Mehrere Wochen lang hat die Frankfurter Anwaltskanzlei Rettenmaier die Vorwürfe gegen eine Turn-Trainerin aus Chemnitz untersucht – im Auftrag des Deutschen Turner Bundes. Vor einer Woche veröffentlichte der Verband eine "Stellungnahme des Präsidiums des Deutschen Turner-Bundes". In diese Stellungnahme bindet der DTB auch drei Abschnitte ein, in der die beauftragte Kanzlei ihre wesentlichen Untersuchungsergebnisse zusammenfasst.*
Darin kommt die Kanzlei unter anderem zu dem Ergebnis, "dass in 17 Fällen hinreichende tatsächliche Anhaltspunkte für die Anwendung psychischer Gewalt durch die Trainerin vorliegen." Diese bestreitet die Vorwürfe.
Bericht liegt dem Bundesinnenministerium nicht vor
Der vollständige Bericht der Kanzlei ist nicht öffentlich. Und auch das Bundesinnenministerium, zuständig für die Sportförderung, vertraut offenbar der Stellungnahme des DTB – denn das Ministerium kennt den Originalbericht nicht.
"Der in der Stellungnahme des DTB erwähnte Untersuchungsbericht der Kanzlei Rettenmaier liegt dem BMI nicht vor. Das BMI sieht gegenwärtig keine Veranlassung, diesen Bericht anzufordern", schreibt das Bundesinnenministerium auf Deutschlandfunk-Anfrage. Dem Geldgeber reicht also eine Zusammenfassung der Ergebnisse als Kontrolle aus.
Gewaltfreier Sport gefordert
Das verwundert auch vor dem Hintergrund, dass das Ministerium immer wieder betont, nur ein gewaltfreier und regelkonformer Sport verdiene die finanzielle Unterstützung der öffentlichen Hand, zuletzt noch beim Hearing der Kommission zur Aufarbeitung sexualisierter Gewalt im Oktober in Berlin.
Bereits vor der Veröffentlichung der Stellungnahme stellte das Ministerium fest: Die Vorfälle in Chemnitz geben Anlass, "neben sexualisierter Gewalt auch psychische und physische Gewaltanwendung im Spitzensport bzw. brutale Trainingsmethoden verstärkt in den Blick zu nehmen, mögliche systemische oder strukturelle Ursachen zu hinterfragen und grundsätzlich die Grenzen des Erlaubten im Leistungssport zu definieren."
Der Deutsche Turner Bund sieht im Fall Chemnitz "schwerwiegende Pflichtverletzungen im Bundesstützpunkt Chemnitz bestätigt". In der Stellungnahme werden als Beispiele dafür Herabsetzen, Vergabe von Schmerzmitteln oder Zwang zu ungesundem Essverhalten aufgelistet.
Lizenzentzug möglich?
Als Konsequenz fordert der DTB die Entlassung der beschuldigten Trainerin durch ihren Arbeitgeber, den Olympiastützpunkt Sachsen.
Der Verband könnte in der Angelegenheit auch selbst aktiv werden und der Trainerin ihre Lizenz entziehen. Die Grundlage hat der Verband laut Ausbildungsordnung, wenn ein schwerwiegender Verstoß gegen die Satzung oder den Ehrenkodex vorliegt. Die zitierten Untersuchungsergebnisse deuten darauf hin. Ob der DTB den Entzug der Trainerlizenz der Beschuldigten vorantreibt, ist nicht bekannt.
*Anmerkung der Redaktion: In einer ursprünglichen Version des Beitrags hatte es geheißen, dass der DTB die Ergebnisse der Untersuchung selbst zusammengefasst habe. Die Ergebnisse, die in der Stellungnahme genannt werden, hat aber die Kanzlei Rettenmaier zusamengefasst. Wir haben die Formulierungen entsprechend angepasst.