finsteren Verhinderungs- und Unterdrückungsmächte, der Börsenverein des Deutschen Buchhandels:

    "Dem Börsenverein ist regal, was in einem Buch steht. (...) Die Preisbindung ist ihm wichtig, nicht die ethische. Auch stünde die "Börse" nicht vorn ohne die Billigtristik schnellfertiger Letzköpfe, ohne den Verschub von Sprachschrott tonnenweise."

    So! Jetzt haben es mal alle richtig abgekriegt, und wir geben es dem Autor gehörig zurück: Dick, der du dich in deiner Verkanntheit sonnst, der du das Massenpublikum beschimpfest, weil es dich angeblich nicht erhört, der du Sätze im Munde führest wie "Quantitäter sind Qualitöter", obgleich du selbst quantitativ ein Schwergewicht bist, Dick, du sollst deine gerechte Strafe haben! Noch heute werden Hunderte von aufgehetzten Konsumenten diese CD-Kol¬lektion kaufen und sie gut finden! Das überlebst du nicht in deiner misanthropischen Dicktatur, ja das bricht dir dein Gedick. Und jetzt bitte keine abfälligen Worte mehr über Journalisten oder Rezensenten.

    "Als Bubi Weitpisserchen, danach Bescheidwisserchen."

    Es hat keinen Zweck. Wenn der Sauwald einmal den eigenen Kopf begrünt, dann lässt sich sein Wildwuchs nimmermehr roden. Uwes Verdickte werde ich irgendwie nicht mehr los.

    Besprochen von Florian Felix Weyh.

    Uwe Dick: "Sauwaldprosa"
    12 CDs, Kunstmann Verlag, 626 Minuten